B&G Bewegungstherapie und Gesundheitssport 2006; 22(4): 151-152
DOI: 10.1055/s-2006-942109
RECHT

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Mehrwertsteuerpflicht für Präventionsmaßnahmen?

E. Boxberg1
  • 1Justiziar des DVGS e. V., Hürth
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Publication Date:
10 August 2006 (online)

„Leistungen, die von den gesetzlichen Krankenkassen, (wenn auch nur temporär oder regional), abgegeben bzw. vergütet werden, sind grundsätzlich umsatzsteuerfrei, auch wenn sie gegenüber Personen abgegeben werden, die nicht Mitglied der gesetzlichen Krankenkassen sind, (sondern Selbstzahler oder privat versicherte Personen).” Wenn Sie bisher nach diesem Grundsatz vorgegangen sind, dann müssen Sie das umsatzsteuerrechtliche Denken revidieren. Einfluss genommen hat die bereits seit 1977 geschaffene „Sechste Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (77/388/EWG).”

Zunächst aber zum deutschen Umsatzsteuerrecht. Hier bestimmt § 4 Nr. 14 UStG, dass die Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt, Physiotherapeut oder aus einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit steuerfrei sind. Lange Zeit definierten Finanzbehörden und Gerichte die „ähnliche heilberufliche Tätigkeit” als eine durch die Ausbildung und die spätere Tätigkeit mit einem der Katalogberufe ähnliche Tätigkeit. Der Berufsträger erfuhr den Vorteil der umsatzsteuerbefreiten Ausübungsmöglichkeit nur, wenn beispielsweise die Ausbildung, die Prüfung und die spätere berufliche Betätigung der eines Krankengymnasten (Katalogberuf) vergleichbar war. Auf diese Art war dem Sporttherapeuten (Sport­wissenschaftler, Diplomsportlehrer) lange Zeit der Zugang zu den umsatzsteuerbefreiten Berufen nach § 4 Nr. 14 UStG verwehrt.

Die sechste Richtlinie zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften über die Umsatzsteuer stammt zwar schon aus dem Jahr 1977, ihre Umsetzung kam jedoch nur sehr zögerlich voran. Grund dafür ist die Richtlinie selbst und die Verpflichtung der EU-Mitgliedsstaaten, diese Richtlinie in nationales Steuerrecht aufzunehmen bzw. umzusetzen. Eindeutig ist die Aussage des Europäischen Gerichtshofs, dass die Richtlinien dem privaten einzelnen Bürger die Möglichkeit zuerkennen, sich auf die Richtlinienbestimmungen gegenüber dem Mitgliedsstaat, an den sie gerichtet sind, zu berufen. Der einzelne betroffene Bürger kann also gegenüber seinem eigenen Staat eine von diesem noch nicht umgesetzte Richtlinienaussage für sich persönlich ohne Einschränkung in Anspruch nehmen. Welche Wirkung hat die Richtlinie jedoch auf den Mitgliedsstaat selbst? Der sog. Kloppenburg-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (75, 223, AZ: 2 BvR 687/85) spricht aus, dass „Richtlinien zur Auslegung des ihrer Durchführung dienenden nationalen Rechts heranzuziehen seien.” „Nach Artikel 189 Absatz 3 EWG-Vertrag ist die Richtlinie […] für jeden Mitgliedsstaat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, überlässt jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel.” Die sechste Umsatzsteuerrichtlinie prägte daher zunehmend das Rechtsbewusstsein im deutschen innerstaatlichen Bereich. Art. 13, Abschnitt A, Unterabschnitt 1, Buchstabe c der Richtlinie besagt: „Unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften befreien die Mitgliedsstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Vergütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen festsetzen, von der Steuer: die Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der von dem betreffenden Mitgliedsstaat definierten ärztlichen und arztähnlichen Berufe erbracht werden.” Damit forderte die Richtlinie (im zitierten Fall) drei Voraussetzungen für die Steuerbefreiung:

Bei der Tätigkeit muss es sich um eine ärztliche oder eine arztähnliche Leistung handeln. Die Tätigkeit muss von Personen erbracht werden, die die erforderlichen beruflichen Befähigungsnachweise besitzen. Die Heilbehandlung muss im Bereich der Humanmedizin stattfinden.

