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DOI: 10.1055/s-2005-865420
Ethische Entscheidungen in der Neonatologie
Prinzipiell unterscheiden sich Fragestellungen mit ethischem Hintergrund in der Neonatologie nicht von denen in der Erwachsenenmedizin, die Voraussetzungen sind jedoch hinsichtlich des subjektiven Blicks auf den Patienten, der obligatorischen Stellvertreterposition der Eltern, der größeren Unsicherheit hinsichtlich der Prognose und der besonderen psychosozialen Auswirkungen auf die Familie gänzlich verschieden. Erfahrungsgemäß führt die suspekte Prognose eines Neugeborenen zu anderen Konsequenzen als bei einem Erwachsenen. An der Grenze der Lebensfähigkeit von Früh- und Neugeborenen spielen neben der ärztlichen Behandlungspflicht Überlegungen zur gegenwärtigen Praxis des Schwangerschaftsabbruchs bewusst oder unbewusst eine Rolle. In der obligatorischen „Stellvertretersituation“ beziehen die Eltern stellvertretend für ihr Kind (und zu ihrem Kind) Stellung, wobei es oft noch an einer engen emotionalen Bindung fehlt. „Überlebensfähigkeit“ und das „Risiko für eine bleibende Behinderung“ sind zentrale Themen ethischer Diskussionen, angesichts der Plastizitiät des kindlichen Gehirns fehlt es jedoch an guten prognostischen Kriterien. Im Gegensatz zur Position der meisten Juristen wird man in der Praxis bei der Erörterung einer konsequenten medizinischen Behandlung versus Palliativtherapie die psychosoziale Situation der Familie mit berücksichtigen. Durch die Einführung von klinisch-ethischen Konsilen mit allen an der Versorgung des Patienten Beteiligten (und einem klinischen Ethiker) ist die Entscheidungsfindung in schwierigen Situationen besser abzusichern. Wissenschaftliche Untersuchungen zu ethischen Fragestellungen in der Neonatologie gibt es bisher kaum. Wir selbst haben in einer prospektiven Ethik-Studie (Leitung: Frau Prof. S. Reiter-Theil) erstmals die Bedingungen, unter denen Entscheidungsprozesse bei Therapiebegrenzung/-abbruch stattfinden, systematisch erfasst. Problematisch bleibt die Bedeutung von Leitlinien bei der Versorgung extrem kleiner Frühgeborener.