Dtsch Med Wochenschr 2006; 131(47): 2680
DOI: 10.1055/s-2006-956276
Korrespondenz | Correspondence
Leserbrief
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Verfügbarkeit von Tabak und Alkohol beschränken

M. Riemer
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Publication Date:
16 November 2006 (online)

Unter dem Einfluss gesetzlicher Rauchverbote u. a. in den USA, Norwegen, Schweden, Irland, Italien, Lettland und Teilen der Schweiz sowie dahingehender Initiativen weiterer EU-Staaten erwägt auch die Bundesregierung ein Rauchverbot für öffentliche Gebäude und Gaststätten zu erlassen. Betrüblich zwar, dass die Idee hierzulande erst relativ spät aufgegriffen wird. Zu lange hatte sich die Politik, so bereits bei den Werbeverboten, nicht mit den einschlägigen Interessengruppen anlegen wollen (Hersteller, Einzelhandel, Gastronomie), zumal der Fiskus - wie auch beim Glücksspiel, das er offiziell zu bekämpfen vorgibt - über die Tabak- und Alkoholsteuer erhebliche Gewinne einfährt. Bei einer großen Zahl von Parlamentariern vollzog sich in dieser Legislaturperiode jedoch ein Sinneswandel, hin zu einem gesetzlichen Rauchverbot im öffentlichen Bereich. Sollte die Regelung nicht lediglich auf einen unverbindlichen Appell für gesündere Lebensführung hinauslaufen, sondern durch eine Strafsanktion bei Zuwiderhandlung ergänzt werden, würde die „Nikotinszene” empfindlich getroffen.

Aufhorchen lässt am Verlauf der Diskussion, dass sie einen Weg aufweist, der für die zukünftige Bekämpfung des Drogenmissbrauchs insgesamt effektiv erscheint: Nicht verbieten, sondern reduzieren. Eine wirksame Drogenpolitik kann kaum darauf abzielen, den Konsum der legalen Drogen Tabak und Alkohol vollständig zu verbieten, denn die genannten Rauschmittel haben eine zu lange Tradition, als dass sie allein durch einen Legislativakt aus der Welt geschafft werden könnten. Ein vollständiges Verbot wäre darüber hinaus auch verfassungsrechtlich heikel, denn Aufgabe des Staates ist es nicht, frei verantwortliche Bürger in ihrer Lebensführung zu bevormunden. Derart weitreichende Eingriffe in die Freiheitsrechte tragen wenig zum gesellschaftlichen Frieden bei und erzeugen letztlich nur die typischen Nebenwirkungen von Prohibition (z. B. Schmuggel).

Anders hingegen eine Gesundheitspolitik, die darauf angelegt ist, die Verfügbarkeit von Drogen zu beschränken. Eine liberale Gesellschaft sollte tolerieren, dass Raucher grundsätzlich selber über ihr Rauchverhalten entscheiden, nur eben nicht an Aufenthaltsorten von Nichtrauchern: Arbeitsplatz, Gastronomie, öffentliche Gebäude und Verkehrsmittel. Die freie Entfaltung der Persönlichkeit endet dort, wo Rechte Dritter verletzt werden. Wenn die Regierung mutig wäre, würde sie überdies ein Konsumverbot für alle umschlossenen Räume erlassen, in denen sich Minderjährige aufhalten. Denn wer noch nicht volljährig ist, so ließe sich plausibel argumentieren, verfügt auch noch nicht abschließend über die Verstandesreife und Möglichkeiten, einer Selbstschädigung durch Passivrauchen (verantwortlich für ca. 3000 Todesfälle jährlich) auszuweichen, weswegen es legitim erschiene, wenn der Gesetzgeber diese Schutzfunktion übernimmt. Zu diesem Punkt ist die Debatte zwar noch nicht vorgestoßen, aber in einer Gesellschaft, in der es immer weniger Kinder gibt, verdient der vorhandene Nachwuchs besonders umsichtig behandelt zu werden.

Was vorstehend für die Einschränkung des Tabakkonsums erörtert wurde, lässt sich auch für Alkohol ausführen. Niemand wird alkoholische Getränke trotz ihres Gefahrenpotentials völlig verbieten können. Was aber spräche grundsätzlich dagegen, den öffentlichen Alkoholkonsum auf die Räumlichkeiten lizensierter Gewerbebetriebe und Kirmesveranstaltungen zu reduzieren? Wiederum geht es bei diesem Ansatz nicht um Prohibition, sondern um eine abgewogene Einschränkung der Verfügbarkeit der Droge. Alkohol bleibt grundsätzlich erlaubt, aber der Gesetzgeber definiert, an welchen Orten der Konsum nicht gestattet ist.

Aus dem Zusammenhang der Verfügbarkeit von Drogen stellt sich weiterhin die Frage nach den Orten der Abgabe. Die momentane Regelung ist naturgemäß absatzorientiert, nicht konsumeinschränkend. Verkaufslizenzen können von beliebigen Gewerbetreibenden erworben werden, mit der Folge, dass Alkohol und Tabak rund um die Uhr in Lebensmittelmärkten, Kiosken und an Tankstellen verfügbar sind. Wie würde sich der Konsum legaler Drogen verändern, wenn ihr Verkauf außerhalb der Gastronomie nur noch in Fachgeschäften und dies auch nur zu festen Öffnungszeiten (z. B. Mo-Sa 9 - 18 h) erfolgen dürfte? Keine Zigaretten oder „Flachmänner” mehr an der Ladenkasse im Supermarkt, die zur schnellen Mitnahme einladen. Keine Automatenabgabe oder Schnäppchenangebote mehr für Bier unmittelbar neben dem Brotregal. Wer Alkohol und Rauchwaren erwerben möchte, darf dies auch weiterhin, muss sich aber zunächst in ein Fachgeschäft begeben - wo auch Jugendliche besser geschützt wären. Eine Heraufsetzung des Mindestalters auf 18 Jahre für den Erwerb und Konsum von Tabak und Alkohol in der Öffentlichkeit könnte sich später relativ leicht anschließen lassen.

Die Gesundheitspolitik ist zwar noch nicht so weit, um insbesondere dem letztgenannten Vorschlag Aufmerksamkeit zu widmen. Sofern der politische Wille zu ihrer Umsetzung vorhanden wäre, könnten die vorstehenden Anregungen aber dazu beitragen, den Konsum gesundheitsschädlicher Drogen langfristig zu beschränken, ohne die typischen kriminologischen Begleiterscheinungen der Prohibition auszulösen.

Dr. Martin Riemer

Rechtsanwalt

Mühlenstraße 73

50321 Brühl

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