Kardiologie up2date 2006; 2(1): 2-6
DOI: 10.1055/s-2006-925242
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Herzinsuffizienz
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Kommentar zu den Leitlinien - Therapie der chronischen Herzinsuffizienz

Ruth  H.  Strasser
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Publication Date:
20 April 2006 (online)

Leitlinien

Die Leitlinien zur Therapie der chronischen Herzinsuffizienz der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie wurden in der Zeitschrift für Kardiologie publiziert (Zeitschrift für Kardiologie 2005; 94 : 488 - 509), einzusehen auf der Homepage der Fachgesellschaft (www.dgk.org). Dort sind auch die Pocket-Leitlinien als praktische Kurzfassung zu finden und stehen als Download zur Verfügung (Abb. [1] und [2]).

Abb. 1 Titelseite der Veröffentlichung der Leitlinien in der Zeitschrift für Kardiologie.

Abb. 2 Titelseite der Pocket-Leitlinien.

Die chronische Herzinsuffizienz stellt heute mit mehr als 10 Millionen betroffenen Menschen eine der häufigsten internistischen Erkrankungen dar. Die Prävalenz dieser Erkrankung wird mit der demografischen Entwicklung in den westlichen Industrieländern weiter zunehmen, da die chronische Herzinsuffizienz in besonderem Maße eine Erkrankung des älteren Menschen ist. Somit ist die Bedeutung dieser zweiten revidierten Fassung der neu erstellten Leitlinien für die tägliche Praxis und die langjährige Therapie dieser chronischen Erkrankung auch vor der Perspektive des Gesundheitswesens nicht zu unterschätzen.

Die Bedeutung dieser Leitlinie liegt auch darin, dass hier zum einen systematisch die neueste Literatur zur Thematik und zum anderen auch die aktuellen Leitlinien der europäischen und amerikanischen kardiologischen Fachgesellschaften berücksichtigt werden.

Obwohl der Titel der Leitlinien sich irreführend nur auf die Therapie bezieht, wird dennoch auch das diagnostische Vorgehen dargestellt. Im ersten Teil der Leitlinien wird in kurzer und sehr prägnanter Form zu den wichtigsten diagnostischen Schritten und Methoden Stellung genommen. Sehr klar und wertvoll für die Praxis ist die Bewertung einzelner diagnostischer Schritte. Sehr gut dargestellt ist die systolische Herzinsuffizienz, während die diastolische Herzinsuffizienz nur kurz und unvollständig erwähnt wird. Ein getrenntes Kapitel, das auch explizit die Therapie dieser besonderen Form zusammenstellt, wäre sicher hilfreich gewesen. Zur diastolischen Herzinsuffizienz finden Sie einen exzellenten Überblick in der vorliegenden Ausgabe von Kardiologie up2date.

Stellungnahme der Leitlinie zu Ursachen und Prognose der chronischen Herzinsuffizienz

In einer Tabelle werden die Ursachen der chronischen Herzinsuffizienz vorgestellt. Hier spielen die koronare Herzerkrankung und die lange bestehende arterielle Hypertonie eine entscheidende Rolle, während die dilatative und die hypertrophe Kardiomyopathie wie auch die entzündlichen Herzerkrankungen eine untergeordnete Rolle spielen. In den Leitlinien fehlt eine genaue Darstellung der Häufigkeit der Ursachen der chronischen Herzinsuffizienz in der westlichen Bevölkerung bzw. in Europa. In Abb. [3] sind die wesentlichen Ursachen der chronischen Herzinsuffizienz dargestellt.

Abb. 3 Ursachen der chronischen Herzinsuffizienz.

Im Vergleich zu den vorangegangenen Leitlinien der DGK ist die Darstellung der Schweregradeinteilung der chronischen Herzinsuffizienz neu. Hier steht die klassische funktionelle Einteilung nach der NYHA-Klassifikation der prognostisch orientierten Klassifikation gegenüber (Tab. [1] und [2]).

