Pneumologie 2005; 59(8): 549-553
DOI: 10.1055/s-2004-830320
Positionspapier
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie zur Begutachtung der Silikose

Position Paper of the German Society of Pneumology on Medical Expert Opinion for SilicosisDie Erstellung des Papiers erfolgte von einer Arbeitsgruppe der DGP: X.  Baur1 , D.  Köhler1 , T.  Voshaar1
  • 1Ordinariat und Zentralinstitut für Arbeitsmedizin, Universität Hamburg
Further Information

Publication History

Publication Date:
18 August 2005 (online)

Preview

Ausgangslage

Die berufskrankheitenrechtliche Anerkennung einer Silikose stützt sich neben der Einwirkung von kristallinen Kieselsäuren (meist Quarz) im Wesentlichen auf die konventionelle Röntgen-Thorax-Aufnahme der Lunge, wobei mindestens eine Streuungskategorie von 1/1 nach der Staublungenklassifikation der ILO 2000 vorliegen muss [1]. Wenn hier von Silikose gesprochen wird, so sind im Folgenden Text auch Mischstaubpneumokoniosen subsumiert.

In den 60er- und 70er-Jahren wurde auf Gutachtertagungen in Moers die Konvention aufgestellt, dass von einer entschädigungspflichtigen nicht schwieligen Silikose erst dann ausgegangen werden könne, wenn mindestens eine radiologische Streuungskategorie 2/3 nach ILO 1980 [2] (Pinhead-Silikose ab 2/2) vorliege. So genannte gering gestreute Silikosen, also nicht-schwielige Silikosen der Streuungsgrade 1/1, 1/2, 2/1 und 2/2 (außer p/p-Silikosen) werden danach bis heute überwiegend nicht entschädigt. Während die Moerser Konvention im Steinkohlenbergbau streng ausgelegt wurde, wurde die Konvention in Süddeutschland und außerhalb des Steinkohlenbergbaus weniger streng umgesetzt; verwertbare Daten hierzu liegen aber nicht vor. Laut den aktuellen BK-Statistiken des Hauptverbandes der Gewerblichen Berufsgenossenschaften [3] wurde im Jahre 2002 1726-mal eine BK 4101 angezeigt und 1332 als Versicherungsfall anerkannt, jedoch nur 362-mal ein neuer Rentenfall verzeichnet. Diese Diskrepanz ist zum Teil durch fehlende Funktionsausfälle bei den Versicherten zu erklären, geht aber vermutlich zu einem wesentlichen Teil auf die Anwendung der Moerser Konvention zurück. Auch hierzu liegen detaillierte Informationen nicht vor.

Bereits in den sechziger und siebziger Jahren war es Gegenstand der wissenschaftlichen Diskussion, ob der radiologische Ausprägungsgrad einer Silikose mit Funktionseinschränkungen assoziiert ist [4]. Die Moerser Konvention wurde durch den Nachweis stärkerer Funktionsausfälle bei höher gestreuten oder schwieligen Silikosen [5] [6] scheinbar gestützt. Allerdings gab es damals schon Untersuchungen, die eingeschränkte Lungenfunktionswerte (insbesondere FEV1) der Bergleute allgemein und jener mit verschiedenen Silikosekategorien belegten. Ulmer u. Mitarb. [7] untersuchten Bergleute und Arbeiter der Eisen- und Stahlindustrie (Kontrollgruppe). Sie fanden, dass Bergleute mit und ohne Silikose gegenüber den Eisen- und Stahlarbeitern vermehrte Funktionseinschränkungen (Blutgase, Atemwegswiderstand) aufwiesen, fanden aber keinen wesentlichen Unterschied zwischen Bergleuten mit und ohne (gering gestreute) Silikose. Ähnliche Daten wurden von Worth [8]; Carstens u. Mitarb. [9]; Reichel [10]; Smidt [5] publiziert. Auch Studien aus dem Ausland fanden eine eingeschränkte Lungenfunktion bei Bergleuten im Vergleich zu Kontrollgruppen unabhängig vom radiologischen Ausprägungsgrad einer Silikose [11].

Kürzlich wurde von Baur [12] darauf hingewiesen, dass die Moerser Konvention angesichts neuerer wissenschaftlicher Erkenntnisse und daraus resultierenden anderen Interpretationen der alten Studien nicht mehr begründbar sei. Eine Arbeitsgruppe der DGAUM beschäftigt sich schon seit längerem mit dieser Fragestellung. In einem Editorial in der Zeitschrift „Pneumologie” haben Merget und Brüning [13] eine neue inhaltliche Diskussion angeregt. Der folgende Text stellt das Ergebnis der Diskussion einer Arbeitsgruppe, beauftragt von den Vorständen der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie (DGP) und der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin (DGAUM) dar. Die Arbeitsgruppe ist sich dabei bewusst, dass die vorliegenden Studien weitgehend keine Raucheradjustierung aufweisen. Sie berücksichtigt im Folgenden die gut belegte medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnis, dass Rauchen und berufliche Staubexposition gleichartige gesundheitsadverse Effekte haben und somit synergistisch wirken können.

Literatur

1 Pathologisch-anatomische Untersuchungen zeigen, dass die konventionelle Röntgen-Thoraxaufnahme in einem Großteil der Fälle die silikotischen Läsionen nicht entdeckt (200 von 328 Fällen (61 %) in den Untersuchungen von Hnizdo u. Mitarb. [14]; über 30 % in den Untersuchungen von Vallyathan u. Mitarb. [17]. Nahezu alle langjährig unter Tage beschäftigten Steinkohlenbergleute weisen in tabula silikotische Veränderungen auf (Ruckley u. Mitarb. [18]; laut Vallyathan u. Mitarb. [16] in 96 % Maculae, in 70 % nodulär-silikotische Läsionen).
Ein Lungenemphysem wird bei Sektionen von Steinkohlenbergleuten in 42 - 75 % festgestellt, wobei sich Abhängigkeiten vom silikotischen Röntgenbefund (64 - 92 %), vom Rauchen und vom Alter feststellen lassen (Ruckley u. Mitarb. [18] [19]; Leigh u. Mitarb. [20]; Attfield u. Mitarb. [21]; Vallyathan u. Mitarb. [16] [17]).

X. Baur

Ordinariat und Zentralinstitut für Arbeitsmedizin · Universität Hamburg

Seewartenstr. 10

20459 Hamburg

Email: baur@uke.uni-hamburg.de