Gastroenterologie up2date 2006; 2(4): 260-261
DOI: 10.1055/s-2006-944992
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Magenkarzinom: Ist die OP mit perioperativer Chemotherapie der alleinigen OP überlegen? - Studienergebnisse sprechen dafür

J.  Rüdiger  Siewert
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Publication Date:
05 January 2007 (online)

Kommentar zu

Perioperative Chemotherapie im Vergleich zu alleiniger chirurgischer Therapie bei resektablen gastroösophagealen Karzinomen

Perioperative chemotherapy versus surgery alone for resectable gastrooesophageal cancer

Cunningham D, Allum WH, Stenning SP, Thompson JN, Van de Velde CJ, Nicolson M, Scarffe JH, Lofts FJ, Falk SJ, Iveson TJ, Smith DB, Langley RE, Verma M, Weeden S, Chua YJ, MAGIC Trial Participants; Department of Medicine, Royal Marsden Hospital, Sutton, Surrey, United Kingdom

Hintergrund: Obwohl die Neuerkrankungen an Magenkarzinom in den letzten Jahren in den westlichen Ländern deutlich rückläufig sind, bleibt das Magenkarzinom weltweit eine der häufigsten tumorbedingten Todesursachen. Ob eine Operation mit perioperativer Chemotherapie einer alleinigen Operation des Magenkarzinoms überlegen ist, wurde nun untersucht.

Methoden: In der MAGIC-Studie („Medical Research Council Adjuvant Gastric Infusional Chemotherapy Trial”) wurden 503 Patienten mit primär kurativ resezierbarem Magenkarzinom oder Karzinom des gastroösophagealen Übergangs untersucht. Randomisiert wurde bei 250 Patienten vor und nach der Operation eine Chemotherapie durchgeführt und bei 253 Patienten nur eine Operation. Die Chemotherapie aus jeweils 3 prä- und postoperativen Zyklen bestand aus dem ECF-Schema mit Epirubicin (50 mg/m2 Körperoberfläche [KOF]) und Cisplatin (60 mg/m2 KOF) an Tag 1 sowie kontinuierlich infundiertem 5-FU (200 mg/m2 KOF) über 21 Tage. Patientencharakteristika in Bezug auf Alter, Geschlecht und Tumorausdehnung waren in beiden Gruppen ähnlich. Primärer Endpunkt war das Gesamtüberleben.

Ergebnisse: Die postoperative Komplikationsrate war in der Gruppe der perioperativen Chemotherapie vergleichbar mit der in der Operationsgruppe (46 % vs. 45 %). Auch die Zahl der Todesfälle innerhalb von 30 Tagen nach der Operation war in beiden Gruppen gleich (perioperative Chemotherapiegruppe: 14 [5,6 %], Operationsgruppe: 15 [5,9 %]). In der Gruppe der perioperativen Chemotherapie waren die resezierten Tumoren signifikant kleiner und weniger fortgeschritten. Bei einer mittleren Beobachtungszeit von 4 Jahren starben 149 Patienten in der perioperativen Chemotherapiegruppe und 170 Patienten in der Operationsgruppe. Verglichen mit der Operationsgruppe zeigte die perioperative Chemotherapiegruppe eine höhere Wahrscheinlichkeit für ein Gesamtüberleben (hazard ratio für Tod 0,75; 95 % KI 0,6 - 0,93; p = 0,009). Auch das progressionsfreie Überleben war in der perioperativen Chemotherapiegruppe besser (hazard ratio für Tumorprogress 0,66; 95 % KI 0,53 - 0,81; p < 0,001). Die 5-Jahres-Überlebensraten lagen bei 36 % vs. 23 %.

Folgerungen: Bei Patienten mit primär kurativ resezierbarem Adenokarzinom des Magens oder des gastroösophagealen Übergangs führt eine perioperative Chemotherapie nach dem ECF-Schema zu einer Reduktion der Tumorgröße und des Tumorstadiums sowie zu einem signifikant verbesserten Gesamt- und progressfreien Überleben, so die Autoren.

N Engl J Med 2006; 355 : 11 - 20

Folgen der Studie. Dies ist in der Tat eine ganz wesentliche Studie, die den Alltag der chirurgischen Therapie der resektablen Adenokarzinome des oberen Gastrointestinaltraktes grundsätzlich verändern wird; weniger inhaltlich als formal. Die neoadjuvante Chemotherapie ist nunmehr beim Adenokarzinom des oberen Gastrointestinaltrakts nach dieser Studie als „evidence-based” anzusehen, deshalb muss dieser Fortschritt auch jedem Patienten angeboten und zugänglich gemacht werden. Dafür braucht es tragfähige Absprachen zwischen Onkologen und Chirurgen, um diese Therapie auch praktikabel und für den Patienten akzeptabel zu organisieren. Die Chirurgie selbst darf bleiben wie sie ist, d. h. Hinweise für die Berechtigung einer Limitation des chirurgischen Eingriffs finden sich in dieser Studie nicht. Erfreulicherweise geht die perioperative Chemotherapie auch nicht mit einem erhöhten postoperativen Risiko einher. Das ist die neue Realität in der Therapie des Adenokarzinoms des oberen Gastrointestinaltraktes.

Offene Fragen. Dennoch bleiben Fragen offen. Wahrscheinlich um rascher zu großen Zahlen zu kommen, sind Barrett-Karzinome, in der Publikation nicht näher definierte Karzinome des gastroösophagealen Übergangs und Magenkarzinome in diese Studie gemeinsam aufgenommen worden. Dies, obwohl die Biologie zumindest von Barrett-Karzinom und Magenkarzinom sehr unterschiedlich ist. Leider ist die heute übliche AEG-Klassifikation nicht benutzt worden. Auf dieser Basis hätte eine bessere Subanalyse der Studienergebnisse vorgenommen werden können. So bleibt die Frage offen, welcher Tumortyp mehr von der perioperativen Chemotherapie profitiert, wenngleich eine bessere Wirksamkeit der präoperativen Chemotherapie bei der unzureichend definierten und sehr kleinen Gruppe der Karzinome des gastroösophagealen Übergangs in der Subgruppenanalyse angedeutet wird. Offen bleibt auch, ob bei einer Konzentration auf Zentren nicht noch bessere Ergebnisse hätten erzielt werden können. Ganz unberührt bleibt leider auch der Aspekt der „Tumorresponse” auf die gewählte Induktionschemotherapie. Es darf unterstellt werden, dass in erster Linie die so genannten Responder deutlich besser von dieser Therapie profitieren als die so genannten Nonresponder. Da man heute gerade bei diesen Tumoren die „Tumorresponse” mittels molekularem „Imaging” (PET) erfassen kann, wird sehr rasch eine Response-orientierte Nachfolgestudie kommen müssen, die dann die Indikation zu dieser jetzt belegten neoadjuvanten Therapie weiter individualisieren wird. Die onkologische Therapie wird immer gezielter und damit effektiver. Spannende Zeiten kommen auf uns zu.

Univ.-Prof. Dr. Dr. h. c. J. Rüdiger Siewert

Chirurgische Klinik u. Poliklinik
Klinikum rechts der Isar
Technische Universität München

Ismaninger Str. 22
81675 München

Email: siewert@chir.med.tu-muenchen.de

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