Aktuelle Rheumatologie 2005; 30(1): 13-14
DOI: 10.1055/s-2005-857944
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Das Sjögren-Syndrom - Lebensqualität im Fokus einer komplexen Behandlungsstrategie

Sjögren’ Syndrome - Quality of Life as a Focus in a Complex Therapeutic StrategyCh Tomiak1
  • 1Rehabilitationsklinik Wendelstein der BfA, Rheumazentrum AHB, Bad Aibling
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Publication Date:
21 February 2005 (online)

Das nach Henrik Sjögren benannte Syndrom, erstmals 1933 vorgestellt [4], wurde im angloamerikanischen Sprachraum bis zur Übersetzung von Sjögren’s Dissertation 1943 durch den australischen Ophthalmologen Bruce Hamilton [2] überhaupt nicht wahrgenommen und auch später in Forschung und Wissenschaft vernachlässigt. H. Sjögren blieb eine Universitätslaufbahn lange Jahre verwehrt, da er für die Dissertation „lediglich” die Note 1,5 (Skala von 1 bis 3) erhielt. Erst 1961 - im Alter von 62 Jahren - erhielt er einen Ruf an die Universität von Göteborg (Honorarprofessur; [1]).

In den 50er- und 60er-Jahren des 20. Jahrhunderts wurde das Konzept der „Kollagenerkrankungen” etabliert [3] und die Kenntnisse immunologischer Vorgänge wuchsen in den folgenden Jahrzehnten. Im Rahmen dieser Entwicklung wurde die durch Trockenheit von Schleimhäuten charakterisierte Krankheit dieser heterogenen Gruppe von Autoimmunerkrankungen zugeordnet. Im Gegensatz zur jahrzehntelangen eher „kümmerlichen” wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Sjögren-Syndrom steht dessen Prävalenz, die es zu einer der häufigsten entzündlich-rheumatischen Immunopathien macht. Im Vergleich zur chronischen Polyarthritis und zum systemischen Lupus erythematodes fand das primäre Sjögren-Syndrom lange Zeit in der Grundlagen- wie in der klinischen Forschung weltweit relativ wenig Aufmerksamkeit. Spezialisierte fachübergreifende Forschungszentren existieren heute, nur in wenigen Ländern (z. B. Sjögren-Syndrome-Research-Centre Malmö, Schweden; Sjögen’s Syndrome Clinic Bethesda, USA).

Betroffene Patientinnen und Patienten leiden unter einer nicht optimalen Infrastruktur: Hausärzte sind in der Regel überfordert, da die Erkrankung in der Allgemeinarztpraxis selten (?) vorkommt. Ähnliches gilt für andere Fachdisziplinen wie die Augen- und Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, die von den Patienten nicht selten primär wegen der Manifestationen aufgesucht werden.

Internistische Rheumatologen stellen die Diagnose meist rasch. Nicht selten „resignieren” die behandelnden Kollegen und „flüchten” sich in diagnostischen und therapeutischen Nihilismus.

Woran liegt es, dass das Sjögren-Syndrom zum einen wenig bekannt ist, zum anderen wenig Aufmerksamkeit genießt? Ist es der unspektakuläre Verlauf, der es selten notwendig macht, immunsuppressive Medikamente einzusetzen? Sind es die frustranen therapeutischen Bemühungen, durch unterschiedliche Maßnahmen die Trockenheit zu bessern?

Da nach wie vor keine international uneingeschränkt anerkannten Klassifikationskriterien existieren, fällt es zudem schwer, epidemiologische Daten zu erheben und Therapiestudien zu initiieren. Fortschritte sind durch einen neuen US-amerikanisch-europäischen Konsens erreicht worden.

