Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2006; 41(3): 165-167
DOI: 10.1055/s-2005-921124
Mini-Symposium
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Leistenhernien-Operation in Kaudalanästhesie beim Frühgeborenen

Caudal Anesthesia for Inguinal Herniorrhaphy in Preterm InfantsC.  Schorer1
  • 1 Klinik für Anästhesie und Intensivmedizin (Direktor: Prof. Dr. med. A. Weyland), Klinikum Oldenburg GmbH
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Publication Date:
23 March 2006 (online)

Die häufigste Operationsindikation in den ersten Lebenswochen und -monaten bei frühgeborenen Kindern (Geburt vor Ende der 37. Schwangerschaftswoche) ist die ein- oder beidseitige Leistenhernie. Die Besonderheiten dieser Patientengruppe und deren Einfluss auf die Anästhesieführung werden im Folgenden anhand des kinderanästhesiologischen Managements am Klinikum Oldenburg vorgestellt.

Am Klinikum Oldenburg (Klinik der Schwerpunkt-/Maximal-Versorgung mit 750 Planbetten, davon 124 in der Kinderklinik) werden pro Jahr ca. 850 Kinder in der Kinderchirurgie operativ versorgt, davon ca. 70 Frühgeborene mit ein- oder beidseitiger Leistenhernie. Der überwiegende Anteil dieser Kinder wird nach Anlage einer Kaudalanästhesie in leichter Sedierung operiert.

Grundsätzlich kommen für derartige Operationen neben der Kaudalanästhesie als Regionalanästhesieverfahren auch die Spinalanästhesie und natürlich die Allgemeinanästhesie - evtl. ergänzt durch eine Regionalanästhesie - in Betracht (Tab. [1]). Das Für und Wider der einzelnen Anästhesieverfahren ist immer wieder Gegenstand kontroverser Diskussionen [1] [2] [3]. Aus unserer Sicht stellt die Kaudalanästhesie das ideale Anästhesieverfahren für die Indikation Leistenhernien-Operation beim Frühgeborenen dar.

Die allgemeine Organunreife des Neugeborenen ist bekanntermaßen beim Frühgeborenen besonders akzentuiert. Insbesondere pulmonale Probleme (wie z. B. Surfactant-Mangel, ANS, Ausbildung hyaliner Membranen, RDS) und die daraus resultierenden Beatmungsphasen oder gar Langzeitbeatmung führen oft zu chronischen kardiopulmonalen Veränderungen (Bronchopulmonale Dysplasie, pulmonalarterieller Hypertonus, cor pulmonale) mit erheblicher Auswirkung auf die Anästhesieführung. Bei vielen Frühgeborenen bestehen zudem - meist zentral bedingte - Apnoen, die in ihrer Häufigkeit und Ausprägung durch eine Vielzahl von Medikamenten - besonders Anästhetika - beeinflusst werden.

Nach Überstehen der oft problematischen ersten Lebenswochen steht die Leistenhernien-Operation beim Frühgeborenen meist erst kurz vor Entlassung von der Frühgeborenen-Station an. In dieser Phase (typischerweise bis zur 60. postkonzeptionellen Woche) muss der Anästhesist mit dem Vorliegen der oben genannten Probleme und einer möglichen postoperativen Verschlechterung vor allem der kardiopulmonalen Situation rechnen.

Die Optionen der Anästhesieführung sind in Tab. [1] zusammengestellt.

Tab. 1 Anästhesieverfahren bei Leistenhernien-OP bei Frühgeborenen Allgemeinanästhesie (Intubation/Kehlkopfmaske) Allgemeinanästhesie + Regionalanästhesie (Kaudalblock/N. ilioinguinalis-N. iliohypogastricus-Block) oder + Wundinfiltration (Chirurg) Regionalanästhesie (kaudal/spinal) in leichter Sedierung Regionalanästhesie (kaudal/spinal) beim wachen Kind

Die wichtigsten möglichen Vorteile der regionalen Anästhesieverfahren (Kaudal- und Spinalanästhesie) im Vergleich zur Allgemeinanästhesie sind in Tab. [2] aufgelistet.

