Psychother Psychosom Med Psychol 2006; 56 - A41
DOI: 10.1055/s-2006-934261

Verlauf und Prognose des akuten subjektiven Tinnitus über 2 Jahre

B Jäger 1, P Malewski 1, B Schwab 2, F Lamprecht 1
  • 1Abt. Psychosomatik und Psychotherapie, Medizinische Hochschule Hannover, Hannover
  • 2Abt. HNO, Medizinische Hochschule Hannover, Hannover

Chronischer Tinnitus führt bei einer eher kleinen Gruppe der Betroffenen zu erheblichen Beeinträchtigungen der Lebensqualität und Leistunsfähigkeit bis hin zu schweren depressiven Verstimmungen. Nach wie vor ist die Frage nach Faktoren, die die Dekompensation verursachen und die Identifizierung problematischer Fälle ermöglichen von hoher Priorität, prognostische Studien hierzu sind aber selten.

In einem Messwiederholungsdesign wurden 210 Patienten mit akutem Tinnitus (21–76,0 Jahre, 48,4% Frauen) aus 12 ambulanten Praxen und der HNO-Poliklinik im Großraum Hannover nach 3, 12 und 24 Monaten nachuntersucht. Patienten mit einer kumulierten bisherigen Dauer des Tinnitus von mehr als vier Wochen oder einem progredienten Krankheitsprozess wurden aus der Studie ausgeschlossen.

Bislang konnten 125 Ss nachuntersucht werden, 58% davon hatten nach 2 Jahren noch Tinnitus. Entsprechend des Mini-Tinnitus-Fragebogens (Goebel & Hiller) leiden nach 2 Jahren noch 5,6% der Patienten in dekompensierter Form unter dem Tinnitus, entsprechend einem mehr verhaltensbezogenem Tinnitus-Index noch 11,1%. Eine kleiner werdende Subgruppe dekompensiert erst zu den späteren Messzeitpunkten.

Die Ergebnisse zur Prognose der Dekompensation stehen in guter Übereinstimmung mit dem Diathese-Stress-Modell des chronischen Tinnitus: Patienten mit gering ausgeprägten Coping-Fähigkeiten, wenig Ressourcen und einem großen Ausmaß an Alltagsbelastungen empfinden sich als stärker belastet durch den Tinnitus (multiple Regr.: [df=4]: F=7,71, p<.001; R²=0,37). Diese Patienten empfanden gleichzeitig eine erheblich größere Belastung durch den Tinnitus bereits unmittelbar nach dessen Auftreten (multiple Regr.: [df=5]: F=11,16, p<.001; R²=0,51). In der dekompensierten Gruppe steigt die Belastung durch Depressivität und somatische Beschwerden über den Beobachtungszeitraum noch an. Der erwartete Einfluss psychischer Komorbidität zeigt sich nicht, eine hohe Belastung durch die Arbeitstätigkeit wirkt eher protektiv.