Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 1992; 27(2): 76-83
DOI: 10.1055/s-2007-1000259
Beiträge zum Schwerpunktthema Mechanismen der Anästhesie

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Das spontane und das reizevozierte EEG in der Narkose

Spontaneous and Evoked EEG in AnaesthesiaB. Bromm
  • Physiologisches Institut der Universität Hamburg (Direktor: Prof. Dr. Dr. B. Bromm)
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Publication Date:
22 January 2008 (online)

Zusammenfassung

Für das Verständnis analgetischer Mechanismen im Rahmen der Narkose ist es sinnvoll, stärker als bisher zwischen Nozizeption und Schmerz, oder besser, zwischen Antinozizeption und Schmerzlinderung, zu unterscheiden. Unter Nozizeption versteht man die durch neurophysiologische Methoden meßbare Nervenaktivität, die für die Schmerzaufnahme, -weiterleitung und -Verarbeitung entscheidend ist. Das nozizeptive System ist mittlerweile durch eindrucksvolle Untersuchungen, vor allem am Tier, ähnlich gut erforscht wie die anderen afferenten Nervensysteme auch. Wird dieses System spezifisch blockiert, dann wird der Schmerz abgeschaltet - von den wenigen und schwierigen Fällen des sogenannten „psychogenen Schmerzes” abgesehen. Eine Blockierung oder zumindest Dämpfung nozizeptiver Aktivität geschieht durch Antinozizeptiva. Dazu gehören z. B. Oberflächenanästhetika, die bereits in der Peripherie durch Blockade der Natriumkanäle in der konduktilen Nervenmembran wirken. Ein anderes Beispiel sind die Opiate, die auf spezifische Rezeptoren nozizeptiver Neurone im Rückenmark und Gehirn agieren und dadurch die Schmerzinformation unterdrücken. Ähnlich sollte idealerweise ein gutes Narkosemittel wirken, nämlich durch spezifische und selektive Unterdrückung der durch den chirurgischen Eingriff ausgelösten nozizeptiven Aktivität. Die Wirkung einer Allgemeinnarkose beruht jedoch auf ganz anderen Mechanismen. Hier steht die Dämpfung des Aktivierungsniveaus, der Vigilanz, des Patienten im Vordergrund. Auch Vigilanzdämpfung erzeugt eine Schmerzlinderung; denn Schmerz ist die bewußte Verarbeitung des nozizeptiven Informationsgehaltes. Ohne Bewußtsein gibt es keinen Schmerz. So sind die meisten zentralwirksamen Analgetika zugleich auch immer vigilanzdämpfend: Unter Narko-Analgetika darf man nicht autofahren. Ein anderes Beispiel ist der Alkohol, der kaum das nozizeptive System beeinflußt, jedoch sehr stark die Vigilanz dämpft; darauf beruht seine schmerzlindernde Wirkung. Dies ist auch der entscheidende Ansatzpunkt der Narkose: Der Patient wird tief bewußtlos, und dadurch wird die nozizeptive Information nicht mehr empfunden, obwohl sie durch den chirurgischen Eingriff ausgelöst und in das Gehirn projiziert wird. Der nachfolgende Beitrag geht auf die physiologischen Grundmechanismen der Nozizeption einerseits und der Vigilanz andererseits ein. Nach Darstellung der verschiedenen neuronalen Systeme wird der Schwerpunkt auf die Beschreibung von narkosebedingten Veränderungen des spontanen und des durch Schmerzreize evozierten Elektroenzephalogramms gelegt. Seit langem ist bekannt, daß sich die verschiedenen Stufen der Vigilanz - vom Hellwachsein bis zum Tiefschlaf - im EEG widerspiegeln. Ähnliches gilt für die Narkosestadien. Eine kontinuierliche Überwachung der Narkosetiefe ist damit prinzipiell durch das EEG-Monitoring möglich. Andererseits lassen sich durch experimentelle Schmerzreize EEG-Veränderungen hervorrufen, die als schmerzrelevante zerebrale Potentiale zur Objektivierung schmerzlindernder Maßnahmen herangezogen werden. So verfügt das Hamburger Physiologische Institut über eine seit 1982 stetig erweiterte Datenbank, in der die Wirkungen der gebräuchlichen Analgetika in großen und homogenen Stichproben gesunder Probanden abgespeichert sind. Besonders interessant ist die simultane Auswertung spontaner und reizevozierter EEG-Aktivität, etwa durch Vorreiz-/Nachreiz-EEG-Analysen. Mittels dieses Ansatzes scheint eine Differenzierung zwischen vigilanzdämpfenden und antinozizeptiven Wirkungen der verschiedenartigen Anästhetika möglich. Halothan z. B. zeigt eine drastische Reduzierung der schmerzrelevanten zerebralen Potentiale bei gleichzeitiger Dämpfung der Vigilanz, während Ketamin sehr viel stärker die Vigilanz beeinflußt, weniger das nozizeptive System.

Summary

Clear differentiation between nociception and pain, or, better, between anti-nociception and pain relief, is essential for understanding the analgesic mechanisms in anaesthesia. Nociception is a neuronal activity in the pain-mediaing and pain-processing nervous system, i.e. in the peripheral axons, in the spinal short cord and in certain rain structures. - The nociceptive system has been well documented by experiments, especially in animals. If this system is specifically blocked, there will be no transmission and hence no sensation of pain - if we leave aside the rare and complicated instances of „psychogenic pain”. Nociceptive activity is blocked or at least attenuated by antinociceptive drugs, such as surface anaesthestics acting in the periphery by blocking the sodium channels in the conductive nerve membrane. - Opiates are another example of drugs which develop an effect on specific nociceptive neurons in the spinal cord and in the brain, thus suppressing pain transmission. An ideally effective anaesthetic should act similarly, that is by specifically and selectively suppressing nociceptive activity induced by surgery. However, general anaesthesia is based on entirely different mechanisms. It lowers the arousal level, or the vigilance of the patient. Since pain is the conscious processing of nociceptive information, attenuating the vigilance also alleviates pain; there is no pain without consciousness. Most of the centrally acting analgestics will also reduce vigilance; e.g. driving is not permitted under analgesia with opiates. Alcohol is another example, although it mininally affects the nociceptive system, it substantially lowers the vigilance, thereby alleviating pain. This is the decisive feature of anaesthesia: The patient is deeply unconscious, thus there is no response to the nociceptive information elicited by the surgical procedure though it is clearly projected to the brain. - This contribution concerns basic physiological mechanisms of nociception and of vigilance. Emphasis is given on the spontaneous EEG and brain potentials evoked by pain stimuli. It is well known that the various levels of vigilance - from awake to deep sleep - are reflected in the EEG. The same holds true for the stages of anaesthesia. Hence, the depth of anaesthesia can be continually monitored, in principle, via the EEG. On the other hand, changes in the EEG can be evoked by experimental pain-inducing stimuli and can be used in the assessment of pain-relieving drugs the main research area of the Institute of Physiology of the University of Hamburg. We have a data bank of EEG modulations by efficient analgesics that has been continually collected since 1982, with the effects of the most common analgesics, measured in a homogenous sample of healthy volunteers. Of particular interest is the simultaneous evaluation of spontaneous and stimulus-evoked EEG by pre-stimulus and post-stimulus EEG analyses. It seems that this approach enables a differentiation between sedative and anti-nociceptive effects of various anaesthetics. Halothane, for example, shows a dramatic reduction of pain-relevant cerebral potentials. Combined with a simultaneous lowering of vigilance, whereas ketamine exercises a much more pronounced effect on vigilance and a lower effect on nociceptive activity.

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