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DOI: 10.1055/s-2004-814589
Der „Weichselzopf” in medizinhistorischer Perspektive
Eigenständige Hautkrankheit oder mythologisches Konstrukt?The „Elflock” in Medical HistoryDisease of its own or Mythological Fiction?Publication History
Publication Date:
09 July 2004 (online)

Einleitung
Beginnen wir unsere Geschichte von ihrem Ende her. Das dermatologische Phänomen, um das es im vorliegenden Beitrag gehen soll, wurde von dem Budapester Hautarzt Ernst Ludwig Schwimmer (1837 - 1898) im Jahre 1888 in der Real-Encyclopädie der gesamten Heilkunde folgendermaßen charakterisiert: „Plica polonica, s. Trichoma s. Lues sarmatica, der Weichsel- oder Wichtelzopf, ist die Bezeichnung für jene unentwirrbare Verschlingung und Verfilzung der Kopfhaare, welche in früheren Jahren, namentlich in Polen, an der Ufern der Weichsel (Vistula), sowie in Russland als eine endemische Krankheitsform betrachtet wurde. Es sind kaum einige Decennien, dass man die Plica noch für eine eigenthümliche dyskrasische Affection hielt, theils für eine Abart der Syphilis und der Lepra, theils für eine Form der Gicht, und es erregte den Unwillen der Gelehrten, wenn sich ein vorurtheilsloser Arzt zu der Annahme verstieg, dass die Plica vielleicht nur eine locale Erkrankung der Haut darstelle. […] Die Literatur über diese Krankheitsform hat von der Zeit des 17. Jahrhunderts an bis fast in unsere Zeit hinein eine riesige Ausdehnung erlangt […] Der Culturfortschritt unseres Jahrhunderts und die aufgeklärten Anschauungen vorurtheilsloser Forscher haben das Dickicht […] gelichtet. […] Wir schließen diese kurzen Erörterungen mit dem Satze: dass die Plica keine Krankheit sei; wo eine derartige Verfilzung der Haare besteht, erforsche man die allgemeinen und localen Ursachen, die zu diesem abnormen Verhalten führen” [19].
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Prof. Dr. med. Axel W. Bauer
Institut für Geschichte der Medizin · Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Im Neuenheimer Feld 327 · 69120 Heidelberg
Email: awb@uni-hd.de