Subscribe to RSS
DOI: 10.1055/s-2004-826025
Epidemiologie des Kehlkopfkarzinoms
Epidemiology of Laryngeal Cancer Anlässlich der 75. Jahresversammlung der Deutschen Gesellschaft für HNO-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie 19. bis 23. Mai 2004 in Bad Reichenhall vorgetragen.Publication History
Publication Date:
11 November 2004 (online)

Kaum eine Krebserkrankung ist so deutlich durch äußere Einflussfaktoren auslösbar wie das Larynxkarzinom. Auch aufgrund der relativ schlechten Prognose bei fortgeschrittenen Stadien kommt aus ärztlicher und gesundheitspolitischer Sicht der Prävention eine zentrale Rolle zu. Man weiß heute, dass dem chronischen Tabak- und Alkoholkonsum die Hauptbedeutung im Risikofaktorenfeld dieser Erkrankung innewohnt. In den vergangenen Jahrzehnten wurden verschiedene Risikofaktoren aus dem beruflichen Umfeld benannt, die jedoch aufgrund mangelnder Größe der untersuchten Stichproben bzw. unpräzisen statistischen Berücksichtigungen des Hauptconfounders „Tabakkonsum” wenig überzeugend auftraten. Bislang hat sich lediglich Asbestfaserstaub als eigenständiger Risikofaktor durchgesetzt, der mittlerweile auch als Asbest-assoziiertes Larynxkarzinom in der Berufskrankheitenliste geführt wird. Wahrscheinlich aber, wie wir aus unserer klinischen Arbeit schon lange vermuten, ist das Risikopotenzial aus dem Arbeitsumfeld deutlich größer.
Obwohl durch Rauchen das Risiko stark erhöht ist, ein Kehlkopfkarzinom oder auch einen anderen Tabak-assoziierten Tumor zu entwickeln, bleibt ein großer Teil des Tabakrauch-exponierten Personenkreises frei von einer Krebserkrankung. Es mehren sich die Hinweise, dass es interindividuelle Unterschiede der Abwehrstrategien gibt, die sich in einem variierenden Entgiftungsapparat (Enzympolymorphismen) bzw. einer unterschiedlich konsequenten Reparatur der vielfach angegriffenen Erbsubstanz wiederspiegeln müssen.
Aus diesen Gründen wurde im Zeitraum zwischen 1. 5. 98 und 31. 12. 2000 eine bevölkerungsbezogene Fall-Kontrollstudie (Rhein-Neckar-Larynxstudie) mit 257 Patienten mit histologisch gesicherter Diagnose Larynxkarzinom und 769 Kontrollpersonen durchgeführt. Ziel der Studie war, berufliche Risikofaktoren zu identifizieren, zu quantifizieren, sowie den gemeinsamen Effekt dieser und anderer Lebensstilfaktoren (Rauchen, Alkoholkonsum) und die genetische Prädisposition zu untersuchen. Dabei waren sowohl die Faktoren der individuellen Suszeptibilität als auch die Analyse von Gen-Umwelt-Interaktionen von Interesse.
Die Studienregion bestand aus dem Rhein-Neckar-Raum mit ca. 2,7 Millionen Einwohnern und ergab sich etwa aus dem Einzugsgebiet der fünf teilnehmenden HNO-Kliniken (Universitäts-HNO-Kliniken Mannheim und Heidelberg sowie den Städtischen HNO-Kliniken Darmstadt, Heilbronn und Ludwigshafen). Populationskontrollen wurden Häufigkeits-gematcht nach Alter und Geschlecht aus der gleichen Studienregion mittels Zufallsstichproben aus den beteiligten Melderegistern ausgewählt. Es fanden persönliche Interviews durch geschulte Interviewer statt. Dazu wurde ein ausführlicher Fragebogen zur beruflichen Exposition, zu Alkoholkonsum, Rauchverhalten, Passivrauchen am Arbeitsplatz und in der Familie, zu Gesundheit und Familie, Ernährung und Sozialstatus und 34 Zusatzfragebögen zu speziellen Berufen entwickelt. Zeitgleich wurde den Patienten und Kontrollpersonen auch eine Blutprobe abgenommen. Es wurde die DNA-Reparaturkapazität mittels der Aktivität des Enzyms Poly(ADP-ribose)polymerase (PARP) und damit die Mutagensensitivität gemessen sowie Polymorphismen der Gene GSTM1, GSTT1, ADH2 + 3 und ALDH2 bestimmt. Zusätzlich wurde Tumorgewebe zur Untersuchung der p53-„hot spot”-Mutationen entnommen.
