Der Klinikarzt 2003; 32(12): 409
DOI: 10.1055/s-2003-814697
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„Obstruktionen” im Management obstruktiver Atemwegserkrankungen

W. Petro1
  • 1Bad Reichenhall
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Publication Date:
08 January 2004 (online)

Asthma bronchiale, chronisch obstruktive Bronchitis und Lungenemphyseme sind auf dem Siegeszug - sowohl bezüglich ihrer epidemiologischen Entwicklung als auch ihrer direkten und indirekten Behandlungskosten. Aus der Sicht der Pharmakotherapie dürfte einem langfristigen Behandlungserfolg eigentlich nichts mehr im Wege stehen. Wir sehen jedoch, dass die Mortalitätsstatistiken im Bereich kardiovaskulärer Erkrankungen einen stetigen Rückgang der Letalität aufzeigen, während sie zum Beispiel bei der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) weiter zunehmen.

Welche „Obstruktionen” behindern denn ein effizientes Management? Zweifelsfrei ist der schleichende, progrediente Krankheitsverlauf geeignet, den Gewöhnungseffekt beim Patienten zu fördern. Was nicht wehtut, bedarf auch keiner weiter gehenden Aufmerksamkeit. Ein bisschen Husten, ein wenig Auswurf buchen die Betroffenen unter „normal” ab, und vor die Wahl gestellt, ist das Ereignis der Pectangina für die Patienten nach wie vor eine akute Handlungsaufforderung, wogegen sie ihre Kurzatmigkeit zum Beispiel über das Benutzen von Fahrstühlen minimieren. Also: Mangelnde Perzeption einer häufig in die Invalidität führenden chronischen Krankheit einerseits, aber auch mangelnde Zuwendungsbereitschaft vor dem Hintergrund wirtschaftlicher Zwänge andererseits, wie zum Beispiel der Angst vor einem Verlust des Arbeitsplatzes, sind ebenso auffällig wie die Ambivalenz aus politischer Sicht.

Raucherentwöhnungsprogramme von der Zigarettenindustrie gefördert? Werbeverbot für Tabakprodukte: nein - „kabarettreife” Aufdrucke auf Zigarettenpackungen: ja? Immerhin hat die Gesundheitspolitik die Unter- oder Fehlversorgung im Bereich chronisch obstruktiver Atemwegserkrankungen erkannt. Für diese Erkrankungsgruppe wird im nächsten Jahr eine optimierte ambulante Versorgung mit einer leitliniengerechten frühen Diagnostik, Stadieneinteilung und Behandlung im Rahmen der Disease-Management-Programme (DMPs) als Chance für eine sektorenübergreifende evidenzbasierte Präventions- und Behandlungsstrategie angestrebt. Neu daran ist zweierlei: einmal das Zusammenführen von Managementkomponenten unter Einbeziehung des Patienten zusätzlich zur Pharmakotherapie und - was möglicherweise viel wichtiger ist - der therapeutische Ansatz im Sinne eines kontinuierlichen Prozesses.

So gut und schlecht sie auch immer waren, bisher waren alle Bemühungen zeitlich begrenzt: Die Behandlungsdauer im Krankenhaus wurde immer kürzer, die stationäre Rehabilitation wurde auf ein Dreiwochen-„Verfahren” gestutzt, und die ambulante Rehabilitation war bisher bis auf wenige Pioniertaten nicht vorhanden. Jetzt soll es ein DMP richten! Die angedachten Inhalte als Zusammenführung einer modernen Pharmakotherapie mit den Fassetten der pneumologischen Rehabilitation - wie Patientenschulung, Trainingstherapie, Raucherentwöhnung - bieten als kontinuierlicher Support zum Wohle des Patienten, hoffentlich auch zum Wohle der betreuenden Ärzte, sicherlich aber zum Wohle der Krankenkassen über den Risikostrukturausgleich eine Chance. Wie immer in Deutschland ist das Streiten Passion. Wenn es denn helfen würde, über den Tellerrand der Eigeninteressen der Entscheider in den „Kommissionen” hinauszusehen, wäre das Ergebnis sicherlich positiv. Jedoch: Egal wie es ausgeht, die Chancen sind so schlecht nicht, dass etwas Besseres entsteht als das, worüber wir zurzeit verfügen.

Siegen werden letztendlich die Gesetze des „Marktes”. Und der Mittelpunkt des „Marktes” ist der Patient. Diesem allerdings fehlt noch ein gehöriger Schuss an Überblick und Selbstverantwortung. Wir Ärzte können dabei helfen, indem wir dem Patienten klar machen, dass das „Gesundwerden” und „Gesundbleiben” die persönliche Aufgabe eines jedes Einzelnen sein muss - und dazu gehören Überblick, Perzeptionsfähigkeit, Verantwortungsbewusstsein, Eigeninitiative und Selbstverantwortung.

Wir Ärzte wollen das! Die Politiker auch?

Prof. Dr. W. Petro

Bad Reichenhall

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