intensiv 2006; 14(6): 269-275
DOI: 10.1055/s-2006-927210
Anästhesie

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Anästhesie bei Restless-Legs-Syndrom

Mario Hohenegger1
  • 1Vincentius-Krankenhaus Speyer, Anästhesie und Intensivmedizin
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Publication Date:
06 December 2006 (online)

Das Fachgebiet der Anästhesie und Anästhesiepflege ist in großen Teilen durch eine Alltagsroutine geprägt. Die Handlungsabläufe ähneln sich jeden Tag aufs Neue. Sobald Patienten unter einer anästhesierelevanten Erkrankung leiden, wird diese Routine aufgehoben. Zahlreiche Besonderheiten sind dann zu beachten, die eine ständige Fortbildung des Personals erfordern. Oft ist vor entsprechenden Anästhesie-Verfahren eine gezielte Literatur-Lektüre erforderlich.

So erfordern neurologische Erkrankungen eine erhöhte Aufmerksamkeit des Anästhesie-Teams. So müssen pharmakologische Besonderheiten beachtet werden und ein neurologisch erweitertes Monitoring durchgeführt werden.

Viele neurologische Krankheiten gehen mit einem erhöhten postoperativen Risiko einher.

Das Restless-Legs-Syndrom ist eine im heutigen klinischen Alltag relativ unbekannte Störung des dopaminergen Systems. Auch ein Zusammenhang mit dem Opiat-Rezeptor-System wird diskutiert. Die Inzidenz der Erkrankung ist mit 5 - 10 % der Gesamtbevölkerung in Deutschland überraschend hoch [1]. Damit ist das Restless-Legs-Syndrom (RLS) eine der häufigsten neurologischen Erkrankungen überhaupt. Weitere mehr oder weniger häufig auftretende Erkrankungen sind beispielsweise Morbus Parkinson (vor allem im fortgeschrittenen Alter), multiple Sklerose und Myasthenia gravis.

Definiert wird das RLS als intermittierend-paroxysmal, vor allem nachts und im Liegen auftretende schmerzhafte Empfindungen in den Beinen mit resultierender Bewegungsunruhe. Die Ätiologie ist dabei weitgehend unklar. Das RLS wird auch als Wittmaack-Ekbom-Krankheit oder als Syndrom der unruhigen Beine bezeichnet [2].

Man unterscheidet zwischen der idiopathischen, vererbbaren Form und der sekundären Form. Letztgenannte tritt als Begleitsyndrom bei Erkrankungen wie Eisenmangel, Anämie, Urämie (Niereninsuffizienz), Rückenmarksschädigungen, Polyneuropathie und während der Schwangerschaft auf.

Die Diagnosefindung ist derzeit äußerst unbefriedigend. In der REST-Studie (REST = „RLS Epidemiology, Symptoms and Treatment”) konsultierten 81 % der Patienten aufgrund der aufgetretenen Symptome einen Arzt. Bei 75 % der Patienten wurden aufgrund der vorliegenden Beschwerden unterschiedliche Diagnosen gestellt. Jedoch wurden nur 8,3 % korrekt auf RLS diagnostiziert [3].

Dies lässt vermuten, dass die Zahl der RLS-Patienten, die im Alltag eine Narkose benötigen, weitaus höher ist als angenommen. Daher ist es wichtig, entsprechende Patienten zu identifizieren und entsprechende Maßnahmen einzuleiten.

Die Diagnose des Restless-Legs-Syndroms ist nicht immer einfach. Sie basiert auf der Klinik der Patienten und ist abhängig von deren Angaben.

Klinisch zeigt sich das RLS in Missempfindungen wie Kribbeln oder Schmerzen. Diese wiederum verursachen eine mehr oder weniger ausgeprägte Bewegungsunruhe. Auch im Schlaf können so genannte periodische Bewegungen auftreten, die dem Patienten meist überhaupt nicht bewusst sind. Die Patienten klagen oft über Ein- und Durchschlafstörungen sowie Müdigkeit am Tage. Auch Depressionen entwickeln sich relativ häufig im Verlauf der Erkrankung. Diese Depressionen resultieren meist aus dem frustrierenden Erlebnis aus Schmerz und nicht kontrollierbarem Bewegungsdrang. Die Symptome verschlechtern die Lebensqualität und so entwickelt sich die verschlechterte Stimmungslage.

