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DOI: 10.1055/s-2004-835234
Wie erleben Angehörige die neuropsychiatrische Symptomatik von Patienten mit primären Hirntumoren oder Hirnmetastasen?
Krankheiten, die das ZNS betreffen, sind meistens komplex und werden als besonders fremd erlebt. Wir wissen wenig über das Erleben der Angehörigen, wenn ein Mensch Krebs und eine schwere neuropsychiatrische Beeinträchtigung durch den Tumor hat. Eine Annäherung an die Reaktionsmöglichkeiten auf diese besondere Belastung wird versucht auf der Basis von Interviews mit Angehörigen und anhand des Transaktionalen Modells der Stressbewältigung von Lazarus und Folkman. Nach diesem Modell ist die Antwort, die ein Mensch auf eine Belastungssituation gibt, abhängig von der individuellen Bewertung der Anforderung einerseits und der Ressourcen andererseits.
Hinsichtlich der Bewertung der Anforderung („primary appraisal“) sind diese Menschen oft in einer schwierigen Ausgangslage. Bei Hirntumorkranken und ihren Angehörigen gibt es manchmal schon vor der Diagnose eine Kränkungsgeschichte, die durch die neuropsychiatrische Symptomatik entsteht. Die Erstdiagnose „Hirntumor“ kann auf Angehörige eine „hypnotische“ Wirkung haben. Betreuer kommen bei Menschen mit Hirntumoren sehr schnell in die Situation, Verantwortung übernehmen zu müssen für die Aktivitäten des täglichen Lebens, für Entscheidungen hinsichtlich der Behandlung, oder auch, um Informationen zu erhalten.
Im Wissen um die Bedeutung der Bewertung der Ressourcen („secondary appraisal“) können professionelle Betreuern unterstützend sein für die Angehörigen. Externe Ressourcen sind Informationen: über Krankheitsverlauf, Behandlungsoptionen, Symptomkontrolle; dann auch Kenntnis der Unterstützungsmöglichkeiten für den Kranken und für sich selber, Instruktionen, wie man mit neurologischen Defiziten umgehen kann. Es gibt Studien, nach denen Menschen, die einen Angehörigen mit neuropsychiatrischer und kognitiver Beeinträchtigung betreuen, weniger Hilfe von der Familie und von Freunden erhalten als andere. Personelle Ressourcen (familiäre und professionelle) sind also aktiv zu suchen, damit die Verantwortungsbereiche auf mehrere Schultern verteilt werden können.
Unter den internen Ressourcen ist das psychologische Konzept des „Mastery“ besonders relevant und gefährdet, also die interne Handlungskontrolle, die jemand hat gegenüber dem, was ihm begegnet, die Kompetenz und der Selbstwert. Im Sinne der Gefährdung der physischen Gesundheit ist physische Unterstützung von großer Bedeutung.
Aufgrund einiger besonderer Bedingungen, mit denen Angehörige von Menschen mit neuropsychiatrischen Beeinträchtigungen durch Hirntumoren konfrontiert sind, ist der genaue und achtsame Blick auf die Bedeutung, die diese Erkrankungen für die Angehörigen haben, richtungweisend: ob es möglich ist, dass Menschen mit Hirntumoren die letzte Lebenszeit in der häuslichen Umgebung verbringen können; wie Angehörige diese Zeit erleben, wenn eine stationäre Betreuung notwendig ist; wie sie aus diesem schwierigen Prozess herausgehen und nach dem Tod ihres Angehörigen weiterleben können.