Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2006; 41(4): 267-269
DOI: 10.1055/s-2006-925272
Mini-Symposium
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Nervenstimulatorgestützte periphere Regionalanästhesie: Technik der ewig Gestrigen? oder Ultraschallgesteuerte periphere Regionalanästhesie: Technik für Warmduscher?

Nerve Stimulation Based Peripheral Regional Anesthesia: Technique of the Old-fashioned or Sonography-directed Peripheral Regional Anesthesia a Technique for Ninnies?H.  Behnke1
  • 1Klinik für Anästhesie, Intensiv- und Schmerztherapie, Wesermarsch-Klinik Nordenham
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Publication Date:
24 April 2006 (online)

Pro- und Contra-Sitzungen im Rahmen von Symposien dienen meist mehr der Belustigung des Publikums über die mit missionarischem Eifer wettstreitenden Kontrahenten, denn dem ernsthaften Bemühen, die Wahrheit zu finden. Nicht immer stellt sich die Welt so binär dar, wie es für derartige Veranstaltungen von Nutzen wäre. Dies gilt auch im Bezug auf die Frage, ob die Einführung der ultraschallgesteuerten Nervenlokalisation die seit einhundert Jahren etablierte und erfolgreich praktizierte immer weiterentwickelte Nervenlokalisation unter Zuhilfenahme eines Nervenstimulators verdrängt oder nicht. Eines sei bereits an dieser Stelle bemerkt: Die Wahrheit liegt wie so häufig in der Mitte.

Zweifelsohne erfreut sich der Einsatz von Regionalanästhesietechniken im Rahmen von multimodalen Anästhesiekonzepten wegen der suffizienten nebenwirkungsarmen Schmerztherapie in Verbindung mit einem verbesserten funktionellen Outcome und einer hohen Patientenzufriedenheit [1] einer ständig wachsenden Beliebtheit bei vielen Anästhesist/Innen. Regionalanästhesietechniken hafteten aber seit ihrer Inaugurierung der Makel des möglichen Versagens an. So verwundert es nicht, dass bereits 1912 von dem Anhänger der Regionalanästhesie, Prof. Dr. Perthes eine Möglichkeit gesucht und gefunden wurde, Nerven unabhängig von Patientenangaben zu lokalisieren. Unter dem Titel „Über Leitungsanästhesie unter Zuhilfenahme elektrischer Reizung” wurde diese neue Technik damals der Fachwelt vorgestellt. Erstmals war es möglich, Nerven durch eine objektive nervenspezifische Muskelantwort unter Vermeidung von für den Patienten schmerzhaften Parästhesien zu lokalisieren. In der Folge weitete sich das Indikationsspektrum bis zu dem uns heute bekannten Umfang aus. Die Ausbildung in Regionalanästhesietechniken verbesserte sich, da nun der Ausbilder verfolgen konnte, was der Auszubildende mit der Stimulationsnadel tat. In zahlreichen wissenschaftlichen Untersuchungen wurde nachgewiesen, dass mit Abnahme der für eine nervenspezifische Muskelantwort notwendigen Reizstromstärke die Stimulationsnadel immer näher an dem gesuchten Nerven liegt [2] [3]. Kaiser et al. [4] ermittelten daraus die optimale Reizstromstärke für eine sichere und mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolgreiche Nervenblockade. In Abhängigkeit von den zu blockierenden Nerven und der gewählten Technik (z. B. Aufsuchen und Blockade einzelner Nerven beim axillären Plexus vs. en-bloc-Applikation des Lokalanästhetikums) werden von vielen Autoren Erfolgsraten von über 92 % beschrieben [5]. Allerdings liegen auch Untersuchungen vor, die eine geringere Erfolgsrate angeben [6]. Diese Potentialdifferenz lieferte in der Vergangenheit die Energie für eine an die Suche nach dem Heiligen Gral erinnernde, schier unendliche Beschreibung neuer optimaler Punktionsorte. Die neuen Zugangswege zeichneten sich dabei anwenderunabhängig durch hohe Blockadeerfolge bei einfach durchzuführender Technik aus, die auch von dem nur mäßig Geübten erfolgreich eingesetzt werden konnte [7]. In der Praxis ließ sich dies bisweilen nicht immer nachvollziehen. Diese methodische Unsicherheit versuchen nun die Verfechter ultraschallgestützter RA-Verfahren zu ihrem Vorteil zu nutzen und argumentieren mit einer nahezu 100-prozentigen Erfolgsrate [8]. Hieraus aber die Überlegenheit ultraschallgestützter Blockadetechniken abzuleiten, wäre voreilig. Nach einer von Grau [9] durchgeführten Umfrage kommen ultraschallgestützte Blockadetechniken nur in ca. 2 % der befragten Kliniken in der Routine zum Einsatz. Sie sind damit Experten und Enthusiasten der Regionalanästhesie vorbehalten. Der Nachweis der Alltagstauglichkeit, besonders in Abteilungen mit nur einer geringen Anzahl von Nervenblockaden im Jahr, fehlt. Der Vergleich der Erfolgsraten lässt meines Erachtens nur einen Schluss zu: Entscheidend für den Erfolg einer Blockade ist die persönliche Erfahrung des/der Durchführenden.