Tab. 2 Vorteile Regionalanästhesie versus Allgemeinanästhesie kein invasives Atemwegsmanagement nötig/erhaltene Spontanatmung/Verzicht auf erneute Respiratorentwöhnung weniger postoperative Apnoen 4 weniger Kardiodepression (besonders des rechten Ventrikels) durch Verzicht auf i. v.-Anästhetika (z. B. Propofol) bzw. höhere Dosen an volatilen Anästhetika kurze Ausleitungsphase bessere Kontrolle der „stress response” 5 6 7

Obwohl noch keine evidenzbasierten Grundlagen hinsichtlich Empfehlungen für oder gegen das eine bzw. andere Anästhesieverfahren bestehen, erscheinen in der klinischen Praxis die Vorteile der Regionalanästhesieverfahren bei weitem zu überwiegen. Ein sehr wichtiger Punkt ist hierbei die erhaltene Spontanatmung und damit das Vermeiden der - oft langwierigen - postoperativen Entwöhnung vom Respirator. Durch Verzicht auf die bei Allgemeinanästhesie erforderlichen höheren Dosierungen von i. v.-Anästhetika bzw. volatilen Anästhetika gelingt es im Rahmen der regionalen Verfahren die gerade bei Frühgeborenen empfindliche kardiorespiratorische Homöostase weitgehend unbeeinträchtigt zu erhalten.

Im direkten Vergleich der beiden Möglichkeiten (Kaudalanästhesie versus Spinalanästhesie) für die Leistenhernien-Operation überwiegen die Vorteile der Kaudalanästhesie (Tab. [3]).

Tab. 3 Vorteile Kaudalanästhesie versus Spinalanästhesie geringere Invasivität technisch einfacher/höhere Treffer-Quote bei Punktion längere Anästhesiedauer/längere OP-Zeit (beidseitige Leistenhernie!) längere postoperative Analgesiedauer weniger ausgeprägte Kreislaufwirkung

Bei meist klar identifizierbaren „landmarks” erscheint die technische Durchführung der Kaudalanästhesie deutlich einfacher. Durch die größere Distanz zum Rückenmark wird das Verfahren wesentlich weniger invasiv. Wegen der längeren Analgesie-Zeit ist der Zeitdruck für Operateur und Anästhesist (typisch bei Spinalanästhesie) reduziert. Meist ist problemlos die Durchführung der beidseitigen Hernioplastik möglich und es besteht noch eine postoperative Analgesie für gewisse Zeit. Ein Unterschied besteht auch in Hinblick auf die Kreislaufstabilität: Bei der Kaudalanästhesie bleibt der Blutdruck aufgrund des weniger plötzlichen Wirkeintritts stabiler, der Anästhesieverlauf ist glatter, das Kind ist vom klinischen Aspekt her - zumindest in den ersten Minuten nach Injektion des Lokalanästhetikums - weniger blass und zentralisiert, wie nicht selten bei Spinalanästhesie zu beobachten. In aktuellen Publikationen konnte gezeigt werden, dass gerade unter Spinalanästhesie zur Leistenhernien-OP der zerebrale Blutfluss signifikant abnimmt, wobei die Bedeutung dieser Befunde noch zu klären bleibt [8].

