Zusammenfassung
Fragestellung: Der § 218 a Abs. 2 StGB lässt einen Abbruch nach der 12. Woche straffrei, wenn die
Schwangere den Abbruch wünscht, nach ärztlicher Erkenntnis eine Gefährdung der Gesundheit
durch das Austragen der Schwangerschaft zu erwarten ist und diese Gefährdung nicht
auf andere zumutbare Weise abgewendet werden kann. Wir suchten an der Universitätsklinik
Erlangen nach einem Entscheidungsverfahren, das eine Güterabwägung für jeden Einzelfall
ermöglicht. Material und Methodik: Innerhalb von 12 Monaten wurde in 13 Fällen die Frage nach einem späten Schwangerschaftsabbruch
ausführlich besprochen und entschieden. Neben relevanten Fachkonsilen fand mit dem
betroffenen Paar ein Ethikgespräch zur Klärung der rechtlichen und ethischen Rahmenbedingungen
statt. Beim Hauptgespräch wurden die medizinischen Fakten vom behandelnden Pränatalmediziner
und von Konsiliarärzten ausführlich dargestellt und mit Unterstützung der AG-Ethikberatung
des klinischen Ethikkomitees eine Güterabwägung vorgenommen. Aus den Stellungnahmen
der Teilnehmer leitete sich ein für den Pränatalmediziner nicht bindendes Mehrheitsvotum
ab. Ergebnisse: In 12 von 13 Fällen waren Fehlbildungen des Feten maßgeblicher Grund für den Wunsch
der Patientin nach einem Abbruch. In drei Fällen konnte eine manifeste psychiatrische
Gesundheitsgefährdung der Schwangeren festgestellt werden, in den anderen Fällen eine
starke psychische Belastung. Alle Schwangeren lebten in stabilen Partnerschaften und
in gesicherten finanziellen Verhältnissen. Ein Fetozid wurde in acht Fällen durchgeführt,
ein Schwangerschaftsabbruch in sieben Fällen. Schlussfolgerung: Der § 218 lässt bei mütterlicher Indikation einen Spielraum für Abbrüche nach der
12. Woche. Am Universitätsklinikum Erlangen wurde ein Modell der Entscheidungsfindung
erarbeitet, das ein transparentes Verfahren unter Berücksichtigung des rechtlichen
Rahmens sicherstellt.
Abstract
Purpose: The German penal code exempts induced abortion from punishment if the pregnant woman
wishes the termination of her pregnancy, if physicians foresee a present or future
danger to the health of the pregnant woman and if there is no other way to avoid this
danger. At the University Hospital of Erlangen we aimed to find the best individual
decision for each case of requested late termination. Material and Method: Within a period of 12 months we had to decide on 13 such cases. For optimal management
medical consultants with special knowledge on the relevant fetal anomalies were consulted.
Legal and ethical aspects of late induced abortion were discussed in detail with the
concerned couple. This was followed by a group discussion with all involved professionals,
ending with a majority vote for or against abortion. The result of the vote was not
binding for the fetal medicine specialist but facilitated his decision making. Result: In 12 of 13 cases a severe fetal malformation was the patients' main reason to request
termination. Three women were diagnosed with overt psychiatric disease, the remainder
showed signs of marked psychological disturbance. All patients lived in stable partnerships.
Conclusion: The German penal code allows induced abortion after the 12th week for medical reasons.
At the University Hospital of Erlangen our decision-finding process for late terminations
involves professionals with special knowledge of fetal and neonatal disease facilitating
the best individual decision within the scope of the law.
Schlüsselwörter
Später Schwangerschaftsabbruch - Entscheidungsfindung - Ethikberatung - Güterabwägung
Key words
Late abortion - decision-finding - ethics committee
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gynäkologischen Psychosomatik des Universitätsklinikums Bonn und des Diakonischen
Werkes Bonn/Bad Godesberg.
Prof. Dr. MRCOG R. L. Schild
Frauenklinik, Universitätsklinikum Erlangen
Universitätsstraße 21 - 23
91054 Erlangen
Email: ralf.schild@gyn.imed.uni-erlangen.de