Besonderheiten des Sjögren-Syndroms stellen an die Improvisationsfähigkeit und das Engagement des spezialisierten Internisten hohe Ansprüche: Das Hauptsymptom „Trockenheit” erfordert Fachwissen anderer Spezialisten wie der Ophthalmologen, Otorhinolaryngologen, Pulmonologen, Dermatologen, Gynäkologen und von Zahnärzten. Um Krankheitsmanifestationen oder Komplikationen zu diagnostizieren und zu behandeln, sind beispielsweise nephrologische, gastroenterologische, hämatologische und neurologische Kenntnisse wichtig. Als Beispiele seien die distale tubuläre Azidose, die primär-biliäre Zirrhose, das Non-Hodgkin-Lymphom sowie eine periphere oder zentrale Neuropathie genannt. Keine andere Kollagenose muss von derart vielen Arztgruppen behandelt werden, deren Koordination eine wesentliche Aufgabe des internistischen Rheumatologen darstellt. Er ist der wichtigste Ansprechpartner für die Betroffenen und muss aus der differenziert - und geduldig - erhobenen Anamnese ein individuelles Therapiekonzept entwickeln. Insbesondere die gezielte symptomatische Therapie wird häufig vernachlässigt. Beispielsweise wird die Dyspareunie - ohne gezielte Nachfrage häufig nicht erkannt. Auch sind Kenntnisse der korrekten Anwendung von Augentropfen, Grundlagen der Inhalationstherapie, spezielles Wissen um eine differenzierte, die Trockenheit nicht verstärkende Schmerztherapie oder eine Stufentherapie des Raynaud-Phänomens hilfreich, um die Lebensqualität der Patientinnen und Patienten zu verbessern.

Das vorliegende Themenheft der „Aktuellen Rheumatologie” dokumentiert mit Beiträgen deutscher und europäischer, in Diagnose und Behandlung der Erkrankung erfahrener Spezialisten den aktuellen Wissensstand unterschiedlicher Aspekte des Sjögren-Syndroms.

Aufbauend auf dem jetzigen Kenntnisstand über Pathogenese, Ätiologie, Epidemiologie und Prognose werden Klassifikationen und diagnostische Möglichkeiten erörtert. Die Ätiopathogenese wird in einer Übersichtsarbeit von Vitali et al. (s. S. 15) dargestellt. Die gegenwärtigen Vorstellungen über die pathophysiologischen Vorgänge auf zellulärer Ebene ergänzen die Ausführungen in einer weiteren Darstellung. Diese wird vor allem für forschende Kollegen von Interesse sein (Bredberg et al. [s. S. 23]). Es folgt die Darstellung zahnärztlicher, ophthalmologischer, neurologischer und gynäkologischer Aspekte des Sjögren-Syndroms, die ein Bild des sehr breiten Symptomenspektrums dieser Krankheit vermittelt und den Internisten und internistischen Rheumatologen dazu motivieren soll, sich mit nicht internistischen Diagnose- und Behandlungsmethoden zu beschäftigen.

In den einzelnen Abschnitten, die sich teilweise überlappen und auch an anderer Stelle schon Erwähntes aufführen, wurde bewusst auf Kürzungen verzichtet. Zwei ausschließlich therapeutisch ausgerichtete Beiträge - der ophthalmologische, der sich an den für die Sjögren-Patienten häufig im Vordergrund stehenden Augenproblemen orientiert - und ein internistisch-rheumatologischer, der sich mit den immunsuppressiven bzw. immunmodulierenden Möglichkeiten, die Sicca-Symptomatik zu bessern, beschäftigt, runden das Themenheft ab.

Ziel dieses Heftes ist es, das vergleichsweise häufige Krankheitsbild „Sjögren-Syndrom” durch Beiträge für alle beteiligten Ärzte (und damit letztlich betroffenen Patienten) transparenter zu machen. Der Erkrankung, die durch die Trockenheit zu einer erheblichen Einschränkung der Lebensqualität führt, sollte sowohl von forschenden wie auch von praktizierenden Kollegen ein größeres Interesse entgegengebracht werden.

Wir freuen uns sehr, dass wir für dieses Themenheft internationale Spezialisten auf diesem Gebiet gewinnen konnten. In zwei Fällen haben wir uns daher auch entschlossen, die Arbeiten in der Originalsprache - englisch - zu belassen und um eine deutsche Zusammenfassung zu ergänzen. Wir wünschen eine interessante Lektüre.

Literatur

  • 1 Carlsson M. Henrik Sjögren - A medical historical presentation; State of the Art Lecture on Sjögren’s Syndrome.  Hygiea. 1999;  108 (part 1) , http://www.sjogrensyndrom.se/100-site/index100.tml
  • 2 Hamilton J B. A new conception of Kertoconjunctivitis sicca (keratitis filiformis in hypofunction of the lacrimal glands). Sydney; Australasian Medical Publishing Company 1943
  • 3 Klemperer P. The concept of collagen disease.  Am J Pathol. 1950;  26 (4) 505-519
  • 4 Sjögren H. Zur Kenntnis der Keratoconjunctivitis sicca.  Acta Ophthalmol. 1933;  Suppl. 11 1-151

Dr. med. Christian Tomiak

Internist - Rheumatologe, Oberarzt der Rehabilitationsklinik Wendelstein, Rheumazentrum - AHB

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