DO - Deutsche Zeitschrift für Osteopathie 2005; 3(01): 26-27
DOI: 10.1055/s-2005-862607
Focus
Focus
Stuttgart

Wie hilfreich sind Fryette’s Gesetze in der Praxis?

Pro & Contra
Simon Duncan
D.O.
,
Rüdiger Krause
D.O. M.R.O.
› Author Affiliations
Further Information

Publication History

Publication Date:
26 January 2005 (online)

Pro

Simon Duncan, D.O.

Osteopath mit eigener Praxis in Mailand, Italien, sowie Präsident der European Osteopathic Union

Zoom Image

Anfang 1900, nach intensivem Studium und mit Hilfe einer selbst gemachten Kunststoffwirbelsäule, legte Harrison H. Fryette mit seinen “Gesetzen der spinalen Bewegung und Läsionsgrade” die Grundlagen für das Verständnis der physiologischen Wirbelsäulenbewegung und -läsionen. In einer Zeit, in der man die frühe Osteopathie skeptisch betrachtete und sich in der Forschung wenig tat, wurde sein Modell zu einem wichtigen Werkzeug bei dem Versuch, die Wirbelsäulendysfunktionen eines Patienten zu verstehen und zu erklären. Seitdem ist dieses Modell eines der wesentlichen Fundamente, auf dem der Beruf des Osteopathen ruht.

Ein Fundament ist dazu da, dass man darauf aufbaut, und so wurde auch auf Fryette’s Fundament aufgebaut. Alle wesentlichen Bereiche der “modernen” Osteopathie wurden in ihrer Entwicklung dadurch beeinflusst und verdanken ihm größtenteils ihr Bestehen.

Fryette’s Modell bietet einen Zugang, der zahlreiche Fragen beantwortet, die moderne Osteopathen in ihrem Beruf stellen. Wir sollten uns dieses Modell vor Augen halten und den eigentlichen Sinn der Osteopathie entdecken.

Fryette, der im Jahre 1903 zu praktizieren begann, studierte die physiologischen Bewegungen der Wirbelsäule und kam zu dem Ergebnis, dass die bisherige Forschung nicht weit genug gegangen war, um das Maß an Wissen abzudecken, das im Bereich von spinalen Läsionen für einen Osteopathen notwendig war.

Er entwickelte das nach ihm benannte Fryette Modell, aufbauend auf den Gesetzen der spinalen Bewegung und dem Grad der osteopathischen Läsion. Die Anwendung der Fryette’schen Gesetze und Läsionsgrade verhelfen dem Osteopathen in den Fällen, in denen äußerliche Krafteinwirkung und unphysiologische Wirbelsäulenbewegungen zu einer Läsion in einem vertebralen Segment geführt haben, auf die nächste Stufe seiner osteopathischen Diagnosefindung zu gelangen. Fryette zeigt, wie die Läsion aufgelöst werden kann und erklärt den Bezug einer spinalen Läsion zu den neurophysiologischen Reflexen, die vermutlich einen Einfluss auf viszerale Aktivität und innere Funktionen ausüben.

Wenn Fryette’s Vision des Körpers mit Littlejohns Kurven und den Gesetzen von Still, Head & Hilton kombiniert wird, resultiert daraus eine umfassende, nachvollziehbare Beurteilung der Symptome eines Patienten. Die Fryette’schen Gesetze sind ein wesentlicher Bestandteil einer gründlichen osteopathischen Diag-nosefindung und, wenn fachmännisch eingesetzt, aufschlussreich in Bezug auf viszerale und neurologische Komplikationen innerhalb des Konzeptes der osteopathischen Läsion. Sie sind ein wichtiger Teil des Arsenals eines jeden Osteopathen und dürfen nicht unterschätzt werden.

Die osteopathische Läsion

Jeder Osteopath sucht nach der mythischen “osteopathischen Läsion”, da deren Aufdecken und Behandeln eine sofortige und vollkommene Heilung des Patienten bedeuten würde. Ein seltenes Phänomen, das aber tatsächlich vorkommen kann. Genau genommen bietet das Verständnis der osteopathischen Läsion jedoch eine Möglichkeit, den Körper und die Krankheit eines Patienten zu begreifen. Dies wiederum ermöglicht die Anwendung der wirksamsten Behandlung.

Fryette ging über die osteopathische Läsion hinaus, sprach in seinem 1954 erschienenen Buch von dem Konzept der totalen Läsion und stellte dar, wie alle Komponenten des Lebens die Gesundheit eines Menschen beeinflussen können. Das ganzheitliche Gesundheitsbild eines Patienten darf vom heutigen Osteopathen nicht übersehen werden.


#

Das osteopathische Fundament

Die verschiedenen Bereiche der Osteopathie haben alle ihre entsprechenden Modelle, die als Informationsquellen und Inspiration dienen. Sie sind jedoch alle Äste desselben Stammes, mit denselben Wurzeln und Grundlagen.

Letztere sind ein unerlässlicher Teil einer jeden Struktur und bilden das Fundament für Gedanken und Überlegungen; sie gilt es zu bauen und zu entwickeln, sie sind die Anker für eine logische Weiterentwicklung.

Wir sind alle dem “schwierigen” Patienten begegnet, bei dem wir wieder auf die osteopathischen Grundlagen zurückgreifen mussten, um ein Problem zu lösen; ohne das Modell von Fryette als Grundlage würden wir uns ganz sicher auf wackligem Boden befinden. Das Werk von Fryette ist für einen erfahrenen Osteopathen der Anhaltspunkt, bei dem er anfangen kann, den ganzen Patienten zu sehen.

Die Fryette’schen Gesetze sind heute genauso wichtig wie 1918, als er sie in seinen Vortrag über die spinalen Läsionen der AOA vorstellte. Wenn die Osteopathie dem Osteopathen wichtig ist, dann ist auch Fryette wichtig.


#