Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 2006; 1(5): 415-441
DOI: 10.1055/s-2006-944744
Wirbelsäule
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Verletzungen der Halswirbelsäule

C. Ulrich,1 , V. Bühren1
  • 1Unfallchirurgische Klinik, Klinik am Eichert
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Publication Date:
27 September 2006 (online)

Während an der thorakolumbalen Wirbelsäule eine hohe Verletzungsfrequenz mit einer niedrigen neurologischen Komplikationsrate vergesellschaftet ist, finden wir bei Verletzungen der Halswirbelsäule ein genau umgekehrtes Verhältnis: Hier sind ca. 15 % der Wirbelsäulenverletzungen lokalisiert, die aber in 70 % der Fälle mit einer neurologischen Begleitsymptomatik einhergehen. Der Grund dafür ist die hohe Anzahl von diskoligamentären Verletzungen in diesem Bereich, die translatorische Dislokationen eher zulassen als eine axiale Stauchung, und natürlich die Gegenwart des Rückenmarkes: Die Cauda equina ab L1 hält als quasi peripherer Nerv viel eher große Kompressionen aus als die empfindlichen spinalen Ganglienzellen.

Die Wirbelsäulendiagnostik ist standardisiert: Anamnese, körperliche Untersuchung, Röntgen in 2 Ebenen und eine Computertomographie mit multiplanarer Rekonstruktion. Ohne die hoch auflösenden neuen Computertomogramme war ein Übersehen von HWS-Verletzungen nicht unüblich. Insbesondere bei SCIWORA (Spinal Cord Injury Without Radiological Anomaly) und bei der sog. HWS-Distorsion („HWS-Schleudertrauma”) kann die Kernspintomographie (MRT) weiteren Aufschluss über Verletzungslokalisationen und -art geben.

Einer einheitlichen Verletzungsklassifikation der gesamten HWS steht ihr individueller Aufbau, insbesondere im Bereich des Kopf-Hals-Überganges entgegen: Man hat Verletzungen der oberen (C0 - C2) von Verletzungen der unteren HWS (C3 - C7) zu unterscheiden.

Lediglich die untere HWS (UHWS) lässt sich wie die thorakolumbale Wirbelsäule klassifizieren, an der oberen HWS (OHWS) ist die Kenntnis der individuellen, sowohl etagen- als auch segmentabhängigen Verletzungsmöglichkeiten jedoch unabdingbar.

Während die überwiegend knöchernen Verletzungen der oberen HWS häufiger eine konservative Therapie mit externer Fixation indizieren, wird an der unteren HWS wie an der thorakolumbalen Wirbelsäule die knöcherne Fusion des betroffenen Bewegungssegments angestrebt, da die diskoligamentäre Heilung nicht zu einer sicheren Spätstabilität führt. Das Standardvorgehen insbesondere bei sicheren monosegmentalen Instabilitäten ohne dorsale Fragmentkompression stellt das ventrale Stabilisationsverfahren mit winkelstabilen Platten dar.

Biomechanisch stabiler als ventrale Implantate sind mit Sicherheit dorsale schraubengestützte Fixationsmethoden, die aber sehr viel schwieriger zu platzieren sind. Hier ist der Einsatz einer Computernavigation insbesondere bei der C1/2-Fixation und bei der transpedikulären C3-7-Fixation dem konventionellen Verfahren bzgl. Strahlenbelastung und Exaktheit überlegen.

Wie an der thorakolumbalen Wirbelsäule sind Instabilitäten als dringliche und neurologische Ausfallerscheinungen als Notfallindikationen zu betrachten, denn nur über die Wiederherstellung des ursprünglichen Spinalkanalkalibers und einer segmentalen Stabilität kann eine Erholungsfähigkeit eines geschädigten Rückenmarkes in Aussicht gestellt werden kann. Als Ersatz des zerstörten Diskus können sowohl kleine Cages als auch ein trikortikaler kortikospongiöser Span intervertebral benutzt werden.

Im Unterschied zu den übrigen Wiederherstellungsoperationen am Bewegungssystem ist eine systematische Rehabilitation nach HWS-Verletzungen nur bei inkompletten oder kompletten Querschnittlähmungen erforderlich. Insbesondere Patienten mit einem hohen Querschnitt brauchen eine rasche Stabilisation, um ein evtl. Aufsteigen der Lähmung zu verhindern und eine frühzeitige Rehabilisationsbehandlung mit Mobilisation des Patienten einleiten zu können.

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Prof. Dr. Christoph Ulrich

Unfallchirurg. Klinik
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