Stellen wir eine Erörterung der ersten Alternative zurück; sie ist die eigentlich problematische. Beginnen wir mit der zweiten Alternative, der geforderten Voraussetzung, dass die Person die erford­erlichen beruflichen Befähigungsnachweise zur Abgabe ärztlicher oder arztähnlicher Leistungen besitzt. Hierzu sagen Rau/Dürrwächter/Flick/Geist (Umsatzsteu­erkommentar, Anm. 45 zu § 4 Nr. 14 UStG): „Nach § 4 Nr. 14 UStG steuerfreie Leistungen kommen in Betracht, wenn ein Dipl.-Sportlehrer mit über zweijähriger Berufspraxis (Sporttherapeut) in einem anerkannten Rehazentrum als selbstständiger Unternehmer (als freier Mitarbeiter) heilberufliche Leistungen erbringt, deren Kosten von den Krankenkassen der behandelten Patienten an das Rehazentrum bezahlt werden […].” Diese Fassung dürfte überholt und zu alt sein. Ein Heilberuf im Sinne des deutschen Umsatzsteuerrechts dürfte durch die unmittelbare Arbeit am Patienten oder die Tätigkeit mit dem Patienten gekennzeichnet sein. Hierzu sagt die Lehre, dass „der Befreiungstatbestand von § 4 Nr. 14 UStG rechtsformneutral” ist. Daher ist es auch gleichgültig, in welcher Rechtsform (ob Gesellschaft oder Einzeltätigkeit) die arztähnliche Tätigkeit ausgeübt wird. Ohne die vorgenannten Einschränkungen gehört also bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen auch der beispielhaft genannte Beruf des Sporttherapeuten zu den privilegierten Berufen im Sinne von § 4 Nr. 14 UStG.

Die Betätigung muss im Bereich der Humanmedizin erbracht werden. Begriffe, mit denen die Steuerbefreiung nach Art. 13 der sechsten EG-Richtlinie umschrieben wird, sind (nach allgemeiner EU-Rechtsansicht und innerstaatlichen Auffassung) eng auszulegen, da sie Ausnahmen von dem allgemeinen Grundsatz darstellen, wonach jede Dienstleistung, die ein Steuerpflichtiger gegen Entgelt erbringt, auch der Umsatzsteuer unterliegt. Aus diesem Zwang erwuchs für die EU - aber auch die Mitgliedsstaaten - die Aufgabe festzustellen, wie sich die einzelnen Sprachfassungen (der EU-Mitgliedsstaaten) mit dem Begriff „Humanmedizin” befasst hatten und zu welchem Ergebnis sie gekommen waren. Die EU hat festgestellt, dass alle Sprachfassungen, mit Ausnahme der italienischen, sich auf medizinische Leistungen beziehen, „die die Gesundheit von Menschen betreffen.” Hieraus wurde abgeleitet, dass der Begriff der Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin „nicht so ausgelegt werden darf, dass auch medizinische Behandlungen umfasst werden, die zu einem anderen Zweck, als zu dem der Diagnose, der Behandlung und, soweit möglich, der Heilung von Krankheiten und Gesundheitsstörungen dienen.” (EuGH vom 14.09.2000) Mit dieser Feststellung war man schon an einem Punkt angekommen, von dem aus die Prävention leicht aus dem Kreis der umsatzsteuerbefreiten Leistungen auszunehmen war. Aber eine sinnvolle Prävention verhindert Krankheiten und trägt in dieser Form zum Gesundsein wirkungsvoll bei. Durch Prävention gesund sein ist eine Verhinderung der Krankheit.

Betrachten wir die Heilbehandlungen unter diesem Gesichtspunkt der ärztlichen oder arztähnlichen Leistung. Heilbehandlungen in diesem Sinne sind nach allgemeiner Auffassung (und im Sinne des EuGH-Urteils UR 2002) „Tätigkeiten, die zum Zweck der Vorbeugung, Diagnose, der Behandlung und - soweit möglich - der Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen beim Menschen vorgenommen werden. […] Nicht unter die Befreiung fallen damit Tätigkeiten, die nicht Teil eines konkreten, individuellen, der Diagnose, Behandlung, Vorbeugung und Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen dienenden Leistungskonzeptes sind.”

