Zeitschrift für Palliativmedizin 2004; 5 - P4
DOI: 10.1055/s-2004-835238

Wandel von Behandlungszielen in der Palliativmedizin – Ein Fallbericht

H Reineke-Bracke 1, F Elsner 1, L Radbruch 1
  • 1Klinik für Palliativmedizin am Universitätsklinikum Aachen

In der Behandlung unheilbarer, die Lebenszeit begrenzender Erkrankungen wird häufig eine zunächst sinnvolle Therapie abgebrochen, weil sie im Verlauf zu belastend wird und mögliche Vorteile für den Patienten immer weiter in den Hintergrund treten. Neue Therapieziele müssen dann oft festgelegt werden. Ein wesentlicher Aspekt der Palliativmedizin ist daher die Verständigung mit dem Patienten und dessen Angehörigen über sinnvolle Behandlungsziele, die im wesentlichen vom Zustand des Patienten abhängen und sich rasch ändern können.

Fallbericht: Eine 40-jährige Patientin war an einem malignen Melanom in der linken Axilla erkrankt. Zunächst standen mit dem Ziel der Heilung Operation, Bestrahlung und Chemotherapie im Vordergrund der Behandlung. Nach einem Rezidiv mit diffuser Metastasierung waren insbesondere Schwäche und Müdigkeit im Sinne eines Fatigue-Syndrom vorrangige Behandlungsgründe. Die Patientin wurde nach anfänglich ambulanter Betreuung durch die Klinik für Palliativmedizin auch mehrfach stationär behandelt. Zunächst erfolgte durch eine medikamentöse Therapie mit Modafinil sowie durch Physiotherapie und Lymphdrainage eine Verbesserung der Symptome. Dieser Behandlungserfolg war jedoch von kurzer Dauer, die Versorgung des Haushalts und die Betreuung ihrer 11-jährigen Tochter war der Patientin bald nicht mehr möglich. Es wurde im weiteren Verlauf in intensiven Gesprächen versucht, eine Akzeptanz für die herabgesetzte Leistungsfähigkeit zu erreichen. Zunehmende Schmerzen führten außerdem zu einer Erhöhung der bereits vorhandenen Opioid-Medikation. Schmerzlinderung wurde nun oberstes Behandlungsziel, Müdigkeit und Aktivitätsverlust als Nebenwirkung wurden seitens der Patientin jetzt toleriert. Rasches Wachstum des Lokalrezidivs führte zu Blutungen und Ulcerationen, was die Patientin mit Angst und Unruhe erfüllte, und eine leichte Sedierung mit Benzodiazepinen nach längerer Beratung sinnvoll erscheinen ließ. Die Patientin hatte mittlerweile ihre Pflegebedürftigkeit akzeptiert und wollte ihre letzten Lebenstage zu Hause verbringen. Sie wurde entlassen und noch eine Woche durch einen ambulanten ärztlichen „Home-Care“ Dienst versorgt, bevor sie im Kreis ihrer Familie verstarb.

Im dargestellten Fall stand zunächst die Behandlung des Fatigue-Syndroms im Vordergrund. Im Laufe der Betreuung änderten sich die Symptome dahingehend, dass sich ein zunächst zu behandelndes Symptom, die Müdigkeit (bzw. Fatigue), im weiteren Verlauf aufgrund voranschreitender Erkrankung und auftretender Schmerzen in eine akzeptierte Nebenwirkung wandelte und zuletzt sogar einen erwünschten Zustand darstellte.

Behandlungsziele können sich im Verlauf einer Erkrankung verändern. Die Anpassung von Therapiezielen an die Bedürfnisse des Patienten ist ein dynamischer Prozess und setzt neben der Analyse der klinischen Situation einen kontinuierlichen Dialog zwischen Patient und Behandler voraus.