Rofo 2005; 177(9): 1308-1309
DOI: 10.1055/s-2005-858502
Der interessante Fall

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

MR-tomographische Darstellung einer kongenitalen Samenblasenzyste bei ipsilateraler Nierenagenesie mit Ureterozele als seltene Differenzialdiagnose eines Prostatatumors

F. Berg1 , C. Ohlmann1 , A. Goßmann1
  • 1Köln
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eingereicht: 2.3.2005

angenommen: 10.4.2005

Publication Date:
11 August 2005 (online)

Bei der kongenitalen Samenblasenzyste handelt es sich um eine seltene urogenitale Missbildung, welche in ⅔ der Fälle mit einer ipsilateralen Nierenagenesie einhergeht.

Eine Reihenuntersuchung an Kindern mittels Sonographie ergab eine Häufigkeit von 0,0023 % [Sheih et al. J Urol 1990; 144: 324 - 327], wobei die tatsächliche Prävalenz noch höher liegen dürfte, da die Symptome meist erst postpubertär in der zweiten und dritten Lebensdekade auftreten. Die Erstbeschreibung einer Samenblasenzyste erfolgte 1914 durch Zinner [Zinner. Wien Med Wochenschr 1914; 64: 605 - 609], seitdem wurden bis zur heutigen Zeit mehr als 100 Fälle in der Literatur beschrieben.

Die Kombination aus Samenblasenzyste und ipsilateraler Nierenagenesie erklärt sich durch die teilweise gemeinsame embryonale Entwicklung aus dem Wolff’schen Gang. Klinisch stellen sich die Patienten meist mit unspezifischen Beschwerden in Form von Dysurie, schmerzhafter Ejakulation sowie Schmerzen perineal und inguinal vor. Zur Diagnosestellung eignet sich sowohl die Schichtbilddiagnostik (Magnetresonanztomographie [MRT]/Computertomographie [CT]) als auch die transvesikale bzw. transrektale Sonographie. Die Therapie der symptomatischen Patienten besteht in einer offenen Vesikulektomie, alternativ gibt es die Möglichkeit der sonographischen Zystenpunktion, welche jedoch eine hohe Rezidivrate aufweist.

In der urologischen Ambulanz stellte sich ein 38 Jahre alter Mann mit rezidivierenden perinealen Schmerzen und Druckgefühl sowie einer chronischen Epididymitis rechts vor. Dabei ließ sich eine langjährige Anamnese eruieren, wonach der Patient, neben der unspezifischen Schmerzsymptomatik, auch wiederholt über eine schmerzhafte Ejakulation klagte. Diesbezüglich wurde bereits im Jahre 2000 eine MRT des Beckens durchgeführt, in der neben einer Nierenfehlanlage rechts auch eine ätiologisch unklare Raumforderung, dorsal an den Blasenboden angrenzend, beschrieben wurde. Zum damaligen Zeitpunkt entzog sich der Patient jedoch einer weiteren Diagnostik.

Die stationäre Einweisung durch einen niedergelassenen Urologen erfolgte aufgrund der zunehmenden Beschwerdesymptomatik zur Abklärung eines fraglichen zystischen Prostatatumors. In der transvesikalen und transrektalen Prostatasonographie zeigte sich eine echoarme Raumforderung kranial angrenzend an die Prostata mit Anhebung des Blasenbodens. Die Zystoskopie ergab eine regelrechte Lage beider Ostien ohne Nachweis einer tumorösen Läsion der Blase.

