Zeitschrift für Palliativmedizin 2005; 6 - 82
DOI: 10.1055/s-2005-865476

Entscheidungen am Lebensende: Algorithmen und Rationalen zur Zuständigkeitsverteilung zwischen Arzt, Betreuer und Gericht

U Reinke 1, M Strätling 1, A Pietsch 1, B Sedemund-Adib 1, P Schmucker 1
  • 1Universitätsklinikum Sl-Holstein, Lübeck

Problemstellung: Das Deutsche Betreuungsrecht von 1992 barg Unsicherheiten bzgl. der Zuständigkeiten von Arzt, Betreuer und Amtsgericht bei Stellvertreterentscheidungen. Dies betraf v.a. „Entscheidungen am Lebensende“. Dies veranlasste den Bundesgerichtshof (BGH) im vergangenen Jahr zu einer Reihe von Klarstellungen. Methode: Die wichtigsten Beschlüsse des BGH [1] werden als praxisorientierte Entscheidungsalgorithmen dargestellt und erläutert [2]: 1. Der Betreuer muss – neben dem „Wohl“ – in erster Linie den „Willen“ des Betroffenen ermitteln und diesen ggf. gegenüber dem Arzt zur Geltung bringen. 2. Nicht zuständig ist der Betreuer „wenn ärztlicherseits eine ... Behandlung oder Weiterbehandlung nicht angeboten wird – sei es, dass sie medizinisch nicht indiziert, nicht mehr sinnvoll oder aus sonstigen Gründen nicht mehr möglich ist“. 3. Dem Arzt obliegt die Einschätzung der Indikationsstellung, der Prognose und die Beratung des legitimierten Stellvertreters des Patienten. 4. Therapiemaßnahmen, für die keine medizinische Indikation besteht, sind nicht mehr durchzuführen. Hierzu zählt (z.B. bei Patienten ohne realistische Aussicht auf Besserung des Zustandes) ausdrücklich auch die „künstliche Ernährung“. 5. Palliativ-lindernde Behandlungen müssen weitergeführt werden. 6. Das Vormundschaftsgericht sieht der BGH nur dann gefordert, wenn die Entscheidung zwischen Betreuer und Arzt „ernsthaft strittig“ ist. Es folgen praxisorientierten Algorithmen zu folgenden vorstellbaren Fällen: A) Vorliegende Patientenverfügung und hinreichend klare Sachlage. B) Vorgehen im Notfall. C) „Unklare“ oder nicht vorliegende Vorausverfügung. Fazit: Der BGH-Beschluss stärkt die Patientenrechte. Ärztlich ist eine objektive Transparenz aller Maßnahmen bzw. Unterlassungen zu gewährleisten. Besonders die künstliche Ernährung bedarf explizit einer medizinischen Indikation.