Dtsch Med Wochenschr 2006; 131(25/26): 1471-1473
DOI: 10.1055/s-2006-946604
Klinischer Fortschritt | Commentary

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Immunologie - Neue Ansätze zur Immunmodulation und Immuntherapie

Immunology: new approaches to immunmodulation and immunotherapyD. Kabelitz1
  • 1Institut für Immunologie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Kiel
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Publication Date:
05 July 2006 (online)

Monoklonale Antikörper und Rezeptor-Fusionsproteine: Neue Substanzen, erweiterte Indikationen

Immunreaktionen werden in aller Regel über Zellkontakt-abhängige Rezeptor-Liganden-Interaktionen oder über die Produktion von löslichen Mediatoren (z. B. Zytokine, Interferone, Chemokine) gesteuert. Zelluläre Interaktionen lassen sich dementsprechend wirkungsvoll durch Antikörper gegen die entsprechenden Rezeptoren oder Liganden beeinflussen. Blockierende Antikörper hemmen die Rezeptor-Liganden-Interaktion, während agonistische Antikörper die zellulären Rezeptoren stimulieren und somit die physiologische Rezeptor-Ligand-Interaktion nachahmen. Von der Entdeckung der Technologie zur Herstellung von monoklonalen Antikörpern (mAK) durch César Milstein und Georges Köhler im Jahr 1975 bis zur Zulassung des ersten mAK zur therapeutischen Anwendung am Menschen (anti-CD3 mAK ORTHOCLONE OKT3™) im Jahr 1988 vergingen 13 Jahre. In den folgenden Jahren wurde mit der Humanisierung von Maus-mAK sowie der rekombinanten Herstellung von humanen mAK die Technologie mit dem Ziel weiter entwickelt, die Verträglichkeit zu verbessern und die Induktion einer Antikörper-Antwort gegen das körperfremde Maus-Protein zu vermeiden. Heute werden neue mAK oder in ihrer Wirkung ähnliche biologische Arzneimittel („Biologicals”) wie Rezeptor-Fusionsproteine durch die Europäische Arzneimittelagentur EMEA zugelassen. Zwischenzeitlich sind eine Vielzahl von humanisierten, chimären oder rekombinanten mAK zur therapeutischen Anwendung bei so unterschiedlichen Indikationen wie Tumorerkrankungen/Leukämien, Transplantatabstoßung, rheumatoide Arthritis, oder Psoriasis vulgaris zugelassen (siehe http://www.pei.de).

Im Folgenden werden einige neue Antikörper bzw. Fusionsproteine sowie neue Studien kurz vorgestellt.

