Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2004; 39(6): 333-334
DOI: 10.1055/s-2004-814588
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Der Anästhesist und der Atemweg

Airwaymanagement and the AnesthesiologistC.  Krier1
  • 1Klinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin, Katharinenhospital, Stuttgart
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Publication Date:
14 June 2004 (online)

Es besteht kein Zweifel daran, dass die Sicherung der Atemwege zu den unbestrittenen Kernaufgaben und -kompetenzen des Anästhesisten gehört. Keiner kann das so gut wie wir!

Es besteht auch kein Zweifel daran, dass die Atemwegssicherung in Präklinik und Klinik zu den zentralen Aufgaben eines anästhesiologischen Qualitäts- und Riskmanagements gehört, führen doch Komplikationen in diesem Bereich zu schwer wiegenden Schädigungen des Patienten. Deshalb ist auch berechtigterweise absolute Vorsicht geboten bei allen technischen und indikationsbezogenen Neuerungen, nicht etwa übertriebene Skepsis, sondern und vor allem faire Debatte anhand von wissenschaftlichen Daten [1] [2].

Warum schwingt immer dann, wenn es „um den Tubus” geht, eine gewisse Emotionalität in der Diskussion mit? Ich beziehe mich bei dieser Frage auf den in diesem Heft publizierten Schriftwechsel in Zusammenhang mit der kürzlich in AINS erschienenen Arbeit von Piper et al. [3] und das dazugehörige Editorial von J. Peters [1] - einen Schriftwechsel, den ich als Mitherausgeber von AINS im Übrigen sehr begrüße und den ich persönlich sehr spannend finde.

Vielleicht liegt die Antwort darin, dass die Sicherung der Atemwege mit Hilfe des endotrachealen Tubus über den reinen medizinischen Vorgang hinaus über lange Zeit eine Art Sinnbild der Tätigkeit des Anästhesisten gewesen ist. In der Pionierzeit einer eigenständigen Anästhesie in Deutschland, die sich erst in den Nachkriegsjahren emanzipieren konnte, stand die endotracheale Intubation - aus den USA und England (re)importiert - oft als Symbol für eine moderne Anästhesie, ein Siegeszeichen über traditionelle Auffassungen, die der Entwicklung einer eigenständigen und wissenschaftlichen Anästhesie entgegenstanden. In den Folgejahren des Siegeszuges der Intubationsnarkose über die Maskennarkose wurde unsere Tätigkeit dann hin und wieder zu eng auf diese Technik reduziert - sowohl in der Wahrnehmung unseres Aufgabenspektrums durch unsere chirurgischen Partner und in der Auffassung unseres Berufsbildes nach innen, als auch in der Prädominanz einer bestimmten Technik innerhalb der Atemwegssicherung selbst. Oft wurde übersehen, dass Atemwegssicherung weit mehr ist, als die endotracheale Intubation [4] [5].

Diese geschichtliche Dimension der an dem endotrachealen Tubus orientierten Atemwegssicherung macht es verständlich, dass im historischen Bewusstsein der Pionierleistungen eines Franz Kuhn und in freien Assoziationen mit den Sauerbruch’schen Thesen (und deren Überwindung) alternative Verfahren der Atemwegssicherung lange Zeit irgendwie als suspekt empfunden wurden, als Bruch mit einer Tradition, als Respektverweigerung gegenüber den Pionierleistungen einer modernen Anästhesie der Nachkriegszeit. Sakrileg, die Entweihung einer Tradition! In der Tat hat der endotracheale Tubus enorm zur Entwicklung einer modernen Anästhesie und damit einer modernen Chirurgie beigetragen, konnten doch erst nach der Einführung dieser Methode chirurgische Eingriffe durchgeführt werden, die in Maskennarkose nicht denkbar gewesen wären.

Von Anfang an war die Entwicklung alternativer Verfahren zur Sicherung der Atemwege von zum Teil heftigen und emotionalen Diskussionen begleitet, in Deutschland vielleicht vehementer als in den USA und anderen europäischen Ländern. Archie Brain, der als Erfinder der Larynxmaske auch als Auslöser dieser Diskussion um alternative Verfahren der Atemwegssicherung bezeichnet werden kann, ein rücksichtsloser Bilderstürmer? Wer ihn und seine Arbeiten kennt, muss diesen Vergleich sofort vehement verneinen. Von Anfang an stand die Sicherheit des von ihm entwickelten Verfahrens im Vordergrund seiner Überlegungen und seiner tadellosen wissenschaftlichen Untersuchungen, und dieses Prinzip des „nil nocere” behielt auch die absolute Mehrzahl aller Gruppen, die sich mit der Larynxmaske und anderen Instrumenten zur Atemwegssicherung beschäftigen, immer im Blickfeld. Am Goldstandard der endotrachealen Intubation wurden die neuen Verfahren gemessen, und alle Weiterentwicklungen in Design und Indikation müssen auch weiterhin an diesem Goldstandard gemessen werden. Heißt dies aber, dass nur der „Goldstandard Tubus” als Maßstab aller Dinge für alle Situationen in der intraoperativen Anästhesie (und auch in der präklinischen Atemwegssicherung) gilt? Ist höchstmögliche Sicherheit nur durch den endotrachealen Tubus zu erreichen? Gibt es also vielleicht mehr als einen Goldstandard [2]?

