Zusammenfassung
Die Entwicklung der modernen Medizin sowie die Verbesserung des Rettungssystems haben
dazu geführt, dass immer mehr Menschen die Akutphase schwerer Erkrankungen und Verletzungen
überleben. Die frühe rehabilitative Versorgung dieser oft schwer geschädigten Patienten
im Akutkrankenhaus war aber lange Zeit unzureichend. Dass durch eine frühzeitige und
umfassende Rehabilitation Patienten häufig sehr viel früher und mit weniger Gesamtaufwand
wieder in ein selbstständiges Leben zurückgeführt werden können, ist heute unbestritten.
Seit den 80er-Jahren wurden in Deutschland zunehmend bettenführende Abteilungen für
die Frührehabilitation eingerichtet. Mit In-Kraft-Treten des SGB IX wurde die Frührehabilitation
im Krankenhaus im Juli 2001 auch sozialrechtlich verankert. Allerdings war Frührehabilitation
seitens des Gesetzgebers zu diesem Zeitpunkt nicht definiert, allgemein anerkannte
Indikationskriterien für diese Leistung fehlten, und die Leistungsinhalte waren nicht
bestimmt. Die Methodengruppe „Frührehabilitation im Krankenhaus”, ein Zusammenschluss
interessierter Sachverständiger aus verschiedenen Bereichen der Frührehabilitation,
setzte sich zum Ziel, einen konzeptionellen und begrifflichen Grundkonsens fachübergreifend
für alle Bereiche der Frührehabilitation im Krankenhaus zu erarbeiten. Die Entwicklung
der Definitionen und Kriterien erfolgte unter Verwendung eines modifizierten Delphi-Verfahrens.
Mit der vorliegenden Publikation informiert die Gruppe über ihre Tätigkeit und deren
Ergebnisse. Das Indikationskriterium Frührehabilitationsbedürftigkeit wird anhand
von Fallbeispielen typischer Schädigungskonstellationen veranschaulicht. Darüber hinaus
enthält der Bericht eine Inventur weiterer Probleme auf dem Gebiet der Frührehabilitation,
für die zukünftig eine Lösung zu finden sein wird.
Abstract
As a result of the continuing development in recent medicine, and improvements of
emergency services, an increasing number of patients are surviving serious disease
and injury. This has increased the need for rehabilitation, starting already during
the acute hospital stay. Early identification and rehabilitation may reduce overall
costs and help patients to regain independence earlier. Since the eighties specialized
early post-acute rehabilitation units have been increasingly implemented in German
hospitals. With book 9 of the German Social Code (SGB IX) coming into effect in July
2001, early post-acute rehabilitation care in hospitals became accepted as a social
right. However, the specifics of early rehabilitation care have not been defined.
There is a lack of generally accepted indication criteria for early rehabilitation
services. Similarly, the aims, objectives and methods need to be specified. It was
the objective of a group of interested experts from different fields and backgrounds
to achieve an interdisciplinary consensus in terms of conceptual definitions and terminology
for all early rehabilitation care services in the acute hospital. The development
of the definitions and criteria was achieved by using a modified Delphi-technique.
By publishing this paper the group is providing information about its activities and
results. Examples of typical cases from the various fields of early rehabilitation
care were identified and described. Furthermore, the report points out a number of
other problems in the area of early rehabilitation care, which have yet to be solved.
Schlüsselwörter
Rehabilitation - Krankenhaus - schwere, potenziell zu bleibenden Behinderungen führende
Erkrankungen und Verletzungen - chronische Erkrankungen - Frührehabilitation
Key words
Rehabilitation - hospitals - severe, potentially disabling diseases and injuries -
chronic disease - early post-acute rehabilitation
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1 Gesundheitsproblem (health condition) ist gemäß der ICF-Terminologie ein Oberbegriff
für (akute oder chronische) Krankheiten, Gesundheitsstörungen, Verletzungen oder Traumata
[10 ]. Gesundheitsprobleme werden nach der ICD-10 kodiert.
2 Funktionsfähigkeit (functioning) ist gemäß der ICF-Terminologie ein Oberbegriff für
Körperfunktionen, Körperstrukturen, Aktivitäten und Partizipation. Sie bezeichnet
die positiven Aspekte der Interaktion zwischen einer Person (mit einem Gesundheitsproblem)
und ihren Kontextfaktoren (umwelt- und personbezogene Faktoren) [10 ].
3 Der akutmedizinische Behandlungsbedarf kann entstehen durch ein akutes Ereignis (Erkrankung,
Unfall), Komplikationen bei einer akuten Erkrankung oder einem Unfall, Exazerbationen
einer chronischen Erkrankung bzw. bei (geriatrietypischer) Multimorbidität.
4 Mithilfe rehabilitationsmedizinischer Maßnahmen sollen die (voraussichtlich) nicht
nur vorübergehenden Beeinträchtigungen der Funktionsfähigkeit minimiert werden. Es
besteht die Notwendigkeit, neben der üblichen diagnostischen und therapeutischen Infrastruktur
des Krankenhauses ein in quantitativer und qualitativer Hinsicht spezifisches rehabilitationsmedizinisches
Angebot in Anspruch zu nehmen.
5 Der Begriff „nicht nur vorübergehend” soll zum Ausdruck bringen, dass es sich hierbei
nicht um solche „vorübergehenden” Beeinträchtigungen handelt, die bei jeder akuten Erkrankung
auftreten können, jedoch nach Heilung ohne weiteres Zutun wieder verschwinden.
6 Relevant ist hier primär im Sinne von schwerwiegend komplex zu verstehen, wobei nicht
nur der klinische Schweregrad, sondern auch die Kontextfaktoren (umwelt- und personbezogene
Faktoren) zu beachten sind.
Prof. Dr. med. Gerold Stucki
Klinik und Poliklinik für Physikalische Medizin und Rehabilitation · Ludwig-Maximilians-Universität
Marchioninistraße 15
81377 München
eMail: gerold.stucki@med.uni-muenchen.de