Unter den Fällen befanden sich lediglich 5 Männer (2.1 %), die nie geraucht haben, unter den Kontrollen hingegen 167 (23.8 %). 51.3 % der Fälle waren starke Raucher mit mehr als 40 Packyears (40 Jahre 20 Zigaretten täglich), hingegen unter den Kontrollen nur 16,7 %. Bezüglich des Alkoholkonsums fanden sich in der höchsten Gruppe mit durchschnittlich mehr als 75 g Alkohol pro Tag 37,7 % der männlichen Fälle gegenüber 16,7 % der Kontrollpersonen. Alkoholadjustierte Odds Ratios bei Rauchern zeigten einen dosisabhängigen Anstieg mit einem Spitzenwert von 32,77 bei einem chronischen Tabakkonsum von mehr als 40 Packyears. Für den Alkoholkonsum von mehr als 75 g pro Tag ergaben sich tabakadjustierte Odds Ratios von 2,32. Bei Betrachtung des Arbeitsumfelds ergaben sich bei folgenden Berufsgruppen signifikant erhöhte Risiken nach Adjustierung von Tabak- und Alkoholkonsum: Chemiearbeiter (Odds Ratio 1,84), Papierhersteller/Drucker (Odds Ratio 2,39), Zimmerer/Maurer (Odds Ratio 1,85), Straßenbau-/Tiefbau- und Bauhilfsarbeiter (Odds Ratio 6,42), Maler/Lackierer (Odds Ratio 3,34), Hilfsarbeiter (Odds Ratio 2,71). Von den vielen im Rahmen der Studie explizit analysierten Fremdstoffexpositionen wurden Asbest, polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAH) und Zement/Zementstaub in ihrer besonderen Bedeutung für die Entstehung des Larynxkarzinoms detaillierter untersucht. Nach Tabak-Alkohol-Adjustierung ergaben sich für Asbest in seinen verschiedenen Expositionsformen erhöhte Odds Ratios, die jedoch nicht signifikant waren. Dagegen zeigte sich nach Adjustierung für Rauch- und Alkoholkonsum ein signifikant erhöhtes Odds Ratio (2,60) für Personen, die jemals mit polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen zu tun hatten. Auch für Zement/Zementstaubexposition wurden signifikant erhöhte Odds Ratios beobachtet.
Die molekulargenetischen Untersuchungen teilten sich auf in den Bereich Mutagensensitivität, Enzympolymorphismus und p53 „hot-spot”-Analysen: Bei der Untersuchung der Bleomycin-induzierten Aktivität von PARP fiel auf, dass sich nach Bleomycin-Behandlung ein signifikant niedriger Median der PARP-Induktionswerte bei den Fällen im Vergleich zu den Kontrollen zeigte. Die Resultate der logistischen Regressionsanalyse, in der eine zusätzliche Adjustierung der anderen relevanten Risikofaktoren stattfand, wies eine Unabhängigkeit der Bleomycin-induzierten PARP-Aktivität von Tabak- und Alkoholkonsum auf. Nach den vorliegenden Ergebnissen scheint die induzierte PARP-Aktivität als protektiver Faktor zu fungieren. Die Analyse der Ausprägung genetischer Enzympolymorphismen bei ADH 2 und ADH 3 zeigte keine Assoziationen mit dem Kehlkopfkrebsrisiko. Ebenso konnten für ALDH 2, GSTM 1 und GSTT 1 keine signifikanten Zusammenhänge mit dem Kehlkopfkrebsrisiko gesehen werden. Auch die bei insgesamt 66 Patienten (von denen schließlich 58 auswertbar waren) bestimmten p53 „hot spot”-Analysen ergaben keinen Zusammenhang für spezifische Expositionsmuster.
Zusammenfassend kristallisierten sich bei Analyse der Daten als Risikofaktoren für Kehlkopfkrebs erwartungsgemäß der chronische Tabakkonsum und untergeordnet der chronische Alkoholkonsum heraus. Unter den beruflichen Faktoren stach die Baubranche durch massiv erhöhte Odds Ratios heraus. Bei der Einzelstoffbetrachtung ergaben sich tabak- und alkoholunabhängig erhöhte Risiken in Zusammenhang mit polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen und Zement bzw. Zementstaub. Der protektive Charakter einer hohen PARP-Induktion spricht für die Existenz der viel diskutierten individuellen Suszeptibilität. Insgesamt geben die vorliegenden Ergebnisse teilweise neue Einblicke in die Epidemiologie des Larynxkarzinoms und damit wertvolle Impulse für weitere Untersuchungen.
Literatur
- 1 Dietz A, Ramroth H, Urban T, Ahrens W, Becher H. Exposure to cement dust, related occupational groups and laryngeal cancer risk: results of a population based case-control study. Int J Cancer. 2004; 108 907-911
- 2 Risch A, Ramroth H, Raedts V, Rajaee-Behbahani N, Schmezer P, Bartsch H, Becher H, Dietz A. Laryngeal cancer risk in Caucasians is associated with alcohol and tobacco consumption but not modified by genetic polymorphisms in class I alcohol dehydrogenases ADH1B and ADH1C, and glutathione-S-transferases GSTM1 and GSTT1. Pharmacogenetics. 2003; 13 225-230
- 3 Dietz A. Laryngeal carcinoma - a question of personal susceptibility. HNO. 2002; 50 105-108
- 4 Rajaee-Behbahani N, Schmezer P, Ramroth H, Burkle A, Bartsch H, Dietz A, Becher H. Reduced poly(ADP-ribosyl)ation in lymphocytes of laryngeal cancer patients: results of a case-control study. Int J Cancer. 2002; 98 780-784
Univ.-Prof. Dr. med. Andreas Dietz, Direktor der Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde/Plastische Operationen der Universität Leipzig
Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde/Plastische Operationen der Universität Leipzig
Liebigstraße 18a · 04103 Leipzig
Email: andreas.dietz@medizin.uni-leipzig.de