Eine Differenzierung der Diskussion ist längst überfällig; so wie es beispielsweise bei der intraoperativen Schmerzausschaltung mehrere Methoden und eine Differentialindikation gibt, so gibt es auch in der Atemwegssicherung unterschiedliche Verfahren mit unterschiedlichen Indikationen in unterschiedlichen klinischen Situationen. Ich möchte hier einer offenen wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den Verfahren der Atemwegssicherung das Wort reden: Der endotracheale Tubus ist keineswegs „out”, die Larynxmaske weit entfernt vom „anything goes”, die Bemühungen um eine Weiterentwicklung und Optimierung des Airwaymanagements im Sinne eines Qualitäts- und Riskmanagements sind keineswegs am Ende angelangt, wie die Beiträge in dem vorliegenden Heft, das sich schwerpunktmäßig mit den Verfahren der Atemwegssicherung beschäftigt, eindrücklich zeigen. Es ist keineswegs alles gesagt rund um den Atemweg! Tradition und Fortschritt also [6]!

Atemwegsmanagement beschränkt sich keineswegs auf die Sicherung der Atemwege während der Narkose. Es erscheint dringend notwendig, dieses Thema in der Intensivmedizin und der Notfallmedizin vermehrt wissenschaftlich aufzugreifen und zu vertiefen. Die Intensivmediziner und Anästhesiologen haben in den letzten Jahren durch die perkutane Dilatationstracheotomie viel neues Know-how in die Atemwegssicherung bei langzeitbeatmeten Intensivpatienten gebracht. Die wissenschaftlichen Fragestellungen in diesem Zusammenhang sind aber längst nicht alle geklärt [7]. Wie steht es mit der Langzeitprognose tracheotomierter Patienten? Gibt es schon den Goldstandard in der Atemwegssicherung von Intensivpatienten? Ist die heute meist geübte Technik der Dilatationstracheotomie auch die beste? Diese Fragen gilt es in Zukunft aufzuarbeiten; dies sind sehr sinnvolle wissenschaftliche Fragestellungen der intensivmedizinisch tätigen Anästhesisten, durchaus im Sinne einer patientenorientierten Qualität durch wissenschaftliche Kompetenz [8].

Das Gleiche gilt für die Notfallmedizin. Hier sind wir von einer wissenschaftlichen Evaluierung der Atemwegssicherung in Notfallsituation weit entfernt! Vieles wird intuitiv, aus der Erfahrung, aus einzelnen Kasuistiken hergeleitet und gelehrt. Es ist höchste Zeit und sicher auch eine verdienstvolle Aufgabe der Zukunft, das präklinische Atemwegsmanagement auf wissenschaftliche Füße zu stellen, wobei nicht zu verkennen ist, dass dort die Bedingungen für exakte Studien weitaus schwieriger sind als in der Klinik. Bemühungen um einen wissenschaftlich abgesicherten Algorithmus „Präklinische Atemwegssicherung” gehen in die richtige Richtung [9]. Neben Fragen der „richtigen Technik im richtigen Moment” für die jeweilige, sehr unterschiedliche präklinische Situation sind grundsätzliche Fragen der Indikation und nicht zuletzt auch rechtliche Fragen der Delegation auf nicht-ärztliches Personal zu stellen und aufzuarbeiten.

Den Anästhesisten wird der Atemweg also noch lange beschäftigen; die wissenschaftliche Diskussion um das ideale Atemwegssicherungskonzept ist nicht beendet, sie sollte differenziert und engagiert weitergeführt werden. Die anästhesiologische Gemeinschaft und die Leserschaft von AINS freuen sich auch in Zukunft über viele wertvolle Beiträge über kleine und große Tuben, über Larynxmasken und Larynxtuben, „Notrohre”, flexible und starre Fiberskope, Easytubes und Combitubes und über genauso vielfältige Leserzuschriften, die den Diskurs spannend gestalten.

Literatur

  • 1 Peters J. Alternativen zur endotrachealen Intubation: eine Frage der statistischen Analyse.  Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther. 2004;  39 125-126
  • 2 Krier C, Georgi R. Atemwegssicherung - gibt es mehr als einen „Goldstandard”?.  Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther. 2001;  36 193-194
  • 3 Piper S N, Triem G, Röhm K D, Maleck W H, Schöllhorn T AH, Boldt J. Ein Vergleich der ProSeal-Larynxmaske mit der konventionellen endotrachealen Intubation bei Laparoskopien in der Gynäkologie.  Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther. 2004;  39 132-137
  • 4 Krier C, Georgi R. Airway-Management. Die Sicherung der Atemwege. Stuttgart; Thieme 2001
  • 5 Dörges V, Paschen H R. Management des schwierigen Atemweges. Berlin; Springer 2004
  • 6   . Motto des 50. DAC im Jubiläumsjahr 2003. ;
  • 7 Klockgether-Radke A P, Neumann P, Quintel M. Tracheotomie - Luftweg der Wahl für den langzeitbeatmeten Patienten?.  Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther. 2004;  39 335-343
  • 8   . Qualität durch Kompetenz: Motto des 50. DAC 2004. ;
  • 9 Dörges V, Brambrink A M. Algorithmus - Präklinisches Atemwegsmanagement. In: Dörges V, Paschen HR Management des schwierigen Atemweges. Berlin; Springer 2004: 195-199

Prof. Dr. med. C. Krier

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