Periphere Regionalanästhesieverfahren führen nur selten zu methodisch bedingten ernsthaften und in der Folge invalidisierenden Komplikationen [10] [11]. Bei einem Komplikationsrisiko von 0,004 - 0,02 % [12] wird der Nachweis einer klinisch relevanten Risikominimierung durch den Einsatz von Ultraschall nur schwer zu führen sein. In einer erst kürzlich veröffentlichten Publikation beschreibt Kefalianakis [13] bei einem von 34 Patienten eine intravasale Katheterfehllage im Rahmen einer ultraschallgesteuerten Katheteranlage für eine kontinuierliche Katheter-Regionalanästhesie.

Vor dem Hintergrund der immensen Anschaffungskosten für ein geeignetes Ultraschallgerät (€ 20 000 - 28 000) bleibt noch die Frage nach dem vermeintlichen wirtschaftlichen Nutzen zu erörtern. Anhänger der Methode propagieren die interdisziplinäre Nutzung der Geräte. Dies funktioniert im Alltag allerdings nur in Ausnahmefällen. Wir alle kennen die leidige Suche nach dem Ultraschallgerät im Schockraum, wir alle ärgern uns im Klinikalltag häufig über die mangelhafte Pflege und Einsatzbereitschaft von Geräten, die einerseits von mehreren genutzt werden, für die sich aber andererseits niemand verantwortlich fühlt. Allein die Suche nach dem Ultraschallgerät nivelliert eine vermeintlich kürzere Anschlagzeit und damit auch die eventuelle Kosteneinsparung [14] [15]. Der Nutzen dieser möglicherweise verkürzten Anschlagzeit durch den Einsatz von Ultraschall hängt in erster Linie von der Organisation der Arbeitsabläufe in der Anästhesieabteilung ab. Werden Patienten just in time in den OP gebracht, so mag in diesem Falle eine verkürzte Anschlagzeit einen gewissen Zeitvorteil darstellen. Dieser Vorteil wird klinisch wie monetär bedeutungslos, wenn eine Holding Area (ehemals auch Aufwachraum genannt) vorhanden ist und der Anästhesist so frühzeitig Zugriff auf den Patienten hat. Ebenso ist auch eine Reduktion (und damit Kosteneinsparung) der zur Nervenblockade notwendigen Lokalanästhetikamenge nicht zwangsläufig mit dem Einsatz von Ultraschall [16] verbunden.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass ultraschallgestützte Regionalanästhesietechniken ein wertvolles zusätzliches Werkzeug in der Hand des Könners darstellen (Regionalanästhesie bei Kindern oder in risikobehafteten Regionen). Der Nachweis einer geringeren Komplikations- und höheren Erfolgsrate steht allerdings noch aus [17]. So darf die Diskussion Ultraschall vs. Nervenstimulator nicht zu einer Polarisierung oder gar Spaltung der Regionalanästhesie-Anhänger führen. Die Einführung einer „Ultraschallpflicht” für die Durchführung von Regionalanästhesietechniken wäre in meinen Augen ein falsches Zeichen; dieses würde den Einsatz von Regionalanästhesieverfahren in vielen Kliniken unmöglich machen.