Therapeutisch wird bei der sekundären Form die Begleiterkrankung bekämpft. Zudem ist es je nach Patient wichtig, auslösende Faktoren wie Alkohol, Nikotin, Koffein, Kohlensäure, Süßstoffe, Geschmacksverstärker und Schokolade sowie Bewegungsmangel zu vermeiden. Oft ist neben der Beseitigung oder Linderung der Ursache jedoch auch eine spezifische Therapie erforderlich.

Die idiopathische Form bedarf meist dieser spezifischen Therapie. An erster Stelle stehen hier Levodopa und Dopamin-Agonisten. Ergänzt werden kann die Therapie durch Antiepileptika, Benzodiazepine und Opiate. Benzodiazepine sind jedoch wegen ihres hohen Suchtpotenzials umstritten. Die Therapie mit Levodopa soll in 75 % der Fälle zu einer Linderung führen [3]. Neuerdings wird auch das neue Medikament Pramipexol europaweit empfohlen [3].

Vor allem bei schweren Verlaufsformen ist oft eine Kombinationstherapie unausweichlich.

Bei leichten Formen reicht jedoch im Umkehrschluss oftmals die Vermeidung auslösender Faktoren weitgehend aus.

Eine invasive Methode zur Bekämpfung der Schmerzbeschwerden stellt die Blockade der Ischiasnerven dar. Dabei wird beispielsweise über einen eingelegten Katheter ein langwirksames Lokalanästhetikum wie beispielsweise Ropivacain oder Bupivacain verabreicht (Bolus oder kontinuierlich). Diese Methode ist vor allem bei ursächlich vorliegender arterieller Verschlusskrankheit (AVK) sehr hilfreich [3].

Wie bereits erwähnt, müssen RLS-Patienten - auch solche, bei denen zuvor noch keine Diagnose gestellt wurde - präoperativ identifiziert werden. Dies ist im Rahmen des Prämedikationsgesprächs durchaus möglich, wenn auch schwierig. Es sollte jedoch gezielt nach dem Vorliegen von ruheabhängigen Schmerzen in den Beinen mit resultierender Bewegungsunruhe gefragt werden.

Die dopaminerge Therapie, beispielsweise mit Levodopa, sollte präoperativ so lange wie möglich durchgeführt werden. Das bedeutet, dass sie auch am OP-Tag durchgeführt und postoperativ weitergeführt werden soll.

Zudem wird der großzügige Einsatz von Opiaten empfohlen. Entgegen anders lautender Trends hin zu nichtsteroidalen Analgetika ist hier der primäre Einsatz von Opiaten in der postoperativen Phase sinnvoll. Dieser Einsatz sollte frühestmöglich erfolgen und ist durch die intraoperative Gabe bei Allgemeinanästhesie schon gewährleistet. Im weiteren Verlauf sind auch orale Opiate wie Tilidin sinnvoll. Eventuell ist auch eine transdermale Behandlung beispielsweise mit Fentanyl-Pflaster indiziert.

Eine zusätzliche Schmerztherapie mit Nichtopiat-Analgetika (z. B. Novaminsulfon) ist möglich.

Die optimale Anästhesie für RLS-Patienten sind die Regionalanästhesie-Verfahren (z. B. Spinalanästhesie). Auch die Anlage eines Spinalkatheters zur längerfristigen Opiat-Verabreichung ist möglich und im Hinblick auf die postoperative Phase sogar wünschenswert.

Bei Peridural-Anästhesien kann es zu den beschriebenen periodischen Beinbewegungen kommen. Hier ist unter Umständen der peridurale Einsatz von Morphin erforderlich.

