Suchttherapie 2005; 6(4): 192-199
DOI: 10.1055/s-2005-858637
Versorgung aktuell

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Suchtspezifische Studiengänge an deutschen Hochschulen

Postgraduate Study Programs in the Addiction Field at German UniversitiesM. Klein1
  • 1Katholische Fachhochschule Nordrhein-Westfalen, Kompetenzplattform Suchtforschung, Köln
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Publication Date:
09 December 2005 (online)

Zusammenfassung

Die von der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) im April 2005 veröffentlichten „Empfehlungen zu postgradualen Curricula in der Suchthilfe” werden vorgestellt und einer kritischen Analyse unterzogen. Dies geschieht vor dem Hintergrund langjähriger Forschungs-, Praxis- und Lehrerfahrung des Autors und auf der Basis der aktuellen Diskussionen um Modernisierung und Innovationen in der Suchthilfe. Folgende Hauptkritikpunkte werden herausgearbeitet: Die Empfehlungen stellen erstens keinen ausreichenden Bezug zu Wissenschaft und Forschung in der Suchthilfe her, sind zweitens eher berufsständischer und berufspolitischer Natur, bezogen einseitig auf die Disziplin „Soziale Arbeit”, und orientieren sich drittens an einem konventionellen, restriktiven Verständnis der Suchthilfe und sind dementsprechend als Versuch zur Wahrung bestehender Strukturen und Interessen zu entlarven. Insgesamt ergibt sich, dass die Empfehlungen keinesfalls zur Analyse postgradualer Curricula in der Suchthilfe tauglich sind und daher keinen dementsprechenden Stellenwert erhalten sollten. Vielmehr sind die deutschen Hochschulen, auch in Kommunikation mit innovativen Vertretern der Suchthilfepraxis und der Weiterbildungsträger, aufgefordert, zukunftsfähige Konzepte unter Vermeidung der im Detail elaborierten Kritikpunkte zu erarbeiten bzw. fortzuschreiben. Suchthilfespezifische Studiengänge an deutschen Hochschulen machen nur Sinn, wenn es gelingt, einerseits eine durchgehende intensive Wissenschaftsorientierung sicherzustellen und andererseits einen engen Forschungs-Praxis-Transfer und vice versa zu realisieren.

Abstract

In April 2005, the "Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen" (DHS) (German office for addiction issues) published recommendations for postgraduate curricula concerning addiction support ("Empfehlungen zu postgradualen Curricula in der Suchthilfe"). These recommendations will be presented and critically analysed. The author relies on many years of experience in research, practice and lecturing, and this presentation is based upon the current discussion related to modern and innovative approaches in addiction support. Main points of criticism are, firstly, that the recommendations are not sufficiently related to science and research in the field of addiction, secondly, that they are rather related to issues of profession and policy with a bias towards "social work", and, thirdly, that they are orientated towards a conventional, restrictive interpretation of addiction support and should, accordingly, be exposed as an attempt to safeguard existing sinecures and interests. As a result, the recommendations are in no way suitable for the analysis of postgraduate curricula concerning addiction support and should, therefore, not be attributed undue importance. German universities should rather communicate with representatives of innovative practice in addiction support and those responsible for further education, in order to develop concepts for the future that avoid the critical points described hereafter. Addiction related courses of study at German universities only make sense, if we succeed, on the one hand, to assure a continuous intensive orientation towards science and, on the other hand, to realise a close transfer from research to practice and back.

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1 Aus: „Ich bin kein Anhänger von Wahrheiten”, Gespräch mit Prof. Dr. Klaus Grawe in: Report Psychologie, 2005, 30, 304 - 308.

Prof. Dr. Michael Klein

Katholische Fachhochschule Nordrhein-Westfalen, Kompetenzplattform Suchtforschung

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50668 Köln

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