Zur weiteren Abklärung wurde eine MRT (Philips, Best, The Netherlands, Gyroscan NT, 1,0 Tesla) des Abdomens und Beckens durchgeführt. Das Abdomen wurde mit einer atemgetriggerten T2-gewichteten TSE(Turbo-Spin-Echo)-Sequenz (TR/TE: 2000/90 ms) in transversaler Schichtführung untersucht. Zur Beurteilung von Prostata und Blasenboden wurden zusätzlich hochaufgelöste T2-gewichtete Bilder (TSE-Sequenz, TR/TE: 4000/100 ms) mittels eingeführter Endorektalspule (Philips, Best, The Netherlands, Endo-cavitary coil) erstellt. Wie in Abb. [1] zu sehen, entwickelt sich aus der rechten Blasenrückwand eine scharf begrenzte, ca. 2 × 1 cm große Formation, welche ein Signalverhalten ähnlich dem der gefüllten Harnblase aufweist und nach laterokranial in eine blind endende tubuläre Struktur ausläuft. Mediodorsal davon findet sich eine zweite, eigenständige, ca. 3 × 2 cm messende zystische Raumforderung, ausgehend von dem rechten Samenbläschen. Nach Kontrastmittelgabe (Gd-DTPA, 0,1 mmol/Kg/KG, Magnevist®, Schering, Berlin) fand sich bei keiner der Läsionen eine pathologische Anreicherung. Abb. [2] zeigt die bekannte unilaterale Nierenanlage links bei leerer Nierenloge rechts. Aufgrund der MR-tomographischen Befunde wurde die Verdachtsdiagnose einer Samenblasenzyste und Ureterozele mit Ureterstumpf gestellt. Die Verdachtsdiagnose bestätigte sich in der offenen operativen Sanierung über einen pararektalen Zugangsweg. Dabei wurde neben einer Vesikulektomie eine Resektion von Ureterozele und Ureterstumpf durchgeführt. Postoperativ konnte der Patient beschwerdefrei entlassen werden.

Abb. 1 a-d Von kaudal nach kranial verlaufender Schichtstapel einer T2-gewichteten Sequenz mittels Endorektalspule. Im Blasenwandniveau lokalisierte Ureterozele (horizontaler Pfeil, 1a-c) mit blind endendem Ureterstumpf (rechteckiger Pfeil, 1b-d). Dorsokaudal angrenzende Samenblasenzyste (vertikaler Pfeil, 1a-c) neben der unauffälligen linken Samenblase. 404 × 258 mm (144 × 144 DPI).

Abb. 2 Die T2-gewichtete MR-Tomographie des Abdomens zeigt eine unilaterale Nierenanlage links mit kompensatorischer Hypertrophic bei Nierenagenesie rechts. 157 × 104 mm (300 × 300 DPI).

Die Samenblasenzyste in Kombination mit einer ipsilateralen Nierenagenesie ist eine seltene urogenitale Missbildung. Aufgrund der geringen Prävalenz der kongenitalen Samenblasenzyste und der unspezifischen Schmerzsymptomatik wird die richtige Diagnose - wie in dem hier beschriebenen Fall - oftmals nicht direkt gestellt. Die Zysten weisen dabei selten einen Durchmesser von mehr als 5 cm auf, obwohl in der Literatur bis 12 cm große Zysten beschrieben wurden [Tanagho, Walsh (eds). Campbell’s Urology. Philadelphia: Saunders, 1992: 57].

Entwicklungsgeschichtlich kommt es in der 4. Embryonalwoche zur Aussprossung der Ureterknospe aus dem paarig angelegten Wolff’schen Gang (Urnierengang), welche von ventrokaudal in das metanephrogene Blastem einwächst. Aus dieser Vereinigung entwickeln sich die Endniere und die ableitenden Harnwege. Unterbleibt diese Fusion oder erfolgt sie nur unvollständig, resultiert eine Nierenagenesie oder Dysplasie. Die Samenblase sowie der Ductus deferens und Ductus ejaculatorius entwickeln sich in der 13. Embryonalwoche als eine Ausstülpung aus dem Wolff’schen Gang. Entwicklungsanomalien, welche mit einer Stenosierung des Ductus ejaculatorius einhergehen, führen durch den Aufstau von Spermien und Sekret zur zystischen Erweiterung der Samenblase. Somit handelt es sich nicht um eine echte, mit Epithel ausgekleidete Zyste, sondern um eine Retentionszyste, deren Größe in Abhängigkeit der aufgestauten Sekretmenge variieren kann.