Ist eine Regionalanästhesie aufgrund von Kontraindikationen oder entsprechenden Operationen nicht möglich, so muss bei der Allgemeinanästhesie auf Etomidat, Propofol und Enfluran verzichtet werden. Die Narkoseeinleitung erfolgt mit Thiopental, die Aufrechterhaltung mit Sevofluran oder Isofluran. Der Einsatz von Lachgas ist möglich.

Zahlreiche Medikamente sind beim RLS kontraindiziert. Es handelt sich dabei um Substanzen, die eine dopamin-antagonistische Komponente haben. Einige davon werden mehr oder weniger häufig routinemäßig in der perioperativen Phase eingesetzt. Dazu zählen beispielsweise Metoclopramid (mögliche Alternative beispielsweise bei PONV: 5-HT3-Antagonisten), Promethazin, Naloxon (Alternative: bei Opiatüberhang Nachbeatmung), Ranitidin und Cimetidin.

Weitere kontraindizierte Medikamente sind tri- und tetrazyklische Antidepressiva, Neuroleptika (z. B. DHB), Pirenzepin. All diese Medikamente führen aufgrund einer mehr oder weniger ausgeprägten anti-dopaminergen Wirkung zu einer Verschlechterung der Klinik und müssen unbedingt vermieden werden (siehe Tab. [1]).

Tab. 1 Kontraindizierte Medikamente im Rahmen des RLS kontraindizierte Narkotika - Etomidat- Propofol- Enfluran weitere kontraindizierte Medikamente - MCP- Promethazin- Naloxon- Ranitidin- Cimetidin- tri- und tetrazyklische Antidepressiva- Neuroleptika- Pirenzepin

Im Rahmen des RLS erlaubte Substanzen sind Levodopa, Dopamin-Agonisten, Opiate, Benzodiazepine, Zolpidem, Antiepileptika sowie 5-HT3-Antagonisten [4].

Postoperativ ist neben der frühzeitigen und großzügigen Gabe von Opiaten und dem Fortführen der gewohnten Therapie, beispielsweise mit Levodopa, die frühzeitige Mobilisation von besonderer Wichtigkeit. Auch aus diesem Grunde ist eine ausreichende Schmerztherapie, intravenös, oral oder durch Regionalanästhesie, sehr wichtig (Tab. [2]).

Tab. 2 Management des RLS-Patienten in der perioperativen Phase präoperativ - Therapie-Optimierung durch den Hausarzt- Identifizierung der RLS-Patienten- Fortführung der Therapie (auch am OP-Tag)- Prämedikation mit Benzodiazepinen- wenn möglich, Regionalanästhesie anstreben intraoperativ - möglichst Regionalanästhesie- bei Vollnarkose Kombination mit Regionalanästhesie (wenn möglich)- Thiopental- Opiate- Sevofluran, Isofluran postoperativ - primäre Schmerztherapie mit Opiaten (ggf. auch kontinuierliche Gabe oder patientengesteuerte Pumpensysteme [PCA])- Nichtopiat-Analgetika möglich- optimal: Regionalanästhesie (Katheter)- verlängerte Aufwachraum-Zeit- Fortführung der Therapie- frühzeitige Mobilisation- Übelkeit: 5-HT3-Antagonisten

Die auftretende Schmerzsymptomatik aufgrund des RLS sorgt für einen erhöhten Patienten-Stress und damit zu einem erhöhten Sauerstoffverbrauch mit gesteigerter Gefahr myokardialer Komplikationen (bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit). Zudem gestaltet sich die Rehabilitation unter Umständen schwieriger und länger. Dies gilt vor allem dann, wenn zwanghafte Bewegungen beispielsweise ein operiertes Knie falsch belasten.

Abb. 1 Pathophysiologie und Klinik des Restless-Legs-Syndroms.

Literatur

  • 1 http://www.dgn.org/118.0.html (26.9.2006). 
  • 2 http://www.tk-online.de/rochelexikon/ (26.9.2006).  ; 
  • 3 http://www.crps.de/restless-legs-syndrom/ (26.9.2006). 
  • 4 http://www.restless-legs.ch/de/links_leitfaden.cfm (26.6.2006). 

Mario Hohenegger

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