Tabelle 1 Prognostisch orientierte Klassifikation der chronischen Herzinsuffizienz Stadium Prognose A hohes Herzinsuffizienzrisiko, da Faktoren vorliegen, die stark mit der Entstehung einer Herzinsuffizienz assoziiert sindkeine strukturelle Herzerkrankungnoch nie Herzinsuffizienzsymptome B strukturelle Herzerkrankung, die eng mit der Entstehung einer Herzinsuffizienz assoziiert istbisher keine Herzinsuffizienzsymptome C frühere oder derzeitige Herzinsuffizienzsymptome bei struktureller Herzerkrankung D fortgeschrittene strukturelle Herzerkrankung und schwere Herzinsuffizienzsymptome in Ruhe trotz maximaler medikamentöser Therapie (spezielle Therapie erforderlich, z. B. Herztransplantation, i. v. Inotropika, „assist device”) Tabelle 2 Funktionelle Klassifikation der chronischen Herzinsuffizienz nach NYHA Grad Symptomatik I Herzerkrankung ohne körperliche Einschränkungalltägliche körperliche Belastung verursacht keine inadäquate Erschöpfung, Rhythmusstörungen, Luftnot oder Angina pectoris II Herzerkrankung mit leichter Einschränkung der körperlichen Leistungsfähigkeitkeine Beschwerden in Ruhealltägliche körperliche Belastung verursacht Erschöpfung, Rhythmusstörungen, Luftnot oder Angina pectoris III Herzerkrankung mit höhergradiger Einschränkung der körperlichen Leistungsfähigkeit bei gewohnter Tätigkeitkeine Beschwerden in Ruhegeringe körperliche Belastung verursacht Erschöpfung, Rhythmusstörungen, Luftnot oder Angina pectoris IV Herzerkrankung mit Beschwerden bei allen körperlichen Aktivitäten und in RuheBettlägrigkeit

Diese kurze und prägnante Darstellung des Schweregrades, die zu einem großen Teil aus den amerikanischen Leitlinien übernommen wurde, erlaubt in exzellenter Weise die Umsetzung in die tägliche Praxis. Die Therapieabstufung wurde allerdings nur und ausschließlich nach der funktionellen Klassifikation vorgenommen.

Ein sehr kurzes Kapitel zur Prognose der Erkrankung wurde eingefügt. Außerdem wurde der Versuch unternommen, eine Risikoabschätzung anzubieten. Allerdings werden ohne weitere Wertung die einzelnen Risikoparameter ohne konkrete Quantifizierung aufgezählt - eine ausgewogene Darstellung der einzelnen Parameter fehlt. Interessant, aber sicher nicht einfach, wäre der Versuch gewesen, eine Gewichtung und Wertung vorzunehmen. Die Arbeitsgruppe war sich dieser Problematik bewusst und hat versucht, für einzelne, extreme Parameter wie den „überlebten plötzlichen Herztod” eine Gewichtung in die Leitlinie aufzunehmen. Allerdings fehlt hier die konsequente weitere Aufarbeitung der Literatur und der Versuch, einen Risikoscore - ähnlich dem Risikoscore der Procam-Studie - zu entwickeln. Ein solcher Score hätte auch deshalb Bedeutung, weil die medikamentöse Führung des Patienten extrem ressourcenintensiv ist und sich neben dem Schweregrad der Erkrankung nach dem Risiko des Patienten richten muss. Die Entwicklung eines Risikoscores anhand der Literatur ist zwar nicht einfach, doch die Erstellung der Leitlinien hätte die Chance geboten, einen solchen Risikoscore zu entwickeln und in die Praxis einfließen zu lassen.