An dieser Stelle wird vielerorts von Finanzbehörden (im Anschluss an die BFH-Entscheidung in BStBl. II 2004, 862) gefolgert, dass diese steuerfreien Leistungen im Bereich der Prävention allerdings eine Behandlung aufgrund eines Versorgungsauftrages gem. den §§ 11 Abs. 2, 23 Abs. 4, 40 und 111 SGB V voraussetzen würden. In einer Einspruchsentscheidung eines Finanzamtes im westdeutschen Raum ist nachzulesen, dass „Leistungen zur Prävention und Selbsthilfe im Sinne des § 20 SGB V, die keinen unmittelbaren Krankheitsbezug haben, weil sie lediglich - so § 20 Abs. 1 Satz 2 SGB - den allgemeinen Gesundheitszustand verbessern und insbesondere einen Beitrag zur Verminderung sozial bedingter Ungleichheit von Gesundheitschancen erbringen sollen, […] grundsätzlich keine nach § 4 Nr. 14 UStG befreiten Heilbehandlungen” sind. § 20 SGB V ist neu gefasst worden. Die Neufassung sollte die Rolle der Krankenkassen bei der Primär- und Sekundärprävention verstärken. Deshalb wurde die Krankheitsvergütung ausdrücklich in den Aufgabenkatalog der gesetzlichen Krankenkassen einbezogen. In den Gesetzeskommentierungen zu § 20 SGB V ist nachzulesen (Hauck/Haines, § 20 Rd-Nr. 21): „Nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse sind die chronischen Erkrankungen im Wesentlichen durch Verhaltens-, aber auch sozial- und umweltbedingte Faktoren verursacht. Dabei sind die derzeit vorherrschenden Krankheiten überwiegend nicht auf eine einzelne Ursache zurückzuführen, sondern multifaktoriell […].” Erst, wenn es darum geht, diese schädlichen Einflüsse fernzuhalten, „könnte der Eintritt einer Krankheit verhindert und deren Verlauf gemildert werden.” (Hauck/Haines, a. a. O.) Dies ist jedoch erst eine Aufnahme der Primärprävention. Diese Tätigkeit soll nach den ­Ausführungen einzelner Finanzbehörden nicht unter den Begriff der „Vorbeugung” subsumierbar sein. Dem kann nicht gefolgt werden. Deutlicher wird da schon die 5. Kammer des Finanzgerichts Köln (Urteil vom 29.11.2001, AZ: 5 K 2725/98), der einräumt: „Dem Kläger ist zwar darin Recht zu geben, dass durchaus auch vorbeugende Maßnahmen unter den Begriff der Heilbehandlung fallen können […].” Daran - so stellt das Gericht fest - fehlt es jedoch, wenn die gesundheitliche Prophylaxe einen Nebenzweck einnimmt. Im Rahmen des § 20 SGB V ist die Prävention jedoch Hauptzweck, ja einziger Zweck der Vorbeugung von möglichen späteren Krankheiten, sodass Maßnahmen, die aufgrund von § 20 SGB V vorgenommen werden, sich deshalb keineswegs der Subsumierbarkeit unter den Begriff der Vorbeugung im Sinne des EU-Rechts entziehen. Damit dürfte auch § 20 SGB V kein Maßstab sein, um jemandem, der die gesetzlichen Krankenkassen beauftragt oder sich in Erfüllung ihrer Aufgaben handelnd betätigt, die Umsatzsteuerfreiheit gemäß § 4 Nr. 14 UStG zu entziehen. Erst wenn eine Maßnahme ihren Hauptzweck als Prävention nicht erfüllt, dürfte der Bereich der umsatzsteuerbefreiten Leistungen nicht mehr gewahrt sein. Unter dem Gesichtspunkt aufkommender Rechtsunsicherheit sei es allen Leistungserbringern im Rahmen der Prävention angeraten, hier sorgfältig die Begründungen in Umsatzsteuerbescheiden zu prüfen und ggf. bis zu einer höchstrichterlichen Entscheidung die Verfahren nicht rechtskräftig abzuschließen.

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Dr. E. Boxberg

Justiziar des DVGS e. V.

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