Typische Probleme der Kaudalanästhesie zählt Tab. [4] auf. Eine wesentliche Erleichterung der Punktion und gleichzeitiges Erreichen einer stressfreien Situation für Kind und Anästhesist sehen wir in der leichten Sedierung des Kindes. Grundsätzlich kann jedoch gelten, dass mögliche Vorteile eines regionalen Anästhesieverfahrens gegenüber der Allgemeinanästhesie bei Frühgeborenen immer dann weniger nachweisbar sind, wenn eine zusätzliche Sedierung erfolgt [4]. Am einfachsten erscheint uns die über Maske durchgeführte Inhalation von Sevofluran (1 - 2 Vol. %), weil sie aufgrund des schnellen An- und Abflutens besonders gut steuerbar ist und kaum zur Irritation der kindlichen Atemwege führt. Außerdem besteht unter Sevofluran in moderater Dosierung ein hohes Maß an kardiovaskulärer Stabilität [9]. Die Anwendung von Propofol ist prinzipiell möglich, jedoch in dieser Altersgruppe aus mediko-legalen Gründen problematisch. Zudem führt die Propofol-Anwendung häufiger zu Kreislaufproblemen und ist erheblich schlechter steuerbar [9] [10]. Eine relative Überdosierung von Propofol ist möglich und leider nicht unmittelbar zu korrigieren. Zum Erkennen einer akzidentellen intravasalen bzw. intraossären Injektion ist die Applikation einer adrenalinhaltigen Testdosis sehr empfehlenswert. Dies gilt auch für die Verwendung von neueren, vermutlich weniger toxischen Lokalanästhetika wie Ropivacain oder Levobupivacain. Das theoretische Risiko des Verschleppens von epidermalem Gewebe nach peridural bei Benutzung von Hohlnadeln kann durch ausschließliche Verwendung von Spezialkanülen (z. B. Epican Paed, B Braun) minimiert werden. Durch die Gabe relativ großer Mengen Lokalanästhetika über die kaudale Route werden möglicherweise Plasmaspiegel im Toxizitätsbereich erreicht. Aus diesem Grunde ist ein striktes Einhalten der in der Literatur angegebenen Dosis-Obergrenzen (z. B. Bupivacain 2,5 mg/kg [11]) notwendig. Neuere Lokalanästhetika wie Ropivacain und Levobupivacain mit geringerem Toxizitätspotenzial erscheinen diesbezüglich von Vorteil [12]. Ernstere Komplikationen, besonders infolge von Toxizitätsproblemen sind höchst selten. Allgemein gilt die Kaudalanästhesie als sehr sichere Anästhesieform - auch für Frühgeborene.

Tab. 4 Typische Probleme bei Kaudalanästhesie Sedierung: zu flach/zu tief Technik: Intravasale/intraossäre/spinale Injektion Verschleppen von epidermalem Gewebe systemische Toxizität infolge von hohen Lokalanästhetika-Dosen

Zusammenfassend sei hier das Vorgehen bei der Kaudalanästhesie für die Leistenhernien-OP bei Frühgeborenen im Klinikum Oldenburg dargestellt:

Nach sorgfältiger Anamnese (u. a. präoperativer Sauerstoffbedarf und Häufigkeit von Sättigungsabfällen/Apnoen/Bradykardien) und Prüfung der präoperativ erhobenen Befunde (u. a. BGA, Echokardiographie, Rö-Thorax) wird lokalanästhetika-haltige Creme in Form von EMLA-Pflaster 1 - 1,5 h präoperativ im kaudalen Punktionsareal aufgeklebt (dies besonders bei Kindern mit ausgeprägten Apnoen/Sättigungsabfällen/Bradykardien, um eine möglichst geringe Sedierung zu ermöglichen). Auf weitere Prämedikationsmedikamente wird verzichtet. Nach Anlage eines venösen Zugangs wird vorsichtig Sevofluran in Sauerstoff per Maske (im vorgefluteten System) in einer Konzentration von ca. 4 - 6 Vol. % für wenige Atemzüge appliziert, dann zügig auf ca. 1 - 2 Vol. % reduziert und bei erhaltener Spontanatmung das Kind in Seitenlage gedreht. Höhere Sevofluran-Konzentrationen mit etwaiger Atemdepression und manueller Maskenbeatmung sollten hierbei unbedingt vermieden werden. Unter sterilen Bedingungen wird der Kaudalkanal mit einer 25 G-Spezialkanüle (Epican Paed, B Braun) in üblicher Weise punktiert [13]. Nach Gabe der Testdosis von 0,2 ml/kg Adrenalin-Lösung (5 µg/ml) zum Ausschluss einer intravasalen bzw. intraossären Lage der Kanüle (T-Wellen-Erhöhung im EKG [14]) werden 1 ml/kg einer 0,3 %igen Ropivacain-Lösung injiziert. (Die maximale Dosis von 3 - 4 mg/kg muss beachtet werden [11].) Unmittelbar nach Injektion wird die Sedierung beendet und das Kind in Rückenlage gelegt. Innerhalb von 10 Minuten kann in der Regel bereits mit der Operation begonnen werden. Eine Operationsdauer von mindestens 1 - 1,5 h ist nach unserer Erfahrung sicher möglich; somit eignet sich dieses Verfahren auch für die Operation beidseitiger Leistenhernien hervorragend. Fast alle Kinder werden wach aus dem OP-Saal in den Aufwachraum bzw. auf die Frühgeborenen-Station verlegt. Eine mindestens 24-stündige Monitor-Überwachung ist postoperativ obligat.