Kostimulationsblockade - auf dem Weg in die Klinik

Mit Orencia™ ist im Dezember 2005 von der amerikanischen Gesundheitsbehörde (Food and Drug Administration, FDA) ein rekombinantes Fusionsprotein zur Behandlung von Patienten mit moderater bis schwerer rheumatoider Arthritis (RA), die auf andere „Disease modifying anti-rheumatic drugs” (DMARDS, z. B. Anti-TNFα-Antikörper) nicht reagieren, zugelassen worden [3]. Der Inhaltsstoff CTLA4-Ig ist ein rekombinantes Fusionsprotein aus dem extrazellulären Teil des sog. CTLA4-Rezeptors und humanem Immunglobulin. CTLA4-Ig bindet an die Kostimulationsmoleküle CD80 und CD86 auf antigenpräsentierenden Zellen und blockiert dadurch die physiologische Interaktion zwischen dem CD28-Rezeptor auf T-Lymphozyten und CD80/CD86. Da die Interaktion zwischen CD28 und CD80/CD86 ein für die Aktivierung von T-Lymphozyten essentielles kostimulatorische Signal vermittelt, führt die Blockade dieses Signalwegs durch CTLA4-Ig zur Lahmlegung („Anergie”) von T-Zellen: Die T-Lymphozyten können zwar noch über den T-Zell-Antigenrezeptor Antigen erkennen, werden aber nicht aktiviert (siehe Abb. [1]). Wie entsprechende klinische Studien belegt haben, lässt sich hierdurch wirksam die chronische Gelenkentzündung und der Krankheitsverlauf bei RA beeinflussen [9]. Der Wirkmechanismus ist im Detail nicht völlig geklärt: Neben einer Hemmung der T-Lymphozyten-Aktivierung sind weitere Effekte durch die Bindung von CTLA4-Ig an CD80/CD86-Moleküle z. B. auf dendritischen Zellen möglich [3]. Ferner ist denkbar, dass durch CTLA4-Ig möglicherweise auch die regulatorischen T-Zellen (Treg; siehe Beitrag 2005; [13]) beeinflusst werden und damit die für die Homöostase im Immunsystem erforderliche Suppressorfunktion von Treg moduliert wird (Abb. [1]). Mit der Zulassung von Orencia™ durch die FDA ist ein erster Schritt in Richtung klinische Anwendung von Kostimulations-Inhibitoren getan. In der Zukunft wird vermutlich die Kombination mit weiteren Kostimulationsantagonisten (z. B. für die ICOS/ICOS-Ligand und/oder CD40/CD40-Ligand Kostimulationswege; siehe [5]) oder mit immunsuppressiven Medikamenten erprobt werden. Prinzipiell eignet sich die Kostimulationsblockade auch zur therapeutischen Anwendung bei anderen Indikationen mit ungewollter T-Zell-Aktivierung wie z. B. bei Transplantationspatienten; entsprechende klinische Studien bei Nierentransplantat-Empfängern sind angelaufen [18].

Abb. 1 Immunmodulation durch Abatacept (CTLA4-Ig Fusionsprotein, Orencia™). Das CTLA4-Ig Fusionsprotein verhindert die Interaktion zwischen dem Kostimulator-Rezeptor CD28 auf T-Zellen und seinen Liganden CD80 und CD86 auf antigenpräsentierenden Zellen (z. B. dendritischen Zellen, DC). Die T-Lymphozyten erhalten daher nicht das für die Aktivierung erforderliche kostimulatorische „Zweitsignal” und werden anerg. CTLA4 wird aber auch von regulatorischen Treg exprimiert. CTLA4-Ig kann daher potenziell auch die Suppressoraktivität von Treg beeinflussen (nach 3).

