Diabetologie und Stoffwechsel 2007; 2(2): R11-R24
DOI: 10.1055/s-2007-960621
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Betazellen, Inseln und Inkretine

B. Gallwitz1
  • 1Medizinische Klinik IV, Universitätsklinikum Tübingen
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Publication Date:
22 March 2007 (online)

Physiologie und Pathophysiologie der Inkretine

Für die Regulation des Stoffwechsels bestehen zwischen Darm, endokrinem Pankreas und Gehirn enge endokrine Wechselwirkungen, die eine wichtige physiologische Rolle spielen. Nach einer Mahlzeit werden von endokrinen Zellen des Dünndarms die Peptidhormone Glucagon-like Peptide-1 (GLP-1) und Gastric inhibitory Polypeptide (GIP) sezerniert. GIP und GLP-1 stimulieren die

Die Inkretinhormone GIP und GLP-1 stimulieren postprandial die Insulinsekretion.

Insulinsekretion und tragen zu etwa 60 % der postprandialen Insulinsekretion bei.

Beide Hormone bedingen den

Als Inkretineffekt bezeichnet man den Umstand, dass die Insulinantwort bei identischem Blutzuckerverlauf nach oraler Glukoseaufnahme stärker ausfällt als nach intravenöser Glukosegabe.

Inkretineffekt und werden daher Inkretine genannt. Der Effekt ist dadurch charakterisiert, dass nach oraler Glukosegabe eine deutlich ausgeprägtere Insulinantwort beobachtet wird als nach einer intravenösen Glukosegabe, bei der identische Blutzuckerverläufe erzeugt werden ([Abb. 1] u. [Abb. 2]) [1]. GLP-1 und GIP stimulieren die Insulinsekretion jedoch nur unter Hyperglykämiebedingungen und nicht bei normalen Blutzuckerkonzentrationen oder unter Hypoglykämiebedingungen.

Abb. 1 Die enteroinsuläre Achse. Dargestellt sind die Wechselwirkungen, die zu einer Stimulation der Insulinsekretion führen können: I Stimulation durch die gastrointestinalen Hormone Glucagon-like peptide-1 (GLP-1) und Gastric inhibitory Polypeptide (GIP), II nervale Stimulierung, III Substratstimulation durch Glukose (modifiziert nach [1]).

Abb. 2 Der Inkretineffekt. Auf der linken Seite Insulinspiegel nach oraler Glukose und intravenöser Glukose beim Gesunden, auf der rechten Seite bei Patienten mit Typ-2-Diabetes. Die Blutzuckerverläufe nach oraler Glukose und bei intravenöser Glukosegabe wurden jeweils identisch gehalten. Die Insulinantwort nach einem oralen Glukosereiz fällt durch die inkretinhormonvermittelte Stimulation der Insulinsekretion höher aus als nach intravenöser Gabe, bei der dieser Stimulus wegfällt. Beim Typ-2-Diabetes findet sich eine Abschwächung des Inkretineffektes (modifiziert nach [14]).

GLP-1 bei Typ-2-Diabetes

Patienten mit

Bei Patienten mit Typ-2-Diabetes ist der Inkretineffekt aufgehoben oder eingeschränkt.

Typ-2-Diabetes weisen einen eingeschränkten oder aufgehobenen Inkretineffekt auf [14]. Dies liegt zum einen daran, dass GIP bei Typ-2-Diabetes die Insulinsekretion nicht mehr stimuliert. Ein weiterer Grund ist, dass die GLP-1-Sekretion eingeschränkt ist. Während GIP auch in supraphysiologischen Dosen bei Typ-2-Diabetes die Insulinsekretion nicht mehr stimuliert, spricht die Insulinsekretion auf höhere Konzentrationen von GLP-1 auch bei Typ-2-Diabetes gut an [15]. Bei Typ-2-Diabetes können erhöhte Plasmaglukosekonzentrationen durch eine kontinuierliche intravenöse oder subkutane GLP-1-Gabe normalisiert bzw. gesenkt werden. Die Betazellen besitzen Rezeptoren für GLP-1, über die unter Hyperglykämiebedingungen die Insulinsekretion stimuliert wird. GLP-1 hat außerdem

GLP-1 hat verschiedene physiologische Eigenschaften, die bei Typ-2-Diabetes therapeutisch nutzbar sind.

günstige physiologische Effekte, die bei Typ-2-Diabetes prinzipiell therapeutisch nutzbar wären ([Tab. 1]) [7].

