Zeitschrift für Klassische Homöopathie 2007; 51(2): 73-78
DOI: 10.1055/s-2007-968092
Originalia

Karl F. Haug Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

Die homöopathische Datenermittlung nach Bönninghausen[*]

Urs Steiner
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Publication Date:
22 May 2007 (online)

Zusammenfassung

Grundlage der von Hahnemann genannten Dynamis ist nach Bönninghausen die biologisch untrennbare Vernetzung all ihrer Symptome, die deshalb dissoziiert aufzuzeichnen sind. Das Erscheinungsbild einer Krankheit wird individuell modifiziert unter anderem durch „Modalitäten”. Die Ermittlung der Symptome erfolgt systematisch (mittels eines Hexameters, [s. Abb. 2]). Zu achten ist auch auf die Erfassung vollständiger Symptome, der Symptome i.e.S., bestehend aus wenigstens einem Allgemeinsymptom (Empfindung), Modalität und Ort der Beschwerde; dabei sind die jüngsten Symptome des Kranken von größerer Wichtigkeit, am meisten aber wiegen die Modalitäten. Arzneien verfügen über bipolare Zeichen und Modalitäten, welche Gegenindikationen enthalten, die zum Ausschluss oder zur Bestätigung der Arzneiwahl zu berücksichtigen sind. Jede Arznei hat ihren Genius, einen Wesenskern, der sich in der Gesamtheit ihrer Zeichen und Modalitäten abspiegelt. Der Genius des Arzneimittels muss sich im Wesen der Krankheit wiederfinden.

Summary

The basis of what Hahnemann called dynamis is for Boenninghausen the biologically inseparable networking of all its symptoms which therefore need to be recorded separately. The appearance of a disease is modified individually by „modalities”. The identification is carried out systematically using a hexameter [vd. Abb. 2]. Special attention needs the record of complete symptoms which consists of at least one general symptom (sensation), modality and location of the grievance. The most recent symptoms of the sick weigh more, but most important are the modalities. Drugs have bipolar signs and modalities, which contain contraindications, and therefore have to be taken into consideration for the exclusion or affirmation of the drug in question. Every drug has its genius - an individual character -, which is mirrored in the entirety of its signs and modalities. The genius of a drug has to be found again in the character of the disease.

27 Leicht geänderte Fassung eines Vortrags gehalten beim 61. Kongress der Liga Medicorum Homoeopathica Internationalis in Luzern 2006.

Anmerkungen

01 Bönninghausens Aphorismen des Hippokrates, Zitat von S. 580. Clemens von Bönninghausen: geb. 12.3.1785 in Tubbergen (Holland), gest. 26.1.1864 in Münster (Westfalen), Jurist, Arzt und Botaniker.

02 Im Organon VI S. 3, 15 und 35, §§ 9/11/15/31.

03 Bönninghausens Aphorismen des Hippokrates (aus dem Jahre 1863), S. 538.

04 Bönninghausens Aphorismen des Hippokrates, S. 803.

05 Bönninghausens Kleine Medizinische Schriften S. 616.

06 Bönninghausens Kleine Medizinische Schriften S. 618. In den „Aphorismen der Hippokrates” überliefert Bönninghausen aus einem Schreiben an Hufeland folgendes Zitat von Samuel Hahnemann (1755-1843): „Die Frage ist aber immer noch zu weit, und bloss durch das ubi, quomodo, quando, quibus auxiliis wird sie bestimmter und beantwortbarer”. Somit kannte Hahnemann den Hexameter.

07 Im Original (Kleine Medizinische Schriften S. 618) steht anstelle von „comitibus” das Wort „auxiliis”, doch wurde diese Änderung von Bönninghausen selber vorgeschlagen.

08 §§ 90 und 93 Organon, sowie Bönninghausens Kleine Medizinische Schriften S. 752/753

09 Zu Beginn der Behandlung mit dem Patienten bestimmen, was geheilt werden kann oder soll.

10 Bönninghausens Aphorismen des Hippokrates S. 540, und Bönninghausens Kleine Medizinische Schriften S. 627/ 628.

11 Bönninghausens Kleine Medizinische Schriften S. 680.

12 Beachte, dass Bönninghausen in seinen „Aphorismen des Hippokrates” dem quibus comitibus, dem quomodo und quando eine andere Bedeutung gegeben hat, wobei sich am Resultat nichts ändert.

13 Bönninghausens Aphorismen des Hippokrates S. 358.

14 Bönninghausens Aphorismen des Hippokrates S. 359.

15 Das erleichtert die Wahl der Symptome, indem Charaktereigenschaften oder gewohnheitsmäßiges Verhalten ausgeschlossen werden.

16 Bönninghausens Kleine Medizinische Schriften S. 514.

17 Bönninghausens Kleine Medizinische Schriften S. 802.

18 Bönninghausens Aphorismen des Hippokrates S. 303.

19 Bönninghausens Aphorismen des Hippokrates S. 171. Auf S. 341 erklärt er am Beispiel von China und Pulsatilla, welche sich für einen Fall als passend zeigen, wie aufgrund einer Gegenindikation Pulsatilla ausscheidet, weil diese über Durstlosigkeit verfügt, während China zu Durst neigt.

20 Bönninghausens Repertorium der homöopathischen Arzneien, Teil 1 S. XVII.

21 Bönninghausens Kleine Medizinische Schriften S. 331.

22 Bönninghausens Repertorium der homöopathischen Arzneien, Teil 2, Vorwort S. 15.

23 Die von René Descartes (1596 - 1650) für alle Naturwissenschaften postulierte „Idea clara et distincta” beinhaltet die Gewissheit (clara) durch Logik (idea), selektioniert (distincta) im Experiment.

24 Hahnemann steht hier richtigerweise im Widerspruch zu Immanuel Kant (1724 - 1804), der mit seiner „a priori-Gewissheit” gerade auf die letzte Erfahrung verzichtet, die uns doch durch die Arzneimittelprüfung als Grundlage dient.

25 Bönninghausen: Vorwort in „Die Körperseiten und Verwandtschaften” 1853.

26 So schreibt Constantin Hering 1866 (Medizinische Schriften Band III), dass „alle unsere Prüfungen, ja selbst unsere Heilungen … nur Wahrscheinlichkeiten liefern” (S. 1523); bei Hahnemann selbst und seinen Nachfolgern „war immer nur … von geringerer oder größerer Wahrscheinlichkeit die Rede” (S. 1558).

27 Leicht geänderte Fassung eines Vortrags gehalten beim 61. Kongress der Liga Medicorum Homoeopathica Internationalis in Luzern 2006.

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Urs Steiner

Arzt für Allgemeine Medizin FMH
Klassische Homöopathie SVHA/SAHP

Staldenstrasse 10

CH-6405 Immensee

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