Suchttherapie 2005; 6(4): 165-175
DOI: 10.1055/s-2005-858813
Schwerpunktthema

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Prädiktoren der Alkoholrückfälligkeit bei Arbeitslosen 6 Monate nach Behandlung: Empirische Ergebnisse und Schlussfolgerungen für die Suchtrehabilitation

Predictors of Alcohol Relapses among the Unemployed 6 Month after Treatment: Empirical Results and Conclusions for Treatment and Rehabilitation ProgramsD. Henkel1 , P. Dornbusch2 , U. Zemlin2
  • 1Fachhochschule Frankfurt a. M., Fachbereich 4 Soziale Arbeit und Gesundheit, Institut für Suchtforschung ISFF, University of Applied Sciences
  • 2Fachklinik Wilhelmsheim, Oppenweiler
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Publication History

Publication Date:
09 December 2005 (online)

Zusammenfassung

Fragestellung: Es wurde anhand einer Stichprobe stationär behandelter Alkoholabhängiger untersucht, welche personalen Merkmale Prädiktoren des Rückfalls der Arbeitslosen darstellen. Zusätzlich wurde geprüft, ob sich diese von denen der Erwerbstätigen unterscheiden. Methode: Die Analyse erfolgte durch multiple logistische Regressionen. Das zu prognostizierende Kriterium war die Alkoholrückfälligkeit in der 6-Monats-Katamnese. Als mögliche Prädiktoren wurden 23 soziodemografische, suchtspezifische, arbeitslosigkeitsbezogene und psychosoziale Merkmale überwiegend aus der Entlassdiagnostik berücksichtigt, ergänzt um einige Merkmale aus anderen Messzeitpunkten. Datenbasis und Stichprobe: Die Datenbasis entstammt dem in der Fachklinik Wilhelmsheim in 2001 - 2004 als Längsschnittstudie durchgeführten ARA-Projekt (n = 929). Einbezogen in die vorliegende Auswertung waren 181 Arbeitslose und 314 Erwerbstätige, die während der 6-monatigen Katamnesezeit durchgehend arbeitslos bzw. erwerbstätig waren. Ergebnisse: Bei den Arbeitslosen erwiesen sich als signifikante Rückfallrisikofaktoren: der Substanzkonsum während der Behandlung, die Suchtchronizität gemessen an der Zahl bisheriger Entzugsbehandlungen, die Unzufriedenheit mit der Partnersituation und mit der Freizeitgestaltung und die Dauer der Arbeitslosigkeit bis Behandlungsbeginn. Als protektive Faktoren zeigten sich: aktives Coping, Teilnahme an Suchtselbsthilfegruppen und die Arbeitsunfähigkeit bei Entlassung, was sich daraus erklärt, dass sie oft Anlass für die Einleitung weiterführender stationärer Betreuungs- und Behandlungsmaßnahmen war, die das Rückfallrisiko offensichtlich deutlich reduzierten. Die Ergebnisse zu verschiedenen statistischen Gütekriterien zur Bewertung des ermittelten Regressionsmodells fielen zufrieden stellend aus. Darüber hinaus wurden unter den Arbeitslosen zwei Hochrisikogruppen identifiziert: die Behandlungsabbrecher und diejenigen, die bereits mindestens zweimal in einer stationären Suchtbehandlung waren. Für die Erwerbstätigen ließ sich anhand der untersuchten Merkmale kein stabiles Prädiktionsmodell erstellen. Schlussfolgerungen: Es werden eine Reihe von Schlussfolgerungen für die Praxis der Suchtrehabilitation der Arbeitslosen aus rückfallpräventiver Sicht gezogen.

Abstract

Objective: This study investigates which personal features represent predictors of the relapses among the unemployed who had completed an inpatient treatment program in alcohol addiction. Additionally it was examined whether these features differ from those of the patients who remained employed. Method: The analysis was carried out by multiple logistic regression. The criterion to be predicted was the alcohol relapse during the 6 month follow up. As predictors 23 sociodemographic, alcohol-related, unemployment-related and psychosocial variables were taken into account mainly selected from diagnostics at the time of discharge, augmented by some features from other times of measurement. Data basis and sample: The data basis derives from a longitudinal study (ARA-Project n = 929) carried out in the Fachklinik Wilhelmsheim in 2001 - 2004. 181 continuously unemployed and 314 continuously employed were involved in the current analyses. Results: Among the unemployed there proved to be significant risk factors of relapse: consumption of psychoactive substances during treatment, high number of previous detoxifications, being dissatisfied with the partner situation as well as being dissatisfied with the arrangements of leisure time and the length of unemployment before treatment started. Protective factors proved to be: active coping behavior, participation in self help groups and the inability to work at discharge, because this often was the cause for further inpatient measures of treatment and care which evidently reduced the risk of relapse considerably. The results concerning the goodness of fit of the logistic regression model are satisfactory. In addition to that two high risk groups among the unemployed were identified: those dropped out of treatment as well as those already having received inpatient addiction treatment at least twice. For the employed no stable regression model could be found. Conclusions: A number of conclusions are drawn to improve rehabilitation programs for the unemployed focussing on relapse prevention.

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1 Finanziell gefördert durch das Hessische Wissenschaftsministerium 2001-2004.

2 Die t3-Messung eignet sich nicht zur Prädiktion, da die im Katamnesezeitraum erhobenen Merkmale (z. B. Wertlosigkeitsgefühl, Coping-Verhalten) durch Effekte der Rückfälligkeit konfundiert sein könnten.

6 Bezogen auf die Gesamtgruppe der Rückfälligen und Abstinenten (tabellarisch nicht dargestellt, weil sich beide Subgruppen nicht wesentlich unterschieden, s. Tab. [4])

Prof. Dr. Dieter Henkel

FH Frankfurt a. M., FB 4

Nibelungenplatz 1

60318 Frankfurt a. M.

Email: henk@fb4.fh-frankfurt.de

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