Zentralbl Gynakol 2004; 126 - P8
DOI: 10.1055/s-2004-822076

Eine konstruktive Alternative zum späten Schwangerschaftsabbruch bei geistig behinderter Frau

S Holthausen-Markou 1, A Plaß 1
  • 1Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie, Justus Liebig Universität Giessen, Giessen

Fragestellung: Kann die psychotherapeutische Begleitung einer ungewollten und verdrängten Schwangerschaft bei geistiger Behinderung eine Alternative zum späten Schwangerschaftsabbruch aus medizinischer Indikation darstellen, wenn der Fetus keinen Anhalt für Erkrankung aufweist, die Schwangere aber psychisch sehr belastet ist?

Kasuistik: Wir berichten über eine 32 jährige geistig behinderte Frau in der 29.SSW, die von der niedergelassenen Gynäkologin in die psychosomatische Poliklinik zur Indikationsstellung trotz Lebensfähigkeit des Kindes überwiesen wurde. Nach genauer Exploration persönlicher und lebensgeschichtlicher Hintergründe in Anwesenheit ihres Betreuers einigten wir uns mit ihr über das Austragen der Schwangerschaft mit der Option der Adoption als Alternative zum späten Schwangerschaftsabbruch und boten ihr eine psychotherapeutische Begleitung an.

Ergebnisse: Frau G. setzte sich in den folgenden psychotherapeutischen Sitzungen konstruktiv mit einer Fortsetzung der Schwangerschaft auseinander. Ihre im Erstgespräch wahrnehmbare depressive Stimmungslage besserte sich deutlich.

Nach unkompliziertem Schwangerschaftsverlauf brachte sie per Kaiserschnitt einen gesunden Jungen zur Welt, den sie zur Adoption freigab. Ihre psychische Verfassung blieb im Wochenbett stabil.

Schlussfolgerung: Auch bei Patientinnen mit leichter geistiger Behinderung können psychotherapeutisch Ich-stabilisierende und stützende Gespräche sinnvoll sein.

Angesichts der schweren psychischen Folgen, die sich insbesondere nach einem späten Schwangerschaftsabbruch einstellen können, kann es in manchen Fällen nach genauer Exploration ein gangbarer Weg sein, eine Schwangere während Schwangerschaft und Wochenbett psychotherapeutisch zu begleiten, um ihr einen Entscheidungsspielraum zu eröffnen, der innere Ambivalenzen zulässt. Im Falle der Freigabe des Kindes zur Adoption birgt der Abschied dann trotzdem einen neuen Anfang und ein neues Leben in sich.