Stellungnahme der Leitlinie zur Diagnostik der chronischen Herzinsuffizienz

Die Leitlinie geht in einem kurzen Kapitel auf die „therapierelevante Diagnostik” der chronischen Herzinsuffizienz ein. An dieser Einschränkung auf die therapierelevante Diagnostik ist zu erkennen, dass hier eher basales Lehrbuchwissen zur praktischen Umsetzung und klinischen Führung des Patienten dargestellt wird. An mehreren Stellen wird der Versuch einer Wertung und Wichtung der einzelnen Schritte vorgenommen. Allerdings wird, da der Schwerpunkt der Leitlinien nicht die Diagnostik ist, auf eine Darstellung der Literatur und eine kritische Bewertung verzichtet. Ohne Angaben von Evidenzgraden, die bei der Diagnostik schwer zu ermitteln sind, wird der klinische Stellenwert abgeschätzt. Hinweise darauf, welche diagnostischen Schritte in welchen Abständen zur Überwachung der Therapie zu empfehlen sind, fehlen gänzlich.

Die in den Leitlinien sehr breit abgehandelte Echokardiographie ist für die Diagnosestellung unzweifelhaft wichtig. Zur Verlaufskontrolle von herzinsuffizienten Patienten unter Therapie ist die Echokardiographie dagegen wenig hilfreich. Die Verlaufskontrolle ist eine Domäne der Belastungsuntersuchungen. Insbesondere individuelle Unterschiede der maximalen Sauerstoffaufnahme und der Gehstrecke im 6-Minuten-Gehtest erbringen zuverlässige Werte. So lässt sich eine progressive Abnahme der kardiopulmonalen Leistungsreserve frühzeitig erkennen, um die Patienten rasch in ein spezialisiertes Herzinsuffizienzprogramm einzubringen - ggf. mit der Option einer Herztransplantation.

Obwohl sich die Hinweise mehren, dass die familiäre Häufung der chronischen Herzinsuffizienz stark unterschätzt wird, gehen die Leitlinien nicht auf genetische Untersuchungen und die Untersuchung der Familien Betroffener ein. Erfrischend sind die Hinweise bei einzelnen Verfahren, die in der Primärdiagnostik der chronischen Herzinsuffizienz geringen oder keinen Stellenwert mehr haben. Vollständig fehlt die spezielle Diagnostik bei Patienten, die eventuell einer Herztransplantation oder einem anderen operativen Verfahren wie z. B. einer Mitralklappenrekonstruktion zuzuführen sind. Auch Hinweise, wann solche operativen Maßnahmen aufgrund der Diagnostik kontraindiziert sind, sucht man vergebens.

Vielleicht wären wir in der Kommission für Klinische Kardiologie der DGK gut beraten gewesen, getrennte Leitlinien zur Diagnostik der chronischen Herzinsuffizienz und zur diagnostischen Begleitung des herzinsuffizienten Patienten unter Therapie zu entwickeln oder zu initiieren. Auf diese Weise hätte man dann auch differenzierter auf die systolische, die diastolische und die genetisch bedingte Herzinsuffizienz eingehen können.

Stellungnahme der Leitlinie zur Therapie der chronischen Herzinsuffizienz

Der eindeutige Schwerpunkt und die Stärke der Leitlinie ist die Pharmakotherapie der chronischen Herzinsuffizienz. Hier gewinnt die Leitlinie an Qualität und Präzision. Literatur und Evidenzgrade werden gut benannt, übersichtliche Tabellen machen die Leitlinie leicht lesbar. Gute Angaben zu Dosierungen und Nebenwirkungen sind hilfreich. Die Angaben zu Verlaufskontrollen sind im Wesentlichen auf die Nebenwirkungen der einzelnen Medikamente bezogen. Es fehlen aber Hinweise auf die Untersuchungsintervalle zur Therapiekontrolle, welche insbesondere für ambulant tätige Kollegen und für Kostenträger eine besondere Tragweite haben werden.

