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DOI: 10.1055/s-2005-863488
Gibt es einen Bias in der retrospektiven Erfassung von Kindheitsbelastungen?
Hintergrund: Viele Forscher stehen der retrospektiven Erfassung von Kindheitsbelastungen sehr kritisch gegenüber. Insbesondere wird der Verdacht eines Bias in der retrospektiven Erfassung geäußert, d.h. dass systematische Verzerrungen in der Erinnerung fälschlicherweise Zusammenhänge zwischen Kindheitsbelastungen und Befindlichkeit im Erwachsenenalter produzieren. Es finden sich nur wenige empirische Studien, die Ergebnisse von retrospektiven und prospektiven Erfassungen in Bezug auf Langzeitfolgen vergleichen. Die Ergebnisse dieser Studien sind uneinheitlich, für manche Faktoren konnte ein Bias beobachtet werden, für andere nicht.
Ziel: Der Vergleich von Zusammenhängen zwischen verschiedenen Kindheitsbelastungen und Befindlichkeit im Erwachsenenalter basierend auf prospektiver und retrospektiver Erfassung.
Methode: Für 10 verschiedene Kindheitsbelastungsfaktoren (u.a. Armut, Erkrankungen der Eltern, schlechte Beziehung zu den Eltern) werden Zusammenhänge zur Befindlichkeit im Erwachsenenalter in zwei unterschiedlichen Studien (der Britischen National Child Development Study, N=7715) und den Mainzer Adverse Childhood Experiences Studies, N=1062) basierend auf prospektiver und retrospektiver Erfassung der Kindheitsbelastungen gegenüber gestellt.
Ergebnisse: Es zeigt sich kein Bias in der Form, dass die retrospektive Erfassung generell höhere Zusammenhänge liefert als die prospektive. Allerdings zeigen sich selbst in den großen Stichproben starke Zufallsschwankungen.
Schlussfolgerung: Der Verdacht einer systematischen Verzerrung durch die retrospektive Erfassung kann für die hier untersuchten Kindheitsbelastungsfaktoren zurückgewiesen werden. In der Interpretation der Ergebnisse sind jedoch kultur- spezifische Unterschiede zu berücksichtigen.