Suchttherapie 2005; 6(1): 11-19
DOI: 10.1055/s-2005-858037
Schwerpunktthema

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Interdependente Muster im Parallelgebrauch mehrerer Alltagsdrogen bei Jugendlichen - Grundlagen, Analysen, Konsequenzen

Interdependent Patterns of Co-Occurrent Use of Several Everyday Drugs by Adolescents - Basic Facts, Data Analyses, and ConsequencesM. Klein1
  • 1Katholische Fachhochschule Nordrhein-Westfalen, Forschungsschwerpunkt Sucht, Köln
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Publication Date:
18 March 2005 (online)

Zusammenfassung

Jugendliche zeigen in Deutschland einen hohen Konsum von psychoaktiven Substanzen und weisen vor allem in Bezug auf Tabak und Alkohol einen frühen Einstieg auf. Weitgehend unbeachtet ist bislang jedoch die Interdependenz des Konsums verschiedener Substanzen in der Frühphase des Erwerbs der Konsumgewohnheiten geblieben. Für diejenigen Jugendlichen im Alter zwischen 11 und 16 Jahren, die an einer großen repräsentativen Untersuchung an Schulen in NRW teilgenommen haben, fanden sich für die Starkkonsumenten von Tabak und Alkohol Interdependenzen hochfrequenten Konsums zwischen 26,1 % (Tabak - Alkohol) und 53,2 % (Alkohol - Tabak). Starkkonsumenten von Alkohol oder Tabak weisen jeweils zu etwa einem Drittel auch regelmäßigen Cannabiskonsum auf. Die Interdependenzen zwischen starkem Alkohol- und Tabakkonsum, starkem Alkohol- und Cannabiskonsum sowie starkem Tabak- und Cannabiskonsum sind für männliche Jugendliche deutlich höher als für weibliche Jugendliche. Lediglich die Interdependenz zwischen starkem Tabak- und starkem Alkoholkonsum weist keine geschlechtsspezifischen Unterschiede auf. Präventions- und Hilfemaßnahmen müssen sich stärker auf Jugendliche mit starkem Parallelkonsum verschiedener Substanzen konzentrieren, geschlechtsspezifische Besonderheiten berücksichtigen, frühzeitig und umfassend einsetzen, um entscheidende und dauerhafte Veränderungen zu erreichen. Eine der wichtigsten präventiven Aufgaben ist der Erwerb affektiver Selbstkontrolle und -steuerungsfähigkeit.

Abstract

In Germany, children and adolescents display a high rate of substance use, esp. of tobacco and alcohol. However, little attentionhas been paid so far to the interdependence of concurrent substance use in the early phase of acquiring substance use habits. The results of a large study on minors aged 11 to 16, representatively drawn from the student population in North Rhine-Westphalia are reported. For the heavy tobacco and alcohol users, there is a concurrence rate of 26.1 % (tobacco-alcohol) and 53.2 % (alcohol-tobacco) respectively. One third of the high-frequency users of alcohol or tobacco are also regular cannabis users. Interdependence between heavy alcohol and tobacco use, alcohol and cannabis use, and tobacco and cannabis use is much higher in young males than in young females. Only the interdependence between heavy tobacco and alcohol use does not present any gender differences. Prevention and support programmes must focus more strongly on minors with concurrent use of several substances taking gender specific differences into consideration. Interventions must start early and should be comprehensive in order to reach decisive and permanent changes. One of the most important preventive measures is to encourage minors to acquire affective self control and self management.

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Prof. Dr. Michael Klein

Katholische Fachhochschule Nordrhein-Westfalen, Forschungsschwerpunkt Sucht

Wörthstraße 10

50668 Köln

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