Sehr klar dargestellt sind in Tabellenform die wesentlichen Therapieziele mit der Reduktion der Sterblichkeit. Umso mehr verwundert, warum eingeräumt wird, dass an verschiedenen Stellen von diesem primären Therapieziel abgewichen wird. So wird beispielsweise im Text festgestellt, dass bei der Betablockertherapie Metoprololtartrat - im Gegensatz zu Metoprololsuccinat - und Nebivolol die Gesamtsterblichkeit nicht positiv beeinflussen. Dennoch erscheint Nebivolol in der Tabelle zur Betablockertherapie der chronischen Herzinsuffizienz, Metoprololtartrat konsequenterweise jedoch nicht. Nebivolol hat nur bei älteren Patienten lediglich die Häufigkeit einer Krankenhauseinweisung kombiniert mit der Sterblichkeit positiv beeinflusst, die Gesamtsterblichkeit aber nicht.

Bei den Thiaziden fehlt der Hinweis auf eine inzwischen gut belegte prodiabetogene Wirkung, bei den Digitalispräparaten der Hinweis, dass die Studien mit Digoxin nicht mit Digitoxinpräparaten durchgeführt wurden. Dennoch erscheint in der Tabelle zu den Herzglykosiden das Digitoxin. Dies mag ein Zugeständnis an die breite Verwendung von Digitoxin in den neuen Bundesländern sein, die allerdings aufgrund der Studienlage eher kritisch zu sehen ist. Sehr erfrischend und gewinnbringend sind die Hinweise, dass Kombinationen von Hydralazin und Isosorbiddinitrat wesentlich schwächer sind und insbesondere der Hinweis, dass in der Therapie der chronischen Herzinsuffizienz für Calciumantagonisten keine primäre Indikation besteht. Auch die klare Ablehnung positiv inotroper Substanzen oder die fehlende Indikation von Phytopharmaka und Coenzym Q ist sind wichtige Hinweise für die tägliche Praxis. Hier wäre vielleicht eine entsprechende Literaturangabe hilfreich gewesen.

Der kurze Ausflug in die Therapie der akuten Herzinsuffizienz beispielsweise mit Levosimendan könnte verwirrend sein und sollte einer Therapieleitlinie zur akuten Herzinsuffizienz vorbehalten bleiben.

Unzureichend und nur in Tabellenform dargestellt sind die nicht-medikamentöse Therapie und die Verhaltensempfehlungen zur Patientenführung. Zumindest findet sich ein solider Hinweis auf ein „moderates körperliches Ausdauertraining”, ohne aber die „Dosis” näher zu spezifizieren. Es ist genau diese Schwäche der Lehrbuchmedizin, die auch in der Leitlinie leider nicht überwunden wird. Die Studienlage dazu ist mager, weshalb wohl diese Zurückhaltung geübt wurde. Da dies dennoch ein wichtiges Gebiet ist, in dem die Motivation des Patienten zur allgemeinen Therapietreue beitragen kann, sollte überlegt werden, ob eine Arbeitsgruppe der Rehabilitationsmedizin die Leitlinie weiter ausarbeiten und praktische Therapieschritte entwickeln und empfehlen könnte.

Das Kapitel zur Therapie der diastolischen Herzinsuffizienz ist wenig ausführlich und der Vollständigkeit halber eingefügt. Es ist lediglich eine Studie zitiert, eine Angabe zur Empfehlungsstärke fehlt gänzlich. Auch die Informationen zu den operativen Maßnahmen wie Mitralklappenchirurgie oder Herztransplantation und zum Kunstherz oder Assistsystemen sind lediglich erwähnt. Indikationen und Kontraindikationen sind nur unzureichend dargestellt. Für den speziell kardiologisch tätigen Kollegen wäre auch zu diesem Thema die Entwicklung entsprechender Empfehlungen oder die Entwicklung von Leitlinien wünschenswert.

Prof. Dr. Ruth H. Strasser

Technische Universität Dresden · Herzzentrum Dresden - Universitätsklinik · Medizinische Klinik und Kardiologie mit Internistischer Intensivmedizin

Fetscherstr. 74 · 01307 Dresden

Email: Ruth.Strasser@mailbox.tu-dresden.de

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