Zusammenfassung
Hintergrund: Das In-Kraft-Treten des Infektionsschutzgesetzes am 1.1.2001 führte in ganz Deutschland
zu einer Abschaffung der Untersuchungspflicht für Prostituierte. Die Auswirkungen
dieses Paradigmenwechsels in der STD-Prävention[1 ] werden nach wie vor kontrovers bewertet. Auch im Gesundheitsamt Köln wurden Konzeption
und diagnostisches Vorgehen an die neuen Abforderungen angepasst sowie die personelle
und technische Ausstattung verbessert. Das diagnostische und therapeutische Angebot
entsprach nun den internationalen Standards. Konsultationen und Diagnostik waren anonym
und kostenlos. Der vorliegende Beitrag dokumentiert die Auswirkungen dieser Veränderungen,
indem er Klientel und Anzahl der STD-Diagnosen in den Jahren 1994 und 2004 vergleicht.
Methode: Folgende Daten wurden verglichen: Zahl der Untersuchungen, untersuchte Personen hinsichtlich
Geschlecht, Tätigkeit in der Prostitution, Krankenversicherungsstatus, Nationalität
bzw. Migrationshintergrund, Häufigkeit der Untersuchungen, Anzahl der STD-Diagnosen.
Ergebnisse: Im Jahr 1994 wurden im Gesundheitsamt fast ausschließlich weibliche Prostituierte
untersucht, die zu 74 % in etablierten Prostitutionsbetrieben mit hohem professionellen
Standard tätig waren. Die Anzahl der diagnostizierten STDs war gering. Im Jahr 2004
richtete sich die Sprechstunde ausdrücklich an alle Menschen mit STD-Risiko, die von
der Regelversorgung nicht erreicht wurden. Nur 49 % der Klientel waren Prostituierte.
Der Anteil der männlichen Klienten betrug 25 %. 68 % der Patient/Innen waren Migrant/Innen,
viele ohne regulären Aufenthaltsstatus und ohne Zugang zur ärztlichen Regelversorgung.
Zahlreiche behandlungsbedürftige akute STDs und STD-Folgeerkrankungen wurden diagnostiziert.
Daneben bestand ein großer Bedarf an gynäkologischer und urologischer Differenzialdiagnostik
sowie an Beratung und Versorgung bei anderen Problemen sexueller Gesundheit. Diskussion: Der Vergleich der Daten ergibt, dass eine umfassende fachärztliche Betreuung, die
anonym und kostenlos aufgesucht werden kann, ein breiteres Spektrum an Personen mit
hohen Risiken für STD erreicht als eine nur auf die Kontrolle von Prostituierten ausgerichtete
Sprechstunde. Die hohe Zahl festgestellter akuter und chronischer STDs beweist die
höhere Effektivität des neuen Angebotes.
Abstract
Background: When in 2001 in Germany the new act for control of infectious diseases came into
force, mandatory checks for prostitutes were abolished. The consequences of this paradigm
shift in STD prevention are being judged controversially even today. The public health
department of the city of Cologne, like others, adapted its programme, staff, equipment,
and diagnostic procedures to the new requirements. The department for venereal disease
control was converted into a walk-in-clinic for STD and now forms part of a comprehensive
STD and Aids prevention unit. The present article illustrates the changes by comparing
the clients and the STD numbers of the years 1994 and 2004. Method: The following data were compared: number of consultations, number of clients regarding
sex, occupation in sex business, health insurance, national or ethnic background,
frequency of consultation, number of STD. Results: In 1994, almost all clients of the department for venereal disease control were female
prostitutes. 74 % of them worked in established sex business venues with a high grade
of professionalism, few STD cases were diagnosed. In 2004, the STD clinic was open
for anybody considered to be at risk and not having access to the regular health care
system. Only 49 % of the patients were prostitutes, either female or male. 25 % of
the clients were male. 68 % of the patients were migrants, many of them without any
legal status and without any access to regular health care. A high number of acute
STD and subsequent disorders that required treatment was registered. Besides the STD-related
services, a great need for gynaecological and urological differential diagnostics
as well as a high demand for counselling and provision of other problems of sexual
health were observed. Discussion: The data show that an STD department providing comprehensive services anonymously
and free of charge will reach a broader range of highly vulnerable persons in comparison
with an obligatory VD check of prostitutes. The high numbers of STD and STD-related
disorders demonstrate the improved effectiveness of the new service.
Schlüsselwörter
STD - Infektionsschutzgesetz - Pflichtuntersuchung
Key words
STD - prostitution - mandatory check
Literatur
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für STDs und AIDS vor dem Hintergrund des neuen Infektionsschutzgesetzes (IfSG). Eine
Gesamtbefragung der Gesundheitsämter in Deutschland im Jahr 2001. Forschungsbericht
2002: 296
1 STD = sexually transmitted diseases (sexuell übertragbare Erkrankungen).
Heidrun Nitschke
Beratungsstelle zu STD einschließlich Aids, Gesundheitsamt Köln
Email: heidrun.nitschke@stadt-koeln.de