Psychother Psychosom Med Psychol 2006; 56 - A93
DOI: 10.1055/s-2006-934313

Überwacht und zersetzt. Die psychosozialen Folgen für Betroffene nicht-strafrechtlicher Repressionsformen in der ehemaligen DDR

C Spitzer 1, K Plock 1, I Ulrich 1, J Mothes 2, HJ Freyberger 1
  • 1Klinik für Psychosomatische Medizin, Psychiatrie und Psychotherapie der EMA Universität Greifswald, Stralsund
  • 2Landesbeauftragte für M-V für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, Schwerin

Einleitung: Während die psychotraumatologische Forschung nach der deutsch-deutschen Wiedervereinigung insbesondere auf die ehemals politisch Inhaftierten in der DDR fokussiert hat, sind Betroffene von nicht-strafrechtlichen Repressionsformen, die ab 1976 eine wesentliche Rolle bei der „politischen Disziplinierung“ gespielt haben, kaum beachtet worden. Angesichts der häufig langen Dauer und „interpersonellen Tiefenwirkung“ der Überwachungs- oder gar „Zersetzungsmaßnahmen“ ist jedoch zu vermuten, dass diese Erfahrungen erhebliche psychosoziale Auswirkungen haben.

Methodik: In Kooperation mit der Behörde des Landesbeauftragten für M-V für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR wurden 61 Betroffene (61,1±11,2 Jahre; 64% Männer) nicht-strafrechtlicher Repressionen mittels dem Diagnostischen Expertensystem Psychischer Störungen (DIA-X) und Selbsteinschätzungen zum Gesundheitszustand (SF–36) sowie interpersonalen Problemen (IIP) untersucht.

Ergebnisse: 70% der Probanden wiesen mindestens eine Achse-I-Störung auf. Die Lebenszeitprävalenz der affektiven Störungen war mit 34% am höchsten, gefolgt von den Angst- und somatoformen Störungen mit je 26%. Der subjektive Gesundheitszustand wurde durchschnittlich deutlich schlechter eingeschätzt als in der Allgemeinbevölkerung, ebenso das Ausmaß an interpersonalen Schwierigkeiten.

Diskussion: Auch wenn die hier vorgestellt Untersuchungsstichprobe keinen Anspruch auf Repräsentativität erhebt, so legen unsere Befunde doch nahe, dass auch vordergründig weniger drastische Maßnahmen als Inhaftierungen bei den Betroffenen eine Vielzahl psychischer Störungen hervorrufen können, die z.T. bis heute andauern. Diese Beeinträchtigungen spiegeln sich auch auf der Ebene der Gesundheit und den zwischenmenschlichen Beziehungen wider. Unsere Ergebnisse mahnen eine besondere Sensibilität im Umgang mit diesen Menschen an, zumal von politischer Seite keine Instrumente zur Rehabilitierung geschaffen worden sind.