Suchttherapie 2005; 6(3): 142-143
DOI: 10.1055/s-2005-858676
Nachruf

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Zum Tode von Klaus Grawe

Obituary Klaus GraweU. Koch1
  • 1Institut für Medizinische Psychologie, Zentrum für Psychosoziale Medizin
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Publication Date:
23 September 2005 (online)

Am 10.7.2005 starb Klaus Grawe im Alter von 62 Jahren in Zürich. In Wilster, Schleswig-Holstein geboren, wuchs er in Hamburg auf. Am Psychologischen Institut der Universität Hamburg studierte er von 1963 bis 1968 Psychologie, unterbrochen von einem zwischenzeitlichen Studienaufenthalt an der Universität Freiburg. Nach dem Diplom war er mehr als 10 Jahre an der Psychiatrischen Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf tätig, wo er eine Psychotherapiestation mit gemischter Orientierung gründete, mit dem Ziel vergleichende Psychotherapieforschung zu betreiben. Mit dieser Tätigkeit schuf er sich den Erfahrungshintergrund, der seine späteren Arbeiten zur Gestaltung der Psychotherapie wesentlich prägte. Bereits in dieser Zeit war er auch wissenschaftlich sehr produktiv. Er promovierte und habilitierte sich durch eindrucksvolle Arbeiten an der Universität Hamburg. 1979 folgte er dem Ruf auf den neu eingerichteten Lehrstuhl für Klinische Psychologie an der Universität Bern. Hier lehrte und forschte er bis zu seinem Tode.

Der wissenschaftliche Schwerpunkt von Klaus Grawe war über mehr als 35 Jahre die Psychotherapieforschung. In dieser Zeit hat er eine Vielzahl von wichtigen theorie- und anwendungsbezogenen Fragestellungen bearbeitet. Das Themenspektrum reicht von der Verhaltenstherapie als Gruppenbehandlung und der vertikalen Verhaltensanalyse über die Entwicklung einer allgemeinen Psychotherapie, die sich auf dem Erkenntnisstand der modernen Psychotherapieforschung und der wissenschaftlichen Psychologie begründet, bis hin zur Qualitätssicherung in der Psychotherapie und der Neukonzeption einer Neuropsychotherapie.

Die Formulierung einer allgemeinen und damit schulübergreifenden Psychotherapie war ihm ein besonderes Anliegen. Die von ihm und seinen Mitarbeitern hierzu 1994 als Grundlage vorgelegte Metaanalyse zur Wirkung von Psychotherapien stellt ein beeindruckendes Beispiel für seinen wissenschaftlichen Weitblick, seine methodologische Sorgfalt und seine Fähigkeit, aus wissenschaftlichen Ergebnissen Handlungskonsequenzen zu ziehen, dar. Die von Klaus Grawe formulierten konzeptuellen Vorstellungen zu einer empiriegestützten allgemeinen Psychotherapie haben inzwischen eine hohe Akzeptanz in der psychotherapeutischen Fachwelt erreicht. In den letzten Jahren hatte sich Klaus Grawe zur Überraschung mancher seiner Fachkollegen einem ganz neuen Thema, nämlich den neurowissenschaftlichen Grundlagen und deren Berücksichtigung bei der psychotherapeutischen Behandlung, zugewandt. Die Diskussion um seine 2004 erschienene „Neuropsychotherapie” ist sicher noch nicht abgeschlossen. Das Werk stellt aber ohne Zweifel einen wichtigen Ausgangspunkt für das Verständnis der Entstehung und der Behandlung von psychischen Störungen aufgrund der Erkenntnisse aus den Neurowissenschaften dar. Die daraus entwickelten Konzepte einer Neuropsychotherapie werden von den Mitarbeitern von Klaus Grawe weiterentwickelt werden.

Die Resonanz auf seine wissenschaftlichen Arbeiten, die mehr als 150 Beiträge in deutsch- und englischsprachigen Zeitschriften sowie 12 Bücher umfassen, war bei jedem der von ihm beforschten Themen beeindruckend. Klaus Grawe hat sich im Laufe der Jahre durch seine wissenschaftlichen Arbeiten eine hohe Anerkennung bei Fachkollegen erworben. Dies zeigen unter anderem seine zahlreichen Funktionen als Herausgeber oder Mitherausgeber von deutschen und internationalen Psychotherapiezeitschriften, Gutachtertätigkeiten und sein Engagement in Fachgesellschaften sowie akademische Ehrungen. Exemplarisch seien hier seine Präsidentschaft der Society of Psychotherapy Research (SPR), seine Beteiligung am Forschungsgutachten zu Fragen eines Psychotherapiegesetzes in Deutschland im Auftrag der Bundesregierung und die für dieses Jahr geplante Ehrung für sein wissenschaftliches Lebenswerk durch die Georg-Gottlob-Stiftung sowie den Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen genannt.

Seine hohe Bereitschaft, Selbstverständlichkeiten und wissenschaftliche Traditionen durch überzeugende empirische Analysen in Frage zu stellen, ließ ihn sehr bald zu dem am meisten diskutierten Psychotherapieforscher im deutschsprachigen Raum werden. Als glänzender Referent und Diskutant suchte er immer wieder die Diskussion mit seinen zahlreichen Kritikern. Gelegentlich bewusst provokant, aber nie persönlich verletzend, trat er auf hohem intellektuellem Niveau für seine Ideen ein.

Klaus Grawe hat sich immer auch als hoch engagierter Hochschullehrer verstanden. Sein besonderes Anliegen war, Studierenden der klinischen Psychologie nicht nur sehr gute theoretische Kenntnisse, sondern ihnen auch ein hohes Maß an handlungsorientierten Kompetenzen zu vermitteln. Mit der Gründung der Psychotherapeutischen Praxisstelle der Universität Bern schuf er hierfür bereits früh sehr günstige Voraussetzungen. Weitere konsequente Schritte auf diesem Weg waren der von ihm 1992 an der Universität Bern eingerichtete postgraduierte Studiengang „Psychotherapie für Psychologinnen und Psychologen” und das 1999 von ihm mitbegründete und wissenschaftlich geleitete Institut für Psychologische Therapie in Zürich.

Persönlich zeichnete sich Klaus Grawe durch eine hohe Begeisterungsfähigkeit, Neugier und Offenheit, Beharrlichkeit und Konfliktbereitschaft - wenn die ihm wichtigen Überzeugungen in Frage gestellt wurden - aus. Gleichzeitig war er ein ausgesprochen humorvoller und genussfähiger Mensch. Er besaß eine hohe interaktionelle und kommunikative Kompetenz. Dies zeigte sich unter anderem in seiner Fähigkeit, Enthusiasmus und Engagement bei seinen Mitarbeitern zu erzeugen, in seinem liebevollen Umgang mit seiner Familie und seiner großen Hilfsbereitschaft gegenüber seinen zahlreichen Freunden.

Die akademische Psychologie und insbesondere die Psychotherapie hat mit Klaus Grawe eine große Persönlichkeit verloren. Seine Gedanken und akademischen Werke werden uns noch viele Jahre beschäftigen. Wir werden ihn sehr vermissen.

Klaus Grawe

Prof. Dr. Uwe Koch

Institut für Medizinische Psychologie, Zentrum für Psychosoziale Medizin, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

Martinistr. 52

20246 Hamburg

Email: koch@uke.uni-hamburg.de

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