Dtsch Med Wochenschr 2006; 131(9): 458-459
DOI: 10.1055/s-2006-932544
Leserbriefe

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Empfehlungen und offene Fragen in der Diagnostik und Therapie von Schilddrüsenknoten

Zum Beitrag aus DMW 31/32 /2005B. Braun, W. Blank
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Publication Date:
22 February 2006 (online)

Die Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie von Schilddrüsenknoten im Beitrag von Paschke et al. [13] werden im Editorial von P. C. Scriba [19] erfreulich kritisch hinterfragt.

Die Kritik trifft unseres Erachtens in besonderem Maße auf die Empfehlung zur generellen Serum-Calcitonin-Bestimmung (CT-Bestimmung) bei jedem Schilddrüsenknoten zu [13]. Diese Experten-basierte Empfehlung mit dem Ziel der Detektion eines medullären Schilddrüsenkarzinoms hat lediglich einen Evidenzgrad IV [19], jedoch erhebliche klinische und ökonomische Implikationen und sollte deshalb aus folgenden Gründen zur Diskussion gestellt werden:

Die Prävalenz von Schilddrüsenknoten in der deutschen Bevölkerung liegt bei über 30 % 14. Daten deutscher Krebsregister zeigen, dass die Karzinom-Prävalenz in Schilddrüsenknoten mit zirka 0,1 sehr niedrig liegt. Dies bedeutet, dass unter 10 000 Schilddrüsenknoten lediglich 1 Karzinom diagnostiziert wird 15. Die medullären Schilddrüsenkarzinome, die durch das empfohlene CT-Screening erfasst werden sollten, machen lediglich 3 % (max. 10 %) der ohnehin seltenen Schilddrüsenkarzinome aus 11. Dies würde bedeuten, dass 1 medulläres Schilddrüsenkarzinom bei 300 000 Schilddrüsenknoten und ebenso vielen CT-Bestimmungen gefunden würde. Nur etwa ein Drittel der medullären Schilddrüsenkarzinome tritt sporadisch auf, ist also für das CT-Screening von Interesse, während die genetisch determinierten in Familien-Untersuchungen detektiert werden. Damit würde sich die Anzahl der CT-Bestimmungen pro erkanntem medullären Karzinom nochmals erhöhen. Die von Paschke et al. ausgesprochene Empfehlung würde somit bedeuten, dass mindestens 300 000, wenn nicht gar 1Mio. CT-Bestimmungen für die Entdeckung eines sporadischen medullären Schilddrüsenkarzinoms durchzuführen wären. Und dies bei einem Tumor mit relativ günstiger Prognose und einer 10-Jahres-Überlebensrate von 75 %, wie die Daten der National Cancer Data Base der USA von 53 856 Patienten zeigen 5.

Da zudem die CT-Bestimmung im Praxisalltag aufwändig und störanfällig ist, (Serum oder Plasma/Heparin oder EDTA; ggf. tiefgefroren) ergeben sich viele Fragen, die nicht nur die ökonomische Seite von Schilddrüsendiagnostik [7] betreffen:

Wie ist die Validität der CT-Bestimmung? Was sind die direkten und indirekten Kosten eines solchen CT-Screening-Programms? Wie hoch sind die Kosten pro erkanntem medullären Karzinom? Wann und wie oft ist bei erhöhtem CT-Basalwert eine Pentagastrin-Stimulation erforderlich? Ist mittels CT-Bestimmung ein medulläres Schilddrüsenkarzinom zu beweisen? Kann vice versa durch ein normales Serum-CT ein medulläres Schilddrüsenkarzinom ausgeschlossen werden?

Auf diese Fragen gibt es z. T. fundierte kritische Antworten. So fanden Karanakis et al. bei 414 Patienten mit Verdacht auf Schilddrüsenerkrankung in 6,8 % erhöhte CT-Basalwerte, aber nur bei 13 dieser Patienten (3,4 %) wurde ein medulläres Schilddrüsen-Karzinom als Ursache gefunden. Bei 362 gesunden Kontrollpersonen fanden sie in 6 Fällen ebenfalls erhöhte CT-Werte, die mittels Pentagastrin-Test überprüft wurden. Bei keinem dieser Gesunden lag eine Schilddrüsenerkrankung oder gar ein medulläres Karzinom vor [8].

Neben diesen falsch negativen wie falsch positiven Befunden ist ein weiteres Argument gegen ein generelles CT-Screening, dass die basalen CT-Werte im Serum nicht nur beim medullären Schilddrüsenkarzinom, sondern auch bei anderen Erkrankungen erhöht sind. CT-Erhöhung findet sich u. a. auch bei nicht-thyreoidalen Tumoren wie dem kleinzelligen Bronchialkarzinom, neuroendokrinen Tumoren, bei Niereninsuffizienz, der (weit verbreiteten) Protonenpumpenhemmer-Therapie, der chronisch lymphozytären Thyreoiditis Hashimoto, der C-Zell-Hyperplasie und beim Pseudohypoparathyreoidismus [6] [9] [10] [21] [22] [23]. Bei einem Teil dieser Patienten müsste ein Pentagastrin-Stimulationstest, der wiederum nicht in allen Fällen konklusiv ausfällt, durchgeführt werden [10]. Wie viele Patienten mit Schilddrüsenknoten wären somit durch einen falsch positiven oder fraglichen CT-Wert verunsichert oder würden gar einer nicht indizierten Thyreoidektomie mit all ihren Risiken zugeführt? Auch hierzu existieren Daten.

