Suchttherapie 2005; 6 - A4
DOI: 10.1055/s-2005-923725

Ärztliche Handlungsfreiheit und evidenzbasierte Medizin

W Dresch 1
  • 1Hausarzt, Köln

In der Ärztezeitung vom 27. Juli 2005 sind unter der Überschrift: „ Ein bisschen Wein scheint den Nieren gut zu tun“ Daten der „Physicians'Health Study“ (PHS) veröffentlicht worden, die von mehr als 11.000 Ärzten über 14 Jahre erhoben wurden.

Diese Ergebnisse sind gleichzeitig auch über die dpa an unsere Patienten verbreitet worden:

„Bei Männern mit sieben Drinks pro Woche lag das Risiko, an erhöhten Kreatinin-Werten zu leiden, um 30% niedriger als beispielsweise bei Abstinenzlern“, sagt Studienautorin Elke SCHAEFFNER von der Charité-Klinik für Nephrologie. Dieses Ergebnis sei statistisch bedeutsam...

Der Patient wird aus den Daten dieser dpa-Meldung zu Rückschlüssen auf sein Verhalten verleitet, die nicht begründet sind, denn er wird bei fast jedem Dritten Teilnehmer dieser Studie einen positiven Effekt auf die Nierenfunktion durch sieben Drinks pro Woche vermuten.

Aus den Unterlagen dieser dpa-Meldung kann er nämlich nicht ersehen, dass dieser positive Effekt nur bei jedem 100ten nach über 14 Jahren aufgetreten ist und dass durch nichts bewiesen ist, dass hier ein alkoholspezifischer lebensverlängernder Effekt nachgewiesen wurde.

Und die Tatsache, dass es Ärzte gibt, die ohne gesundheitliche Schäden über sieben Drinks pro Woche konsumieren können, dürfte kaum eine Pressemeldung wert sein.

Durch eine kurze Analyse solcher Meldungen nach den Regeln der EbM stellt sich oft heraus, dass Ergebnisse von angeblich nach den höchsten wissenschaftlichen Kriterien hergestellten Studienergebnissen oft kaum Relevanz für den alltäglichen Alltag haben, während die angeblich so unwissenschaftlich entstandenen Einzelfallbeobachtungen unsere ärztlichen Entscheidungen unterstützen können, besonders wenn sie offen mit Kollegen besprochen worden sind.