Tab. 1 Günstige, potenziell therapeutisch nutzbare Effekte von GLP-1 Parameter Phänotyp Typ-2-Diabetes GLP-1-Wirkungen Insulinsekretion gestört gesteigert - erste Phase fehlt wieder hergestellt - Inkretineffekt vermindert wieder hergestellt Glukagon Hypersekretion Hemmung der Sekretion Betazellmasse vermindert gesteigert (Tierexperiment, in vitro) Appetit / Körpergewicht gesteigert verringert Magenentleerung normal / (beschleunigt?) verlangsamt Insulinsensitivität Resistenz kein direkter Effekt

Durch GLP-1-Gaben wird die bei Typ-2-Diabetes gesteigerte Glukagonsekretion gehemmt. Dies führt zu einer Hemmung der Glukoseproduktion der Leber und damit auch zu einer deutlichen Besserung der Nüchternhyperglykämie. Die physiologische Gegenregulation einer Hypoglykämie durch Glukagon ist von der GLP-1-bedingten Glukagonsuppression nicht betroffen. GLP-1 selbst kann keine Hypoglykämien auslösen.

Des Weiteren hemmt GLP-1 die Magenentleerung, die bei Typ-2-Diabetes beschleunigt sein kann. Hierdurch werden die Digestion und Absorption von Kohlenhydraten verlangsamt, was zu einem günstigeren postprandialen Glukoseverlauf führt. Durch die Hemmung der Magenentleerung wird außerdem vermehrt Völlegefühl vermittelt und eine reduzierte Nahrungsaufnahme begünstigt [7].

Zusätzlich ist GLP-1 auch als Neurotransmitter im Hypothalamus neben anderen regulatorischen Peptiden als Mediator der Sättigung beteiligt. Entsprechende tierexperimentelle Untersuchungen haben gezeigt, dass direkte ZNS-Gaben von GLP-1 zu einer reduzierten Nahrungsaufnahme der Tiere führten.

An isolierten Inselzellen und in Tierexperimenten verbessert GLP-1 die Betazellfunktion und führt zu einer Zunahme der

Neben Hemmung der Magenentleerung und Reduktion der Nahrungsaufnahme bewirkt GLP-1 in Tierexperimenten auch eine Zunahme der Betazellmasse und die Stimulation der Insulinbiosynthese in Betazellen.

Betazellmasse ([Abb. 3]). Dieses Phänomen ist nicht ausschließlich durch die Senkung von Glukosekonzentrationen und damit einer Wegnahme der Glukosetoxizität bedingt, sondern ein davon unabhängiges Phänomen. GLP-1 hemmt zum einen die Apoptose von Betazellen, die bei Typ-2-Diabetes vor allem auch unter dem Einfluss von freien Fettsäuren und Fettgewebsmediatoren (Adipokinen) wie Tumornekrosefaktor α (TNF-α) gesteigert ist. Zum anderen stimuliert GLP-1 die Betazellneogenese aus Stammzellen und undifferenzierten Vorläuferzellen. Die Insulinbiosynthese in Betazellen wird ebenfalls stimuliert. Ob diese Effekte auch beim Menschen eine identische Rolle spielen, ist bislang noch nicht endgültig geklärt.

Abb. 3 Humane Inselzellen in Kultur in Inkubation mit oder ohne GLP-1. Die Inselzellen sind funktionell und anatomisch länger intakt, wenn sie in Medium mit GLP-1 inkubiert werden. Oben: Glukosestimulierte Insulinsekretion der isolierten humanen Inseln. Unten: Mikroskopisches Bild der Inseln zu unterschiedlichen Zeitpunkten mit oder ohne GLP-1 (modifiziert nach 6).

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Prof. Dr. med. Baptist Gallwitz

Medizinische Klinik IV · Universitätsklinikum Tübingen

Otfried-Müller-Straße 10

72076 Tübingen

Email: baptist.gallwitz@med.uni-tuebingen.de

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