Psychother Psychosom Med Psychol 2005; 55(1): 3-4
DOI: 10.1055/s-2004-834581
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Molekulare Psychosomatik?

Molecular Psychosomatics?Karl-Heinz  Schulz1 , Uwe  Gieler2
  • 1Institut für Medizinische Psychologie und Klinik für Hepatobiliäre Chirurgie, Universitätsklinikum Eppendorf
  • 2Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie, Justus-Liebig-Universität, Gießen
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Publication Date:
13 January 2005 (online)

Das vorliegende Schwerpunktheft zum Thema „Psychoneuroimmunologie” hat lange auf sich warten lassen. Das Thema ist aktuell und es scheint schwer, in diesem Gebiet auf dem Laufenden zu bleiben. Die inzwischen erarbeiteten Grundlagen aus den Gebieten „Psychiatrie, Immunologie, Schlafforschung und Psychodermatologie” sollen hier dargestellt werden. Könnte es sich hier um eine weitere Entwicklung in Richtung „Molekulare Psychosomatik” handeln? Ist es nicht die älteste Frage der Psychosomatik überhaupt, das Missing Link zwischen Affekten und Gefühlen einerseits und dem immunologisch-endokrinologischen Korrelat der Somatisierung andererseits zu suchen?

In ihrem Lehrbuch zur Psychoneuroimmunologie beschreiben Schedlowski u. Tewes [1] in ihrem Vorwort, dass die „Psychoneuroimmunologie … sich mit den Wechselbeziehungen zwischen dem Nervensystem, dem Hormonsystem und dem Immunsystem” befasst. Die Autoren merken aber auch kritisch an, dass die psychobiologischen Konsequenzen der Interaktionen zwischen Nerven, Hormonen und Immunsystem sowie Verhaltensweisen bisher nur unvollständig verstanden sind. Die hier vorliegenden Beiträge sollen dieses Verständnis ergänzen und erweitern.

Die in diesem Heft gesammelten Beiträge stammen überwiegend [2] [3] [4] aus einem Buchprojekt des „Arbeitskreises Psychoneuroimmunologie” der „Deutschen Gesellschaft für Medizinische Psychologie”, das aus unterschiedlichen Gründen leider nicht realisiert werden konnte. Umso mehr ist den Autoren für ihr Verständnis, ihre Geduld und ihre Bereitschaft zu danken, die Manuskripte zu überarbeiten und in diesem Sonderheft zu publizieren. Sie liegen jetzt hier in aktualisierten Fassungen auf dem neuesten Stand der Entwicklung in den jeweiligen Arbeitsgebieten vor.

Die Psychoneuroimmunologie (PNI) hat sich seit den (Wieder-)Anfängen[1] in den 70er- und 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts von einem eher grundlagenwissenschaftlich orientierten interdisziplinären Forschungsgebiet inzwischen zu einer in ersten Ansätzen auch klinisch relevanten Disziplin entwickelt. Dies demonstrieren die hier publizierten Arbeiten deutlich.

Stockhorst u. Kosterhalfen [4] stellen in ihrer Übersicht ein beeindruckendes Spektrum von Arbeiten zur klassischen aber auch instrumentellen Konditionierung von Immunfunktionen vor. Konditionierungen humoraler wie zellulärer Immunparameter und zwar nicht nur im Tierexperiment, sondern auch in Humanstudien belegen heute die Gültigkeit dieses Konzeptes. Konsequent darauf aufbauend sind Konditionierungsstudien in klinisch relevanten Tiermodellen durchgeführt worden, aber auch in einigen Humanstudien. Die klinisch orientierte Umsetzung der klassischen Konditionierung wird in Tiermodellen für Autoimmunerkrankungen, Abstoßungsreaktionen bei Organtransplantationen sowie Tumorerkrankungen demonstriert. Bei Autoimmunerkrankungen und Abstoßungsreaktionen werden immunsuppressive Effekte konditioniert, welche es prinzipiell ermöglichen würden, die Dosis immunsuppressiver Therapien, z. B. bei Patienten nach einer Organtransplantation zu reduzieren. Die in dieser Arbeit dargestellte klinische Bedeutung der Konditionierung einer antizipatorischen Immunreaktion bei chemotherapierten Tumorpatienten ist heute noch nicht absehbar.

Die Arbeit von Arolt u. Rothermundt [2] gibt eine Übersicht über die in der PNI inzwischen durchgeführten Studien der Psychiatrie und zeigt deutlich, dass auch hier entscheidende Fortschritte erreicht worden sind. Gerade bei depressiven Störungen, posttraumatischen Belastungsstörungen und Schizophrenie konnte gezeigt werden, dass auch hier psychoneuroimmunologische Aspekte berücksichtigt werden müssen. Hinsichtlich der Schlafforschung stellen dies Schuld et al. [3] dar. Die Autoren konnten zeigen, dass durch die Gabe geringer Mengen Endotoxin die Freisetzung inflammatorischer Zytokine stimuliert wird. Solche Zytokine, vor allem der TNF-α, scheinen in der physiologischen Schlaf-Wach-Regulation eine zentrale Rolle zu spielen. Niemeier u. Mitarb. schließlich [5] konnten zeigen, dass der Trierer Social Stress Test ein geeignetes Instrument ist, um in einer experimentellen Stresssituation entsprechende immunologische Reaktionen zu zeigen.