Literatur

  • 1 Gerber A C, Weiss M. Das ehemalige Frühgeborene mit Leistenhernien. Welches Anästhesieverfahren?.  Anaesthesist. 2002;  51 448-456
  • 2 Frei F. Leistenoperation bei Frühgeborenen: Die Allgemeinanästhesie ist auch vertretbar!.  Anaesthesist. 2002;  51 447
  • 3 Frei F J, Jonmarker C, Werner O. Kinderanästhesie, 2.Auflage. Berlin, Heidelberg, New York; Springer 1999: 52-56
  • 4 Craven P D, Badawi N, Henderson-Smart D J, O'Brien M. Regional (Spinal, epidural, caudal) versus general anaesthesia in preterm infants undergoing inguinal herniorraphy in early infancy.  Cochrane Database Syst Rev. 2003;  (3) CD003669
  • 5 Wolf A R, Eyres R L, Laussen P C. Effect of extradural analgesia on stress responses to abdominal surgery in infants.  Br J Anaesth. 1993;  70 654-660
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  • 7 Tuncer S, Yosunkaya A, Reisli R, Tavlan A, Cicekci F, Otelcioglu S. Effect of caudal block on stress responses in children.  Pediatr Int. 2004;  46 53-57
  • 8 Bonnet M P, Larousse E, Asehnoune K, Benhamou D. Spinal anesthesia with bupivacaine decreases cerebral blood flow in former preterm infants.  Anesth Analg. 2004;  98 1280-1283
  • 9 Bein B, Tonner P H, Paris A, Steinfath M, Grabitz R, vonKnobelsdorff G, Dütschke P, Kramer H H, Scholz J. Anästhesie in der pädiatrischen Kardiologie.  Anaesthesist. 2002;  51 582-599
  • 10 Williams G D, Jones T K, Hanson K A, Morray J P. The hemodynamic effects of propofol in children with congenital heart disease.  Anesth Analg. 1999;  89 1411-1416
  • 11 Jöhr M. Regional techniques for the non-specialist paediatric anesthetist. In: Euroanesthesia 2003, Refresher course lectures Glasgow; The European Society of Anaesthesiologists 2003
  • 12 Marhofer P, Koinig H, Kapral S. Kaudalanästhesie. Die Wahl der Medikamente für die Kaudalanästhesie bei Kindern.  Anaesthesist. 2003;  52 55-67
  • 13 Jöhr M. Kinderanästhesie, 5. Auflage. München/Jena; Urban und Fischer 2001: 186-188
  • 14 Tanaka M, Nishikawa T. Evaluating T-wave-amplitude as a guide for detecting intravascular injection of a test dose in anesthetized children.  Anesth Analg. 1999;  88 754-758

Dr. Clemens Schorer DEAA

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