Symptomatisch werden die Patienten erst im frühen Erwachsenenalter nach Aufnahme der sexuellen Aktivität. Neben den unspezifischen Schmerzen in Becken-, Damm- und Leistengegend können die Patienten unter einer schmerzhaften Ejakulation, Dysurie sowie rezidivierenden Prostatitis und ipsilateralen Ependymitis leiden. Infertilität, Makrohämaturie oder Hämospermie werden dagegen selten beobachtet.

Während die Diagnose einer einseitigen Nierenanlage sonographisch leicht gestellt werden kann, entgeht eine kleinere Samenblasenzyste oft der transvesikalen Sonographie. Durch den transrektalen Ultraschall lässt sie sich jedoch in der Regel gut darstellen [Trigaux et al. J Clin Ultrasound 1991; 19: 3 - 10]. Ein intravenöses Urogramm zeigt neben der einseitigen Ausscheidung oftmals einen Füllungsdefekt der Blase im Bereich der in die Blasenwand vorgewölbten Zyste. CT und MRT bieten die Möglichkeit, sämtliche Beckenorgane überlagerungsfrei zu beurteilen. Dabei ist die Kernspintomographie mit zusätzlich eingesetzter Endorektalspule heute die Methode der Wahl. Sie erlaubt mit hochaufgelösten Bildern in multiplanarer Schnittführung eine optimale anatomische und artdiagnostische Beurteilung ohne Strahlenbelastung für den Patienten.

Zystische Veränderungen im kleinen Becken erlauben eine Reihe von Differenzialdiagnosen, neben entwicklungsgeschichtlichen Resten des Wollf’schen und Müller-Ganges kommen vor allem Läsionen der angrenzenden Strukturen wie Prostata, Samenleiter, Harnblase oder Retroperitoneum in Frage. Auch kann es sich um tumoröse Prozesse mit zystischen Komponenten handeln, diese können in der Regel durch eine kontrastmittelunterstützte MRT bzw. CT diagnostiziert werden. Dabei sollte immer eine Untersuchung des gesamten Urogenitaltrakts erfolgen, da die Kenntnis über pathologische Veränderungen des oberen Harntrakts die Differenzialdiagnosen deutlich eingrenzt.

Eine Therapie der Samenblasenzyste sollte nur bei symptomatischen Patienten erfolgen. Minimalinvasiv bietet sich eine transrektale oder transperineale Punktion der Samenblasenzyste an. Hierdurch lässt sich zwar eine sofortige Beschwerdebesserung erzielen, da es jedoch häufig zu Rezidiven kommt, ist dies nicht die Methode der Wahl. Die kurative Sanierung besteht - wie in dem hier beschriebenen Fall - in der offenen Operation über einen transvesikalen, transperitonealen oder transretroperitonealen Zugangsweg [Roehrborn et al. J Urol 1986; 135 (5): 1029 - 1032]. Dabei wird eine Vesikulektomie und falls nötig eine gleichzeitige Resektion von Ureterstumpf bzw. Ureterozele durchgeführt.

Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass bei Patienten mit einer unspezifischen Beschwerdesymptomatik im kleinen Becken an die Möglichkeit einer urogenitalen Missbildung zu denken ist und die Diagnostik den gesamten Urogenitaltrakt erfassen sollte. Findet sich zusätzlich eine unilaterale Nierenanlage, lässt sich bei zielgerichteter Untersuchung die Verdachtsdiagnose einer Samenblasenzyste oft schon durch eine transvesikuläre Sonographie stellen. Zur weiteren Diagnostik bietet sich die MRT als eine schonende Untersuchungsmethode bei hoher Aussagekraft an.

Dr. Frank Berg

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