Nervenstimulator-gesteuerte Regionalanästhesietechniken stellen auch weiterhin eine gut etablierte, sichere, erfolgreiche und kostengünstige Methode zur Durchführung von peripheren Regionalanästhesieverfahren im Alltag dar.

Dem von V. Chan geprägten Ausspruch „Durch Ultraschall wird Regionalanästhesie von der Kunst (Kunst kommt von Können, Anmerk. des Autors) zur Wissenschaft” [18] mag ich frei nach Kant gegenüberstellen: „Habe Mut, dich deines manuellen Geschicks zu bedienen.”

Literatur

  • 1 Capdevila X. et al . Effects of Perioperative Analgesic Technique on the Surgical Outcome and Duration of Rehabilitation after Major Knee Surgery.  Anesthesiology. 1999;  91 8-15
  • 2 Ford D J, Pither C, Raj P P. Comparison of insulated and uninsulated needles for locating peripheral nerves with a peripheral nerve stimulator.  Anesth Analg. 1984;  63 925-928
  • 3 Pither C E, Ford D J, Raj P P. Peripheral nerve stimulation with insulated and uninsulated needles: efficacy and characteristics.  Region Anesth. 1984;  9 42-46
  • 4 Kaiser H, Niesel H C, Klimpel L, Bodenmueller M. Prilocaine in lumbosacral plexus block - general efficacy and comparison of nerve stimulation amplitude.  Acta Anaesthesiol Scand. 1992;  36 692-697
  • 5 Minville V. et al . Infraclavicular Brachial Plexus Block Versus Humeral Approach: Comparison of Time and Efficacy.  Anesth Analg. 2005;  101 1198-1201
  • 6 Farrar M, Scheybani M, Nolte H. Upper extremity block-effectiveness and complications.  Reg Anesth. 1981;  6 133-134
  • 7 Kilka H G. Infraclavicular vertikal brachial plexus blockade. A new method for anesthesia of the upper extremity. An anatomical and clinical study.  Anästhesist. 1995;  44 339-344
  • 8 Marhofer P. et al . Ultrasound guidance in regional anaesthesia.  Br J Anaesth. 2005;  94 7-17
  • 9 Grau T. et al . Umfrage zur aktuellen Situation der Regionalanästhesie im deutschsprachigem Raum. Teil 2.  Anästhesist. 2004;  53 847-855
  • 10 Anthony N. Passannante Spinal Anesthesia and Permanent Neurologic Deficit After Interscalene Block.  Anesth Analg. 1996;  82 873-874
  • 11 Auroy Y. et al . Serious Complications Related to Regionalanesthesia.  Anesthesiology. 1997;  87 479-486
  • 12 Büttner J. Nervenblockaden an den oberen Extremitäten. In: Niesel HC, van Aken H (Hrsg) Lokalanästhesie, Regionalanästhesie, Regionale Schmerztherapie. Stuttgart; Thieme 2002: 268-305
  • 13 Kefalianakis F. Ultraschall zur Blockade peripherer Nerven.  Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther. 2005;  40 142-149
  • 14 Marhofer P. et al . Ultrasonographic Guidance Improves Sensory Block and Onset Time of Three-in-One Blocks.  Anesth Analg. 1997;  85 854-857
  • 15 Sandhu N S. The Cost Comparison of Infraclavicular Brachial Plexus Block by Nerve Stimulator and Ultrasound Guidance.  Anesth Analg. 2004;  98 267-268
  • 16 Kefalianakis F. Ultraschall zur Blockade peripherer Nerven.  Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther. 2005;  40 142-149
  • 17 Wulf H. Den Nerven möglichst nahe kommen - Wissen? Fühlen? Messen? Sehen?.  AINS. 2005;  10 565-566
  • 18 Chan V. Ultrasound Imaging of Peripheral Nerves: A Need for a New Trend.  Reg Anesth Pain Med. 2005;  30 321-323

Dr. Hagen Behnke

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