PiD - Psychotherapie im Dialog 2006; 7(1): 114
DOI: 10.1055/s-2005-915420
Im Dialog
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Kommentar zu „Wolfgang Senf: Neue Konzepte integrierter psychotherapeutischer Versorgung: Fantasie oder Realität?”

PiD Heft 4, Dezember 2005
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Publication Date:
23 February 2006 (online)

Wolfgang Senf definiert die stationäre Psychotherapie als eine spezielle Behandlungsepisode innerhalb von ambulant-stationär/teilstationär-ambulanten Gesamtbehandlungsplänen. Diese hält er erforderlich für die überwiegende Mehrheit der Patienten, die einer stationären oder teilstationären Behandlung bedürfen. Dabei hat er Patienten mit chronischen Erkrankungen in schwerer Ausprägung im Blick, bei denen die Erkrankung mit klinischer oder psychosozialer Komorbidität einhergeht.

Auch als niedergelassener Psychoanalytiker bin ich immer wieder in diagnostischen Erstgesprächen mit Patienten konfrontiert, für die eine stationäre Behandlung erforderlich ist, bevor sie ambulant weiterbehandelt werden können. Weniger häufig sehe ich eine Indikation für eine stationäre Behandlungsphase während einer laufenden ambulanten Psychotherapie. Bei solchen Patienten ist im Rahmen der Indikationsstellung besonders darauf zu achten, dass die aus der Diagnose folgende Entscheidung zu einem bestimmten Behandlungsplan dem Patienten auch ausreichend vermittelt wird. Dies stellt im ambulanten Rahmen hohe Anforderungen an den Behandler, der einem Patienten, der ihn als ambulant behandelnden Psychotherapeuten aufgesucht hat, nun zunächst mit einem vom Patienten nicht erwarteten Behandlungsangebot konfrontieren und zur Annahme dieses Angebots veranlassen soll. Oft wird dies vom Patienten als Abweisung erlebt, der erste Behandlungsschritt besteht in der Bearbeitung der narzisstischen Kränkung. Jeder noch so gut angelegte „Gesamtbehandlungsplan” kann letztlich daran scheitern, dass beim Patienten keine ausreichende Motivation zu finden ist, sich in die schwierige Aufeinanderfolge von unterschiedlichen Beziehungsangeboten und Übertragungssituationen einzufügen. Erfahrungsgemäß ist es für den Patienten auch schwierig, zwischen der Situation im ambulanten Setting, wo ein „Übertragungsgesamt” auf den Behandler gerichtet wird, auf die Vielzahl der Übertragungsangebote im stationären Setting umzuschwenken. Hier ist zwischen ambulantem und stationärem Sektor nicht nur wechselnde Information gefragt, sonder auch ein spezifisches Verständnis für die unterschiedliche Konzeptualisierung der Übertragungssituation in beiden Behandlungssektoren.

Nicht nachvollziehbar ist die Auffassung des Autors, dass die psychotherapeutische Versorgung im Rahmen der Psychotherapierichtlinien ein Problem darstelle. Die Richtlinien sind ausdrücklich auf die ambulante Versorgung ausgerichtet und beinhalten aus guten Gründen weder die Möglichkeit zur Kombination verschiedener Behandlungsverfahren noch verschiedener Behandlungssettings. Dies hat entscheidend, zumindest in den psychodynamischen Verfahren, mit der im ambulanten Setting spezifischen Ausprägung der Übertragungskonstellation zu tun, in der die unterschiedlichen Übertragungsaspekte und die hiermit verknüpften Konflikte zeitlich nacheinander auftauchen und bearbeitet werden können. Im stationären Setting dagegen sind die Übertragungsaspekte auf die unterschiedlichen Behandler temporär gleichzeitig aufgefächert, weshalb es hier einer besonderen Integrationsleistung des Teams, z. B. durch entsprechende Supervision bedarf. Aus diesem Grunde sollte an dieser Stelle auch nicht mit dem Wort „moderner Behandlungsstandard” argumentiert werden, weil stationäres und ambulantes Setting doch grundverschiedene Bedingungen aufweisen.

Alf Gerlach, Saarbrücken (Beirat)

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