Balint Journal 2006; 7(1): 2-12
DOI: 10.1055/s-2006-931515
Medizin und Kultur
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Wir und der Tod - ist Psychotherapie bei Sterbenden, ihren Angehörigen und ihren Ärzten sinnvoll?[1]

E. R. Petzold1
  • 1Klinik für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin, Universitätsklinik der RWTH, Aachen
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Publication Date:
22 March 2006 (online)

Zusammenfassung

Die Frage, ob Psychotherapie mit Sterbenden, ihren Angehörigen und Ärzten sinnvoll sei, mag der eine positiv beantworten, der andere nicht. Sich mit dem eigenen Sterben zu befassen, ist für viele von uns der schwierigste Lernprozess, den wir uns vornehmen können. Der vorliegende Versuch greift Fragen auf zu dem Abschied und Neubeginn, der mit dem Sterbeprozess beginnen kann. Für Ärzte scheint besonders die integrierte Balint-Arbeit sinnvoll zu sein, während für den Sterbenden selbst das begleitende Gespräch das Mittel der Wahl sein mag. Für die Angehörigen kann die Indikation für eine Psychotherapie gerade dann positiv gestellt werden, wenn Abschied und Neubeginn nicht in der Zeit der Trauerarbeit gelingen will. Zeit und Ort sind zu gestalten. Die Alternative der Psychotherapie Seelsorge ist eine wesentliche Ergänzung bei der Trauerarbeit. Nicht die Lösung, sondern die Verbindung über den Tod hinaus mag der tiefere Sinn einer gelingenden Trauerarbeit sein. Palliativmedizin kann uns helfen, diese Fragen anzugehen, Psychotherapie, den Sinn zu verstehen, die Balint-Arbeit aber, beides zu integrieren.

Abstract

The question of the imprtance of psychotherapy for dying persons and their relatives or their doctors meets with approval by some, disapproval by others. Thinking about one's own mortality is for many of us the most difficult learning process we can undertake. This paper with questions about leave-taking and new beginnings which arise with the process of dying. For doctors the integrated Balintwork seems especially meaningful, whereas for the dying themselves the accompanying conversation is mor appropriate. for relatives psychotherapy may be indicated is separation and new beginning do not succeed during the time of mourning. Time and place must be organized. Pastoral counselling may be an alternative to psychotherapy and an important addition in the work of mourning. Not separation but a bonding beyond death may be the deeper meaning of successful mourning work. Palliative medicine can helb us to deal with these issues, psychotherapy to understand their meaning. Balintwork enables us to integrate the two.

1 Ref. 6.4./2005 auf dem 5. deutschen palliativmedizinischen Kongress in Aachen. Für die Einladung zu diesem bedeutenden Ereignis möchte ich mich bei Herrn Prof. L. Radbruch und Frau Drs. S. Jünger bedanken. Herzlich bedanken möchte ich mich bei Frau Dr. M. Stubbe, Frau Dr. H. z. Nieden, Herrn Prof. D. Ritschl und Herrn PD. Dr. G. Bergmann für ihre Hilfe und Unterstützung bei der Überarbeitung dieses Manuskriptes, auch wenn ich mich selbstverständlich weiterhin alleine für alles, besonders aber für den assoziativen Stil und das Vorläufige dieses Textes verantwortlich fühle.

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1 Ref. 6.4./2005 auf dem 5. deutschen palliativmedizinischen Kongress in Aachen. Für die Einladung zu diesem bedeutenden Ereignis möchte ich mich bei Herrn Prof. L. Radbruch und Frau Drs. S. Jünger bedanken. Herzlich bedanken möchte ich mich bei Frau Dr. M. Stubbe, Frau Dr. H. z. Nieden, Herrn Prof. D. Ritschl und Herrn PD. Dr. G. Bergmann für ihre Hilfe und Unterstützung bei der Überarbeitung dieses Manuskriptes, auch wenn ich mich selbstverständlich weiterhin alleine für alles, besonders aber für den assoziativen Stil und das Vorläufige dieses Textes verantwortlich fühle.

2 Zu erinnern ist an Balints Erfahrungen in seiner Herkunfts- und in seiner Kernfamilie, seine Fronterfahrungen im Ersten Weltkrieg, an seine Zeit in Berlin und Budapest, und an die Emigration in England… Den frühen Tod seiner ersten Frau, den Tod seiner Eltern durch die Nazis.

Prof. Dr. med. E. R. Petzold

Goethestr. 5

72127 Kusterdingen

Email: erpetzold@gmx.de

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