In anderen Studien zur PNI bei Hautreaktionen finden sich ebenfalls solche Interaktionen [6]. Järvikallio et al. [7] konnten in einer Studie die Zusammenhänge zwischen Mastzellen, Neuropeptiden (vor allem Susbstanz P, vasoaktives intestinales Peptid [VIP] und Calcitonin gene-related peptide [CGRP]) bei chronisch entzündlichen Hauterkrankungen wie der Neurodermitis und dem nummulären Ekzem zeigen. Eine deutsche Arbeitsgruppe um Schmid-Ott [8] konnte bei Neurodermitis auch zeigen, dass in einer experimentellen Stresssituation mit dem im Heft dargestellten Trierer Social Stress Test (TSST) sich spezifisch mehr Zytokine im Plasma zeigen und auch in der Haut aktive CLA-Rezeptoren sich vermehrt finden lassen [9]. Insofern ist es dann in realen Stresssituationen nicht mehr verwunderlich, dass sich eine schon bestehende Neurodermitis verschlechtert, wie die Untersuchung von Kodami et al. [10] von Erdbebenopfern mit Neurodermitis in Japan unter dieser Stresssituation zeigte.

Wir können also mittels der vorliegenden Studien aus dem Bereich der Psychoneuroimmunologie ableiten, dass es einen teilweise spezifischen, teilweise unspezifischen Zusammenhang von Gefühlen und Affekten und immunologisch beeinflussbaren Erkrankungen wie z. B. Psoriasis oder Neurodermitis gibt. „Molekulare Psychosomatik” wäre also die Wissenschaft, die versucht auf dieser molekularen Ebene psychosomatische Zusammenhänge erklärbar und verstehbar zu machen.

Literatur

  • 1 Schedlowski M, Tewes U. Psychoneuroimmunologie. Heidelberg, Berlin, Oxford; Spektrum Akademischer Verlag 1996
  • 2 Arolt V, Rothermundt M. Psychische Erkrankungen und Immunsystem.  Psychother Psych Med. 2005;  55 29-35
  • 3 Schuld A, Haack M, Hinze-Selch D. et al . Experimentelle Untersuchungen der Interaktion zwischen Schlaf und Immunsystem beim Menschen.  Psychother Psych Med. 2005;  55 29-35
  • 4 Stockhorst U, Klosterhalfen S. Lernpsychologische Aspekte in der Psychoneuroimmunologie (PNI).  Psychother Psych Med. 2005;  55 5-19
  • 5 Niemeier V, Schill W B, Klein H. et al . Psychoimmunologie bei chronischen Hauterkrankungen - Stress und Psoriasis.  Psychother Psych Med. 2005;  55 20-28
  • 6 Scholzen T, Armstrong C A, Bunnett N W. et al . Neuropeptides in the skin: interactions between the neuroendocrine and the skin immune system.  Exp Dermatol. 1998;  7 81-96
  • 7 Jarvikallio A, Harvima I T, Naukkarinen A. Mast cells, nerves and neuropeptides in atopic dermatitis and nummular eczema.  Arch Dermatol Res. 2003;  295 2-7
  • 8 Schmid-Ott G, Jäger B, Meyer S. et al . Different expression of cytokine and membrane molecules by circulating lymphocytes on acute mental stress in patients with atopic dermatitis in comparison with healthy controls.  J Allergy Clin Immunol. 2001;  108 455-462
  • 9 Schmid-Ott G, Jaeger B, Adamek C. et al . Levels of circulating CD8+ T lymphocytes, natural killer cells and eosinophils increase upon acute psychosocial stress in patients with atopic dermatitis.  J Allergy Clin Immunol. 2001;  107 171-177
  • 10 Kodama A, Horikawa T, Suzuki T. et al . Effects of stress on atopic dermatitis: Investigations in patients after the great Hanshin earthquake.  J Allergy Clin Immunol. 1999;  104 173-176

1 Erste Ansätze gab es bereits in den 20er- und 30er-Jahren, vgl. Solomon GG. The development and history of Psychoneuroimmunology. In: Koenig HG, Cohen HJ (eds): The link between religion and health. Psychoneuroimmunology and the faith factor. New York: Oxford University Press, 2002.

Prof. Dr. med. Uwe Gieler

Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie · Justuts-Liebig-Universität

Ludwigstraße 76

35392 Gießen

Email: uwe.gieler@psycho.med.uni-giessen.de

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