Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2005; 40(8): 451-452
DOI: 10.1055/s-2005-870249
Gasteditorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Nicht nur sauber, sondern rein? Hygiene im Spannungsfeld zwischen evidenzbasierten Maßnahmen und Meinungen

More than ”Clean”: Recommendations for Hygiene Must Meet Evidence-based MedicineK.  E.  Unertl1 , W.  A.  Krueger1
  • 1 Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin, Universitätsklinikum Tübingen
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Publication Date:
03 April 2006 (online)

Kaum war die Inhalationsanästhesie in die operative Medizin eingeführt, so finden sich in der Literatur bereits erste Bedenken hinsichtlich der Übertragung von Infektionen. In fast poetischer Weise äußerte sich Thomas Skinner im British Medical Journal 1873 über mangelnde Hygiene und infektiöse Gefahren, da dieselben Schläuche und Mundstücke üblicherweise bei mehreren Patienten ohne zwischenzeitliche Reinigung verwendet wurden:

… Sweet seventeen is made to follow a bearded devotee to Bacchus, saturated with the smoke of cigars and the exhalations of cognac. (…) Only fancy inhaling through the same apparatus just used by a patient with (…) contagious diseased conditions of the oral, naso-pharyngeal, and pulmonary mucous membranes. (…) After 25 years’ experience of medicine by inhalation, we remain the merest barbarians, everyone breathing after his neighbour, and through the same instrument.

Aseptische Techniken und die Verwendung steriler oder desinfizierter Materialien sind heute Standard in der Anästhesiologie. Dennoch bleibt die Frage, ob auch im Zeitalter multimorbider Patienten und multiresistenter Erreger die Übertragung oder Begünstigung von Infektionen durch Anästhesie-Equipment und Narkosemittel ausgeschlossen ist.

Wegen des komplexen Zusammenspiels vieler patienten- und operationsbezogener Faktoren ist der Einfluss mangelnder Hygienemaßnahmen in der Anästhesie als kausale Ursache von Infektionen nur selten erkennbar. Wie groß die potenziellen Gefahren und Risiken andererseits sein können, wenn Hygieneregeln nicht beachtet werden, dokumentieren die immer wieder aufgetretenen Fälle von schweren, teilweise auch tödlich verlaufenden Bakteriämien, die durch mikrobiell kontaminierte Propofollösungen hervorgerufen wurden. Es kann also nicht geleugnet werden, dass es Hygienedefizite gibt. Darauf weisen auch die Ergebnisse einer Umfrage hin, die in Großbritannien stattgefunden hat. Dass in unserem Land die Dinge ebenfalls nicht immer zum Besten stehen, darf man getrost unterstellen. Dies lässt sich allein schon aus der unzureichenden Beachtung der wichtigsten Grundregel der Infektionsprophylaxe, der hygienischen Händedesinfektion ableiten.

Der Beitrag von Vonberg und Gastmeier gibt einen Überblick über relevante Hygienemaßnahmen in der Anästhesie, die zur Senkung des Infektionsrisikos der Patienten beitragen und damit ihre Sicherheit erhöhen. Die Autoren weisen auf ein weiteres wichtiges Problem hin, nämlich den immer stärker werdenden Kostendruck, der bei Entscheidungen über infektionspräventive Maßnahmen eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt. Auch wenn die Kosten der Anästhesie nur wenige Prozent der Gesamtbehandlungskosten einer stationären Behandlung ausmachen, so stehen Anästhesieabteilungen dennoch unter großen Sparzwängen. Dabei muss (bzw. sollte) außer Frage stehen, dass Maßnahmen, die in ihrer Wirksamkeit gesichert und unumstritten sind, konsequent umgesetzt werden. Kritisch zu hinterfragen sind jedoch nicht zuletzt unter Kostengesichtspunkten alle Maßnahmen, deren Nutzen nicht bewiesen oder fragwürdig ist. Gerade in der Anästhesie spielen dabei auch zunächst gering erscheinende Kosten eine Rolle, weil sich bei routinemäßigem Einsatz schnell Beträge von mehreren 10 000 €/Jahr ergeben können. Leider basieren mangels großer kontrollierter Studien mit aussagefähigen Ergebnissen Empfehlungen vielfach auf Expertenmeinungen, die je nach Standpunkt und Standort unterschiedlich ausfallen können. Dies hat dazu geführt, dass in Deutschland immer wieder von Krankenhaushygienikern Glaubenskriege über Sinn und Unsinn bestimmter Maßnahmen geführt wurden.

Als sehr sinnvoll hat es sich erwiesen, Empfehlungen mit einem Evidenzgrad zu versehen, der es dem Anwender erlaubt, eine Einordnung nach der Relevanz einer Maßnahme vorzunehmen. Die neue Richtlinie für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention des Robert-Koch-Instituts (RKI) trägt diesen Erfordernissen durch entsprechende Kategorisierung der getroffenen Aussagen hinsichtlich ihrer Beweiskraft Rechnung. In ihr finden sich auch für Anästhesisten wichtige Informationen, vor allem zur Prävention von Pneumonien, Harnweginfektionen und Bakteriämien, die im Zusammenhang mit anästhesiologischen Maßnahmen stehen können.

Andererseits liegen nicht selten nur unzureichende Hinweise über die Wirksamkeit bestimmter Maßnahmen vor, oder ein Expertenkonsens kann nicht erzielt werden. So müssen Fragen unbeantwortet bleiben, und evidenzbasierte Empfehlungen können nicht ausgesprochen werden. Dies trifft z. B. auch auf die Frage zu, ob und wenn ja, welche Filtersysteme bei der Narkosebeatmung verwendet werden sollen. Unabhängig davon werden aus Kostengründen und aus Gründen der Praktikabilität Filtersysteme im Rahmen der Narkosebeatmung regelmäßig eingesetzt. Für jeden Anwender stellt sich dann automatisch die Frage, welchen Filtertyp, ob hydrophob oder elektrostatisch, und welchen Filter er verwenden soll. Hydrophobe Filtertypen weisen in experimentellen Situationen eine insgesamt höhere Filtrationseffizienz auf, sie sind andererseits deutlich teurer und hinsichtlich ihrer Befeuchtungsleistung schlechter als elektrostatische Filter, was gerade bei längerdauernden Narkosen unerwünscht ist. Bislang liegen auch keine Daten vor, die zeigen würden, dass die höhere Filtrationseffizienz hydrophober Filtertypen das Risiko einer Kontamination der Beatmungsschläuche reduziert oder was noch wichtiger wäre, das Pneumonierisiko senken kann. Vermutlich werden sich diese Fragen auch in kontrollierten klinischen Studien nicht definitiv klären lassen. Angesichts der großen praktischen Bedeutung wäre es daher sinnvoll, wenn ein Expertengremium Sollwerte für ein protektives Device und die Befeuchtungsleistung definieren würde, die dann Grundlage für Empfehlungen sein können. Bis dahin muss generell für Maßnahmen mit nicht gesicherter Effektivität der Anwender vor Ort unter Abwägung der verschiedenen Gesichtspunkte, vor allem auch der Kosten-Nutzen-Relation, eine Entscheidung treffen. Der Rat und die Unterstützung durch einen sachkundigen Krankenhaushygieniker wird dabei immer eine wertvolle Hilfe sein.

Prof. Dr. med. Klaus Unertl

Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin · Universitätsklinikum Tübingen

Hoppe-Seyler-Straße 3 · 72076 Tübingen

Email: ksunertl@med.uni-tuebingen.de

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