In der prospektiven Untersuchung von Iacobone bei 66 Patienten, die mit erhöhten Serum-CT-Werten thyreoidektomiert wurden, betraf dies immerhin 32 %! Lediglich bei 68 % konnte postoperativ ein medulläres Schilddrüsenkarzinom verifiziert werden [6]. Von 86 Patienten, die bei Pentagastrin stimulierten erhöhten Calcitoninwerten einer Thyreoidektomie unterzogen wurden, bestätigte sich postoperativ nur in 47 Fällen (54,6 %) ein medulläres Schilddrüsenkarzinom und in 19 Fällen lag lediglich ein Mikrokarzinom mit weniger als 10  mm vor [21]. Es ist evident, dass angesichts dieser Datenlage der empfohlenen generellen CT-Bestimmung bei jeder nodulären Schilddrüsenveränderung nicht gefolgt werden kann.

Dagegen erfährt die von Paschke et al. ausgesprochene Empfehlung, dass die Ultraschalldiagnostik der Schilddrüse den Qualitätskriterien in Anlehnung an die Forderungen der DEGUM entsprechen sollte, unsere uneingeschränkte Zustimmung. Die prospektive Untersuchung von Papini et al. von 494 konsekutiven Patienten mit nicht palpablen Schilddrüsenknoten hat gezeigt, dass mittels Ultraschalldiagnostik eine gute Risiko-Stratifizierung hinsichtlich der Karzinomerkennung möglich ist. Knoten von mehr als 8  mm Durchmesser sollten einer sonographisch gesteuerten Feinnadelaspirations-Zytologie (FNAC) zugeführt werden, wenn folgende sonomorphologische Kriterien vorliegen:

Echoarmut mit irregulärem Rand und ohne Halo, intranodale vaskuläre Perfusion und intranodale Mikrokalzifikationen [12] (Abb. [1b, c]).

Abb. 1 a) Operationsindikation bei szintigraphisch kaltem Schilddrüsenknoten rechts. Sonographisch 18×14 mm großer zystisch solider Knoten mit scharfer Begrenzung. Farbkodiert keinerlei Vaskularisation, was für einen eingebluteten regressiven SD-Knoten ohne Malignitätskriterien spricht. b) Im echogenen Parenchym des linken Schilddrüsenlappens ein ovaler, echoarmer, durch einen Halo scharf begrenzter Knoten (2) und lateral davon ein 8×6 mm großer inhomogen echoarmer, unscharf begrenzter Herdbefund (3). c) Farbdopplersonographisch ist der mediale Knoten vor allem randvaskularisiert, der laterale inhomogene und unscharf begrenzte sehr stark durchblutet. Dies ist neben der unscharfen Begrenzung und der Inhomogenität sowie der Echoarmut Kriterium für Malignität.

Auch die Arbeit von Saller et al. zeigt, dass sonomorphologische und farbdopplersonographische Befunde zu einer entscheidenden Risikostratifizierung und Vorselektionierung von Patienten mit Schilddrüsenknoten beitragen. Bei 17 von 19 Patienten mit operativ gesichertem medullären Schilddrüsenkarzinom fanden sie Hypoechogenität, Mikrokalzifikationen und das Fehlen eines Halozeichens, während diese Befundkonstellation nur in 6 % von 139 benignen Schilddrüsenknoten vorlag [18].

Die sonographische Falldarstellung mit den Abb. 1 a-c, die uns von einem betroffenen Patienten mit medullärem Mikrokarzinom des linken Schilddrüsenlappens zur Verfügung gestellt wurden, zeigt exemplarisch wie ein auf sonographischer Risikostratifizierung basierendes CT-Screening durchgeführt werden könnte. Bei dem Patienten wurde wegen eines szintigraphisch kalten Knotens rechts die Strumektomie durchgeführt. Sonographisch waren drei fokale Veränderungen zu dokumentieren, wobei ausschließlich die Kleinste, die Läsion 3, nach den Kriterien von Papini als Tumor suspekt anzusehen ist. Diese war in der postoperativen Histologie ein 8  mm großes medulläres Mikrokarzinom!

Normative Empfehlungen zum generellen CT-Screening bei jedem sonographisch diagnostizierten Schilddrüsenknoten sollten angesichts der äußerst niedrigen Inzidenz eines medullären Schilddrüsenkarzinoms, seiner relativ guten Prognose und der hohen Prävalenz von Schilddrüsenknoten und den publizierten multiplen Problemen der CT-Bestimmung und ihrer klinischen Einordnung aus medizinischen wie ökonomischen Gründen unterbleiben, so lange nicht detaillierte Studien mit höherem Evidenzgrad vorliegen. Diese Studien, die auch den Stellenwert einer qualifizierten Vorselektionierung mittels High-End-Sonographie erfassen sollten, sind dringlich zu fordern. Medizinischer Fortschritt lebt mehr von kritischer Diskussion und den Ergebnissen kontrollierter Studien als von interdisziplinärer Harmonie unter Experten, die Empfehlungen mit einem Evidenzgrad IV oder sogar V abgeben!

Literatur

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Prof. Dr. med. B. Braun,
Dr W. Blank

Medizinische Klinik, Klinikum am Steinenberg

Steinenbergstr. 31

72764 Reutlingen

Email: braun_b@kreiskliniken-reutlingen.de

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