Monoklonale Antikörper - Neue Indikationen

Eine Reihe von humanisierten oder rekombinanten mAK mit Spezifität für unterschiedliche Antigene sind neu zugelassen bzw. in ihrer Indikation erweitert worden oder befinden sich im fortgeschrittenen Stadium der klinischen Prüfung. Wichtige Entwicklungen des vergangenen Jahres sind in Tab. [1] zusammengefasst. Avastin™ wurde 2004 von der FDA und 2005 von der EMEA in Kombination mit Chemotherapie für die Therapie des metastasierenden Kolonkarzinoms zugelassen. Der Antikörper ist gegen den Vascular endothelial growth factor (VEGF) gerichtet, der für die Angiogenese und damit die Gefäßversorgung von Tumoren eine herausragende Rolle spielt. Mit Avastin™ steht erstmals ein therapeutischer Antikörper zur gezielten Hemmung der Angiogenese als neues therapeutisches Prinzip zur Behandlung von Tumorerkrankungen zur Verfügung [10]. Adalimumab (Humira™) ist ein rekombinanter humaner mAK gegen Tumor-Nekrose-Faktor-α (TNFα), der bereits für die Behandlung von erwachsenen Patienten mit mäßiger bis schwerer RA zugelassen war, die auf herkömmliche DMARDS einschließlich Methotrexat nicht ausreichend angesprochen hatten. Im vergangenen Jahr wurde die Zulassung auf die Behandlung der aktiven und progressiven Psoriasis-Arthritis sowie zur Initialtherapie bei schwerer aktiver und progressiver RA erweitert [4] [15]. Dabei können offensichtlich auch Patienten von Humira™ profitieren, die zuvor erfolglos mit anderen TNFα-Blockern wie dem chimären Anti-TNFα-Antikörper Infliximab (Remicade™) oder dem TNFα-Rezeptor-Fusionsprotein Etanercept (Enbrel™) behandelt worden sind. Mit Omalizumab (Xolair™) wurde im vergangenen Jahr ein weiterer rekombinanter humanisierter mAK zugelassen. Omalizumab ist ein Anti-IgE Antikörper, der als Zusatztherapie bei Patienten mit schwerem IgE-vermittelten allergischen Asthma eingesetzt werden kann, bei denen die konventionelle Maximaltherapie mit inhalativen Steroiden und langwirksamen β2-Mimetika nicht ausreicht [6]. Bereits 2004 war von der FDA Natalizumab (Tysabri™) als erster mAK zur Behandlung der Multiplen Sklerose zugelassen worden. Die Migration von Leukozyten in das Gewebe einschließlich Gehirn und Darm wird durch Zelladhäsionsmoleküle gesteuert. Natalizumab bindet an die α4-Kette des heterodimeren α4β7-Integrins auf Leukozyten und blockiert damit die Migration von T-Lymphozyten in das entzündete Gewebe. Aufgrund schwerer Zwischenfälle (progressive multifokale Leukoenzephalopathie in drei Fällen, dabei zwei mit tödlichem Ausgang) [1], wurde Natalizumab 2005 zunächst vom Markt genommen. Zwischenzeitlich hat die FDA die Fortführung klinischer Studien mit Natalizumab gestattet, und in jüngst publizierten Studien zur Monotherapie [16] oder in Kombination mit Interferon-β1a [17] bei relapsierender Multipler Sklerose wurden keine weiteren Fälle von progressiver multifokaler Leukoenzephalopathie beobachtet. Außer bei Multipler Sklerose haben Anti-Integrin-Antikörper auch therapeutisches Potenzial bei entzündlichen Darmerkrankungen [8]. Schließlich sind weitere mAK im fortgeschrittenen Stadium der klinischen Erprobung. Von Interesse ist hierbei u. a. Denosumab, ein humaner Anti-RANKL-mAK. RANKL (receptor activator of nuclear factor-κB ligand) hat eine wichtige Funktion bei der Aktivierung und Differenzierung von Osteoklasten [19]. Denosumab antagonisiert die RANKL-Wirkung und ist somit für die Therapie des Knochenabbaus im Rahmen der postmenopausalen Osteoporose gedacht [14], hat aber auch therapeutisches Potenzial für andere Erkrankungen mit gesteigertem Knochenbau (Multiples Myelom, Knochenmetastasen, Hyperparathyreodismus [19].

Tab. 1 Neue Ansätze zur Immuntherapie und Immunmodulation. Wirkstoffbezeichnung Substanzklasse Produktname Zulassungs-Status Indikation Abatacept CTLA4-Ig-Fusionsprotein Orencia™ zugelassen von der FDA im Dezember 2005 Rheumatoide Arthritis Bevacizumab Rekombinanter humanisierter Anti-VEGF-Antikörper Avastin™ zugelassen Fortgeschrittener Dickdarmkrebs Adalimumab Rekombinanter humaner Anti-TNFα-Antikörper Humira™ zugelassen Rheumatoide Arthritis; Psoriasis-Arthritis Omalizumab Rekombinanter humanisierter Anti-IgE-Antikörper Xolair™ zugelassen Asthma bronchiale Natalizumab Rekombinanter humanisierter Anti-α 4-Integrin-Antikörper Tysabri™ Zulassung von FDA in 2004; nach schweren Nebenwirkungen in 3 Fällen vorübergehend Einstellung des Vertriebs; derzeit Phase-III-Studie Multiple Sklerose Denosumab Humanisierter Anti-RANKL-Antikörper Phase-II-Studie Osteoporose

Literatur

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Prof. Dr. med. Dieter Kabelitz

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