PiD - Psychotherapie im Dialog 2006; 7(1): 111-112
DOI: 10.1055/s-2005-915418
Im Dialog
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Kommentare zu Beiträgen des Themenheftes Angststörungen

PiD Heft 4, Dezember 2005Hans  Reinecker (Beirat)
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Publication Date:
23 February 2006 (online)

Heike Alsleben: „Psychoedukation bei Angst- und Panikstörungen”

Frau Alsleben stellt in diesem knappen, sehr informativen Beitrag das Thema der Psychoedukation bei Angststörungen vor. Sie stellt dabei die Psychoedukation in den Kontext anderer psychologischer Maßnahmen wie zum Beispiel Beratung, Unterstützung, Informationsvermittlung, Schulung, Psychotherapie etc. (siehe dazu Fiedler 1997). Das Vorhaben ist aus meiner Sicht sehr gelungen und wichtig, weil psychologische Tätigkeit nicht nur auf Psychotherapie reduziert werden sollte - auch wenn gesetzliche und strukturelle Bedingungen das vielleicht nahe legen. Im Folgenden ein paar Anmerkungen zum Beitrag:

Heike Alsleben stellt eingangs das Prinzip der Psychoedukation dar, das in Abhebung zu klassisch verhaltenstherapeutischen Ansätzen stärker durch die Vermittlung von Information, Unterstützung und Hilfe zur Selbsthilfe gekennzeichnet ist. Wie fließend die Übergänge sind, zeigt gerade das Prinzip der Selbsthilfe und des Selbstmanagements: Ziel jeder psychologischen oder psychotherapeutischen Intervention sollte es ja sein - wie Alsleben richtig schreibt - Autonomie des Betroffenen zu fördern und zu unterstützen. Ein weiteres Prinzip der Psychoedukation ist das Aufbrechen von Grenzen einzelner Professionen: Zum einen werden Patienten zu Experten für sich selbst und zum anderen lassen sich psychoedukative ebenso wie klassisch verhaltenstherapeutische Strategien im natürlichen Setting ebenso konkret wie effizient unter Anleitung bzw. Supervision von Professionellen durch Mitglieder anderer Berufsgruppen umsetzen. Marks (1987) hat etwa gezeigt, dass verhaltenstherapeutisch geschulte Krankenschwestern in der Behandlung diverser Angststörungen einen wichtigen Beitrag speziell bei Übungen im natürlichen Setting leisten können. Im Beitrag von Alsleben klingt durch, dass das auch das Vorgehen in der von Iver Hand geleiteten Institution in Hamburg ist. Strategien der Konfrontation und des Reaktionsmanagements werden in dem Beitrag als unverzichtbare Elemente in der Behandlung von Angststörungen angeführt. Gerade in der Praxis zeigt sich, dass für die Umsetzung von Konfrontation und Reaktionsmanagement neben dem selbstverständlichen Merkmal des theoretischen Bezuges das fundierte Verständnis des Patienten für seine Problematik und für die Notwendigkeit des Lernens und Umlernens in konkreten Situationen darstellt. Heike Alsleben stellt diese Vermittlung eines Krankheits- und Veränderungsverständnisses vor dem Hintergrund des Beliefsystems des Patienten als zentrale Aspekte in der Vorbereitung des therapeutischen Vorgehens heraus. Psychoedukation bringt natürlich die Frage einer Standardisierung versus Individualisierung therapeutischen Vorgehens ins Spiel: Natürlich verlangt Psychoedukation - wie jedes korrekte verhaltenstherapeutische Vorgehen - die Einhaltung von Standards, oder wenn man so will: eine Anlehnung an Manuale. In der konkreten Umsetzung für den Patienten werden die Prinzipien (sprich: Standards!) der Behandlung auf die jeweils individuelle Situation des Patienten bezogen. Der Beitrag von Heike Alsleben zeigt auch sehr schön zum einen die Krankheitswertigkeit von Angst- und Panikstörungen. Angst und Panik sind sehr ernst zu nehmen, insbesondere was ihre Stabilität angeht - die Vermutung einer Spontanremission ist keineswegs gerechtfertigt! Darüber hinaus sind Angst- und Panikstörungen mit vielen anderen psychischen (z. B. Depression, Abhängigkeiten) und körperlichen Störungen (z. B. chronische Herzerkrankungen, Asthma etc.) verknüpft. Neue klinisch-psychologische Befunde und Strategien bilden ein Spektrum möglicher Hilfestellungen.

Zusammengefasst hat Heike Alsleben das Konzept der Psychoedukation bei Angststörungen sehr klar und fundiert in den Kontext unterschiedlicher psychologischer Strategien gestellt. Besonders wichtig erscheint mir das angesichts unterschiedlicher Bedürfnisse von Patientinnen und Patienten im Rahmen gravierender Angststörungen mit dem Ziel von Autonomie und Selbsthilfe.

Literatur

  • 1 Fiedler P. Therapieplanung in der modernen Verhaltenstherapie: Von der allgemeinen zur phänomen- und störungsspezifischen Behandlung. In: Reinecker H, Fiedler P (Hrsg) Therapieplanung in der modernen Verhaltenstherapie. Eine Kontroverse. Lengerich; Pabst Verlag 1997
  • 2 Hoffmann N, Hofmann B. Verhaltenstherapie bei Depressionen. Lengerich; Pabst Verlag 2002
  • 3 Holland J G. Behaviorism: Part of the problem or part of the solution?.  Journal of Applied Behavior Analysis. 1978;  11 163-174
  • 4 Marks I M. Fears, phobias, and rituals. New York; Oxford University Press 1987
  • 5 Millon T. Personality guided therapy. New York; John Wiley 1999
  • 6 Trautmann R D. Verhaltenstherapie bei Persönlichkeitsstörungen und problematischen Persönlichkeitsstilen. Stuttgart; Klett-Cotta 2004

Korrespondenzadresse:

Prof. Dr. Hans Reinecker

Universität Bamberg
Lehrstuhl Klinische Psychologie/Psychotherapie

Markusplatz 3

96045 Bamberg

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