Ultraschall Med 2005; 26 - OP217
DOI: 10.1055/s-2005-917498

LANGJÄHRIGE HIV-INFEKTION ALS UNABHÄNGIGE DETERMINANTE DER ARTERIOSKLEROSE – EINE FALL-KONTROLL-STUDIE

M Lorenz 1, A Harmjanz 1, S Staszewski 2, A Bühler 1, S Von Kegler 1, D Ruhkamp 1, M Sitzer 1
  • 1Neurologische Klinik
  • 2Medizinische Klinik III, J. W. Goethe-Universität Frankfurt, Frankfurt, Germany

Problemstellung: Mit dem Fortschritt in der antiretroviralen Therapie treten Erkrankungen anderer Organsysteme verstärkt in den Vordergrund der Betreuung von HIV-Patienten. Atherosklerotische Erkrankungen treten gehäuft bei HIV-Patienten auf. In einer Fall-Kontroll-Studie wurde untersucht, ob die chronische HIV-Infektion mit einer erhöhten Intima-Media-Dicke im Karotissystem (als Frühindikator der Arteriosklerose) assoziiert ist, und ob diese Assoziation unabhängig von den konventionellen Gefäßrisikofaktoren ist.

Methoden: An 292 konsekutiven Patienten mit einer langjährig vorbekannten HIV-Infektion wurde die Intima-Media-Dicke beidseitig in der A. carotis communis, der Bifurkation und des Bulbus caroticus der A. carotis interna gemessen. Die klassischen Risikofaktoren der Arteriosklerose wurde anamnestisch erfragt, es wurde eine Blutdruckmessung und eine Blutentnahme zur Bestimmung der Routineparameter vorgenommen. Als Kontrollgruppe diente eine alters- und Geschlechts-„gematchte“ Subgruppe der CAPS-Studienpopulation (CAPS=carotid atherosclerosis progression study) mit einem Verhältnis von 1:4 (Fälle:Kontrollen). Mittels linearer Modelle wurde der Einfluss der HIV-Infektion auf die Intima-Media-Dicke in den drei Carotissegmenten untersucht.

Ergebnisse: HIV-Patienten waren weniger adipös (BMI [kg/m2] 25.1 +- 4.1 vs. 27.5 +- 3.6, p<0.0001), aber rauchten mehr (Nikotinkonsum [pack years] 27.0 +- 28.6 vs. 14.2 +- 16.0, p<0.0001). Eine arterielle Hypertonie bestand etwa ebenso häufig wie in der Kontrollpopulation (22.4% bzw. 25.5%), war aber – ebenso wie die Hypercholesterinämie – häufiger (Blutdruckmedikation in 14.4% vs. 10.6%, p=0.0045, lipidsenkende Medikation in 18.5% vs. 5.1%, p<0.0001) und besser (p<0.0001 für Gesamtcholesterin, systolischen und diastolischen Blutdruck) medikamentös eingestellt. HIV-positive Individuen wiesen eine 5.0% (95%-Konfidenzintervall: [2.3, 7.8%], p=0.0002) bzw. 0.036mm [0.012, 0.060mm] (p=0.0034)höhere IMT in der A. carotis communis auf (adjustiert nach Alter, Geschlecht, BMI, systolischem und diastolischem Blutdruck, antihypertensiver Therapie, Gesamtcholesterin, lipidsenkender Medikation, Nikotinkonsum, Dauer eines Diabetes mellitus). In der Carotisbifurkation lagen die IMT-Werte um 19% [14, 24%] bzw. um 0.180mm [0.123, 0.238mm] höher (jeweils p<0.0001). Für die A. carotis interna war dieser Effekt nicht signifikant, aber im Trend ebenso nachweisbar (IMT um 4.3% [-0.7, 9.5] bzw. 0.037mm [-0.016, 0.089] höher, p=0.0905 bzw. 0.1721).

Schlussfolgerungen: Von mehreren Arbeitsgruppen wurde gezeigt, dass HIV-Patienten stärkere arteriosklerotische Gefäßveränderungen aufweisen, als altersgleiche HIV-negative Individuen. Bisher konnte der HIV-Status nicht als unabhängiger Risikofaktor etabliert werden. Die vorliegenden Daten belegen erstmals, dass die langjährigen HIV-Infektion als Risikofaktor für die frühzeitige Arteriosklerose von den „klassischen“ vaskulären Risikofaktoren unabhängig ist, oder mindestens einen unabhängigen Anteil hat. Basierend auf den Berechungen großer prospektiver Studien, entspricht die IMT-Erhöhung einer Zunahme des vaskulären Risikos um 4–14%, oder einer Zunahme des „vaskulären Alters“ um 4–5 Jahre. Die Pathophysiologie bleibt unklar, die Rolle der HIV-spezifischen Medikation bleibt genauer zu untersuchen.