Suchttherapie 2005; 6(1): 20-27
DOI: 10.1055/s-2005-858026
Schwerpunktthema

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Jugendliche und junge Erwachsene in der ambulanten Suchthilfe. Empirische Befunde vor dem Hintergrund des Kinder- und Jugendhilfegesetzes

Adolescents and Young Adults in Outpatient Addiction Services. Empirical Findings against the Background of the Act of Help for Children and Young PeopleJ. Kalke1 , C. Schütze1 , M. Kloss1 , M.-S Martens1 , P. Raschke1
  • 1Institut für interdisziplinäre Sucht- und Drogenforschung (ISD), Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des UKE, Hamburg
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Publication Date:
18 March 2005 (online)

Zusammenfassung

Dieser Beitrag beschäftigt sich mit der Frage, welche Bedeutung Jugendliche und junge Erwachsene für die ambulante Suchthilfe besitzen. Diese Fragestellung hat vor dem Hintergrund des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (KJHG) eine versorgungspolitische Relevanz, denn es wird immer wieder diskutiert, ob die ambulante Suchthilfe auch Aufgabenbereiche der erzieherischen Hilfen und Jugendhilfen wahrnimmt und ob es spezielle Angebote für drogengebrauchende Jugendliche geben sollte, die nach dem KJHG finanziert werden. Als empirische Grundlage für die Analyse wurden Daten aus Schleswig-Holstein ausgewertet. Dort findet seit einigen Jahren ein systematisches Monitoring der Klienten und Tätigkeiten der ambulanten Suchthilfe statt. Die statistische Analyse zeigt, dass es sich bei 5 % der Klienten um Jugendliche (14 bis 17 Jahre) und bei 19 % um junge Erwachsene (18 bis 26 Jahre) handelt. Die „Konsumprofile” dieser beiden Gruppen weichen stark voneinander ab; bei der erstgenannten Gruppe dominieren die Cannabisgebraucher, in der zweiten gibt es viele Heroinabhängige. Entsprechend stellt sich die soziale Situation dar: Die meisten Jugendlichen sozial integriert; bei den 18- bis 26-Jährigen befindet sich dagegen ein erheblicher Teil in einer schlechten sozialen Lage. Ebenfalls ist das Inanspruchnahmeverhalten beider Gruppen verschieden: Die Jugendlichen sind deutlich kürzer, mit weniger Kontakten und geringerem Zeitaufwand in einer Betreuung als die jungen Erwachsenen. Vor diesem empirischen Hintergrund wird eine (theoretische) Zuordnung der Klientel und der empfangenen Hilfen zum Leistungskatalog des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (KJHG) vorgenommen. Damit soll eine Grundlage für weitere Diskussionen um die Aufgabenverteilung von Sucht- und Jugendhilfe sowie die Weiterentwicklung spezifischer Angebote geschaffen werden.

Abstract

The present article focuses on adolescents and young adults and their importance in the context of outpatient addiction support services. Against the background of the Act of Help for Children and Young People (Kinder- und Jugendhilfegesetz - KJHG), this is a highly relevant issue in the field of health care policy. There is an ongoing discussion whether outpatient addiction support should include responsibilities of educational and youth services and whether there should be special programmes for drug using adolescents funded according to the KJHG. The analysis is based on empirical data from Schleswig-Holstein, where systematic monitoring of clients and activities of outpatient addiction services has been going on since a few years. The statistical analysis shows that 5 % of the clients are adolescents (14 - 17 years) and 19 % young adults (18 - 26 years). Both groups strongly differ in their consumption profiles; cannabis users are predominant in the first group and there are many heroin users in the second group. The social situation corresponds to this finding: Most adolescents are socially integrated; in the age group 18 - 26 years, a considerable number lives in adverse social conditions. The utilisation of support facilities is also different in both groups: Adolescents utilise care facilities for considerably shorter periods, with fewer contacts and in a less time consuming way than young adults. Against this empirical background, clients and the support they received are (theoretically) assigned to the service catalogue of the Act of Help for Children and Young People (KJHG) with the aim to build a basis for further discussions concerning the task distribution of addiction support services and help for young people as well as the development of specific help offers.

Literatur

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  • 7 Kalke J, Martens M S, Schütze C. et al .Die Lebenssituation der Klientinnen und Klienten in Stadt und Land. Moderne Dokumentation in der ambulanten Suchtkrankenhilfe (Band III). Kiel; Eigenverlag 2003

1 Der Sachverhalt, dass es weniger Betreuungen als Klienten gibt, erklärt sich daraus, dass in den ersten Jahren (97-99) noch keine Betreuungen dokumentiert worden sind.

2 Wegen einer bestehenden Nikotinabhängigkeit sucht kaum ein Jugendlicher oder ein junger Erwachsener eine ambulante Suchthilfeeinrichtung auf. Die Fallzahl ist hier kaum messbar; sie lag zum Beispiel für das Jahr 2002 unter 10 Personen (für beide Kategorien zusammengenommen).

3 Es sei in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass es in der Praxis häufiger vorkommen dürfte, dass für volljährige Klienten Eingliederungshilfen (z. B. Betreutes Wohnen) nach Bundessozialhilfegesetz (BSHG § 39/40) bei den zuständigen Kostenträgern beantragt werden.

4 Natürlich könnte auch bei dieser Klienten-Gruppe in Einzelfällen der § 35 a KJHG zum Tragen kommen, da dieser schon gilt, wenn Kinder und Jugendliche von einer seelischen Behinderung bedroht sind (= Suchtgefährdung). Um hierzu eine genauere quantitative Abschätzung vornehmen zu können, müssten jedoch zusätzliche Informationen über die psychische Situation und die konkreten Konsummuster der Klienten vorliegen.

6 Der angegebene Wert sagt nichts darüber aus, ob die Vermittlung tatsächlich stattgefunden hat oder nicht. Es geht hier um den Leistungstyp. Außerdem ist anzumerken, dass die abweichenden Prozentangaben im Vergleich zu den noch folgenden Auswertungen zu den Vermittlungen (siehe weiter unten) aufgrund unterschiedlicher Fallzahlen und Dokumentationsbereiche (Leistungskatalog, Behandlungsmodul) zustande kommen. Die Grundaussagen sind aber bei beiden Auswertungen identisch und empirisch valide.

Dr. Jens Kalke

Institut für interdisziplinäre Sucht- und Drogenforschung (ISD), Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des UKE

Martinistraße 52

20246 Hamburg

Email: KalkeJ@aol.com

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