Diabetologie und Stoffwechsel 2006; 1 - A69
DOI: 10.1055/s-2006-943794

Explosionsartiger Inzidenzanstieg des Typ-1-Diabetes bei Kindern und Jugendlichen seit der Jahrtausendwende in Deutschland

S Ehehalt 1, A Willasch 2, R Hub 3, MB Ranke 3 A Neu 1, für die DIARY Group Baden-Wuerttemberg
  • 1Universitätsklinikum Tübingen, Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, Sektion Pädiatrische Endokrinologie und Abteilung III, Tübingen, Germany
  • 2Johann Wolfgang Goethe Universität, Zentrum für Kinderheilkunde und Jugendmedizin, Frankfurt, Germany
  • 3Universitätsklinikum Tübingen, Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, Sektion Pädiatrische Endokrinologie, Tübingen, Germany

Hintergrund: Die Inzidenzrate (IR) des Diabetes mellitus Typ 1 im Kindes- und Jugendalter nimmt anhaltend zu.

Methoden: In Baden-Württemberg (BW) werden seit 1987 fortlaufend Diabetesmanifestationen von Patienten unter 15 Jahren registriert. Die Erhebung schließt alle 31 Kinderkliniken des Landes und eine Diabetesfachklinik ein. Diese Kliniken haben sich zum Verbund der DIARY Group BW (=Diabetes Registry Group BW) zusammengeschlossen (1987–2003: n=4.017. Capture-recapture-Methode, Ascertainment=97,2%).

Ergebnisse: Im gesamten Erfassungszeitraum (1987–2003) betrug die mittlere geschlechts- und altersstandardisierte IR in BW 14,1/100.000/Jahr (95% CI 13,7–14,6). Die aktuelle IR (2000–2003) liegt bei 17,6/100.000/Jahr (95% CI 16,6–18,5). Hochgerechnet auf Deutschland bedeutet dies, dass derzeit jährlich rund 2.000 Kinder und Jugendliche unter 15 Jahren neu erkranken. Für den gesamten Erfassungszeitraum wurde eine Zunahme der Inzidenz von 3,9% (95% CI 3,6–4,3) berechnet. Für die Jahre seit 2000 fällt der durchschnittliche jährliche Anstieg mit 9,0% (95% CI 8,1–9,9) rund doppelt so hoch aus. Jungen und Mädchen erkrankten gleich häufig am Typ-1-Diabetes (IR 1987–2003, p=0,6). Im gesamten Erfassungszeitraum erkrankten 10 bis 14-Jährige am häufigsten, gefolgt von den 5- bis 9- und von den 0- bis 4-Jährigen. Der durchschnittliche jährliche Anstieg war bei den 0- bis 4-Jährigen (6,2%, 95%-CI 5,3–7,1) am ausgeprägtesten, gefolgt von den 5- bis 9- (3,5%; 95%-CI 3,2–3,7) und den 10- bis 14-Jährigen (2,7%; 95%-CI 2,5–2,9). Die Prävalenz betrug am 31.12.2003 in BW 0,11% (95%-CI 0,107–0,117). Hochgerechnet auf Deutschland bedeutet dies, dass rund 13.000–14.000 Kinder und Jugendliche unter 15 Jahren erkrankt waren.

Zusammenfassung: Seit der Jahrtausendwende ist in Deutschland ein explosionsartiger Inzidenzanstieg des Typ-1-Diabetes bei Kindern und Jugendlichen zu verzeichnen. Wir vermuten, dass das Risiko, an einem Typ-1-Diabetes zu erkranken, bei genetisch prädisponierten Menschen durch den Einfluss sich verändernder Umweltfaktoren ansteigt.