Dtsch Med Wochenschr 2006; 131(20): 1179
DOI: 10.1055/s-2006-941750
Korrespondenz | Correspondence
Leserbrief
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Versorgungsqualität und Ausmaß von Komplikationen an einer bevölkerungsbezogenen Stichprobe von Typ 2-Diabetespatienten

Der KORA-Survey 2000M. Spiel
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Publication Date:
17 May 2006 (online)

Zum Beitrag aus DMW 3/2006

Die Anzahl der Menschen, die kontinuierliche ärztliche Betreuung benötigen, wird immer größer. Unser Gesundheitssystem ist aber immer noch auf die Behandlung akuter Krankheitszustände ausgerichtet. Der medizinische Informationsfluss findet nur einspurig von der Klinik in die Praxen statt. Was aber wissen die klinisch tätigen Kollegen, die Universitätslehrer, wie sich ihre Empfehlungen in der Praxis auswirken? Studien liefern nur selektierte Daten. Es ist daher dringend erforderlich, dass ein retrograder Informationsfluss aus den Praxen in die Kliniken erfolgen muss. Daher sind Versorgungsstudien unerlässlich, die aber allgemeinärztliches „Know-how” zwingend erforderlich machen, unterscheidet sich doch hausärztliche Tätigkeit grundlegend von der klinischen Arbeitsweise. Deshalb gestatten Sie mir einige Anmerkungen zu der oben angeführten Arbeit [1].

Zunächst ist es nicht richtig, dass die angeführte Arbeit erstmals unselektierte Daten über die Versorgungsqualität der Diabetiker in Deutschland liefert. Bei der unter Ziffer 25 erwähnten Studie von Rothenbacher et al. [2] handelte es sich im Gegenteil um eine flächendeckende Untersuchung, die fast alle Diabetiker, die sich in ärztlicher Behandlung befanden, erfasste, die somit auch auf ähnliche Regionen in ganz Deutschland zutreffend ist. Denn nach dem „Braunschen Fälleverteilungsgesetz”, das in jedem Lehrbuch für Allgemeinmedizin nachzulesen ist, sind die Beratungsanlässe in allen hausärztlichen Praxen einer Region gleich. Praxisbesonderheiten ragen als „Peaks” heraus. Es wäre also einfacher gewesen, die Patienten einer großen Allgemeinpraxis bzw. zweier mittelgroßer Praxen zu untersuchen. Besser noch, man involvierte einen hausärztlichen Qualitätszirkel oder auch zwei, um verlässliche Daten zu erhalten, wie es in der bereits angeführten Arbeit geschehen ist. Mit diesem Modell wären wichtige Versorgungsfragen schnell und vor allem valide zu beantworten.

Zweiter Kritikpunkt ist die Patientenbefragung, die doch zumindest bei einem Teil der Patienten ein Lotteriespiel ist, erinnern sich doch viele Patienten schon nach wenigen Stunden, Tagen oder Wochen nicht mehr an das, was ihnen gesagt bzw. wie sie untersucht wurden. So ist es doch auch völlig irrelevant, ob die Patienten den Begriff „HabeAeinsce” (HbA1c) kennen oder nicht. Hätte man nach einem „Langzeitwert” für den Blutzucker gefragt, hätten wohl mehr Patienten eine Antwort gewusst. In der täglichen Praxis vermittelt man den Patienten, ob sich die Blutzuckereinstellung verschlechtert hat oder nicht, gibt entsprechende Ratschläge und macht so eine sehr individuelle kontinuierliche Schulung, deren Effektivität mit der standardisierten Schulung erst noch erreicht werden muss. Patienten nehmen dies aber gar nicht als Schulung wahr, was ja auch kein Nachteil sein muss.

Wenn bei 50 % der Patienten Parästhesien an den Füßen angegeben werden, so ist es doch keineswegs schon ein Zeichen einer Polyneuropathie. Viel häufiger sind es doch ganz einfach Überlastungsbeschwerden bei Spreizfüßen.

Die Diagnose Hypertonus bedeutet für die betreffenden Menschen häufig eine lebenslange Einnahme von Medikamenten, für die Krankenversicherung enorme Ausgaben. Deshalb würde ich nie aus drei Blutdruckmessungen an einem Tag diese Diagnose stellen. Dazu ist nach meiner nun fast 30-jährigen Erfahrung als Hausarzt eine 24-Stunden-Blutdruckmessung unerlässlich.

Der Ratschlag, als Konsequenz für Klinik und Praxis Bluthochdruck und Fettstoffwechselstörungen verstärkt zu berücksichtigen, ist wohl gemeint. Was glauben die Autoren denn eigentlich, was wir Hausärzte tun? Hier spielt in erster Linie die Compliance der Patienten eine Rolle. Der Compliance entspricht sicherlich mehr als die bloße Einnahme von Medikamenten. Hier kommen persönliche Einstellung, soziales Umfeld, psychische Veränderungen und viele andere Fakten hinzu, die zu untersuchen sicherlich sehr spannend ist. Wie dies wirklichkeitsnah und damit realistisch untersucht werden kann, haben die Autoren Rothenbacher et al. in ihrer zitierten Arbeit [2] demonstriert.

Literatur

  • 1 Icks A. et al . Versorgungsqualität und Ausmaß von Komplikationen an einer bevölkerungsbezogenen Stichprobe von Typ 2-Diabetespatienten.  Dtsch Med Wochenschr. 2006;  131 73-78
  • 2 Rothenbacher D. et al . Versorgung von Patienten mit Typ 2-Diabetes: Ergebnisse aus 12 Hausarztpraxen.  Dtsch Med Wochenschr. 2002;  127 1183-1187

Dr. med. Michael Spiel

Facharzt für Allgemeinmedizin, Sportmedizin, Chirotherapie

Dorfplatz 6

71711 Murr

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Fax: 07144/ 22703

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