Suchttherapie 2007; 8(1): 1
DOI: 10.1055/s-2007-970595
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

„Essential Drugs”

„Essential Drugs”M. Krausz 1
  • 1Department of Psychiatry, University of British Columbia (UBC), Vancouver
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Publication Date:
04 April 2007 (online)

Es hat fast 30 Jahre gedauert, bis Methadon es von den ersten guten Erfahrungen in New York auf die Liste der „Essential Drugs„ der WHO geschafft hat und in den meisten Teilen der Welt als Standard akzeptiert wird. Immerhin 30 Jahre voller ideologisierter Debatten, Stigmatisierung von Drogenabhängigen und unzureichender Therapien entgegen vorhandener Evidenz.

Es ist noch gar nicht so lange her, dass etablierte deutsche Suchtforscher gegen Substitution und Harm Reduction große Bedenken äußerten. Man kann noch heute an den unterschiedlichen HIV Prävalenzraten unter den Drogenabhängigen in Europa sehen, welche Auswirkungen es hat, wenn Ideologie die Drogenpolitik bestimmt, in der die Gesundheit des Süchtigen keine wesentliche Rolle spielt.

Die Schweizer Initiative Anfang der neunziger Jahre im Umgang mit der offenen Drogenszene in Zürich ist ein beeindruckendes Experiment gewesen, das für eine Großstadt die Überlegenheit einer alternativen Vorgehensweise nach 15 Jahren deutlich macht. Man könnte es fast als „Blaupause„ eines pragmatischen Zusammenwirkens von Forschung, Therapieangebot, Polizei, Strafverfolgung und Politik ansehen.

Beobachtet von einem der Pioniere eines „risikoarmen Umgangs mit Drogen„ des ehemaligen Chefarztes der Züricher ARUD Daniel Meili. Es ging dabei bei diesem Politikwechsel sowohl um die Betroffenen und deren Überleben als auch um die Situation in der Stadt unter vielfältigen Aspekten. Das heute das Problem offener Szenen in Zürich gelöst ist und He-roin als Droge massiv an Attraktivität verloren hat, ist Ergebnis dieser Entwicklung!

Dies hat viel bewegt, der Langzeitverlauf beweist es. Es hat sich im Denken der Suchttherapeuten etwas verändert, was man als Spektrumsverschiebung ansehen könnte. Die ersten Auswertungen der deutschen Heroinstudie in diesem Heft zur behandelten Stichprobe und ihrer Gewinnung von Degkwitz und Kolleginnen und zur psychosozialen Betreuung im Rahmen der klinischen Studie und deren Effekte von Kuhn et al. und Vogt et al. zeigen ebenfalls, wie wichtig Forschung für das Versorgungssystem und seine Weiterentwicklung ist.

Die Studien zur heroingestützten Behandlung sind etwas Besonderes gewesen, geradezu etwas Einzigartiges in der Wissenschaftsgeschichte. Weil sie in der Lage waren, brennende Fragen öffentlicher Gesundheit aufzugreifen und sie durch den politischen Druck der betroffenen Bevölkerung erst möglich wurden.

Es wäre schön, wenn Wissenschaft häufiger auf derart demokratischer Initiative basieren würde. Und dazu beiträgt, wie in diesem Falle, etwas zu verändern. Was für eine Aussicht, politische Ent-scheidungen, die auf Evidenz basieren? Wissenschaft, die über die Grenzen der Disziplinen ihre Kompetenz einbringt mit dem Ziel realer Problemlö-sung. Von der Kriminologie über die Gesundheits-ökonomie und Versorgungsforschung bis zur Pharmakologie und Psychiatrie. Ein besonderes Beispiel interdisziplinärer Forschung.

Zumindest gibt es heute nach Großbritannien zwei weitere europäische Länder in denen es legal ist, Originalstoffe in der Suchtbehandlung einzusetzen, auch wenn die Bundesrepublik Deutschland Anfang 2007 noch nicht dabei ist. Das Engagement, mit dem sich auch jetzt die beteiligten Städte aufgrund der positiven Erfahrungen parteiübergreifend für notwendige Gesetzesänderungen einsetzen, macht Mut.

Zumindest ist bewiesen, dass sich etwas bewegen lässt, wenn es genügend Druck gibt. Auf jeden Fall hat sich gezeigt, dass es viele gibt, denen in Europa das Schicksal der Drogenabhängigen nicht egal ist und die mit ihren Möglich-keiten an Veränderungen mitarbeiten.

Die Entscheidungsgrundlage ist klar, das ist unbestreitbar ein wichtiges Ergebnis der letzten Jahre, viele Probleme sind lösbar - jetzt sind politische Entscheidungen gefragt.

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. M. Krausz

Department of Psychiatry

University of British Columbia (UBC)

Vancouver

Email: M.Krausz@mac.com

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