Dtsch Med Wochenschr 2007; 132(16): 898-900
DOI: 10.1055/s-2007-973637
Kommentar | Commentary
Chirurgie
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Ein Plädoyer für mehr Präzision der Deutschen Sprache in der Chirurgie

Zum 65. Geburtstag von Prof. Dr. med. M. RothmundA plea for using German in surgeryA commentary in honor of Prof. Dr. Matthias Rothmund's 65th birthdayE. Domínguez-Fernández1 , P. Langer1
  • 1Klinik für Visceral-, Thorax- und Gefäßchirurgie des Universitätsklinikums Gießen und Marburg, Standort Marburg (Direktor: Prof. Dr. med. M. Rothmund) stellvertretend für die ärztlichen Mitarbeiter der Klinik für Visceral-, Thorax- und Gefäßchirurgie
Further Information

Publication History

eingereicht: 26.2.2007

akzeptiert: 8.3.2007

Publication Date:
19 April 2007 (online)

Euer Ja sei ein Ja, euer Nein ein Nein; alles andere stammt vom Bösen. Matthäus 5, 37

Sprache ist nicht nur ein Kommunikationsmittel, sondern auch Spiegelbild einer Kultur und Mentalität. Es ist sicher kein Zufall, dass das Englische wie keine zweite Sprache pragmatisch die Dinge auf den Punkt bringt, das Deutsche sich vortrefflich zur Darlegung komplexer philosophischer Gedanken eignet und romanische Sprachen, wie das Spanische, so außerordentlich farbenprächtig Stimmungen vermitteln können.

Geht man davon aus, dass beim Chirurgen die Hand die Verlängerung des Auges und damit Ausdruck seiner motorisch-kreativen Kultur ist, so ist zweifellos die Sprache Ausdruck seiner intellektuellen chirurgischen Kultur. Nachlässigkeiten oder fehlende Schärfe in der Präzision chirurgischer Sprache bergen folgerichtig die Gefahr des Verlustes oder des Nicht-Erwerbens chirurgischer Kultur in sich. In der täglichen Praxis bewahrheitet sich allerdings oft das Wort des Pythagoras, nach dem: „Die ältesten und kürzesten Wörter - „Ja” und „Nein” - auch das stärkste Nachdenken erfordern”.

Humanistische Bildung beinhaltet häufig die Auseinandersetzung mit der griechischen Mythologie. Vielen ist sicher die Geschichte von Damokles und dem nach ihm benannten Schwert bekannt. Damokles beneidete seinen Herrscher Dionysios von Syrakus und war mit seinem Leben unzufrieden. Der Herrscher lud Damokles darauf zu einem Festmahl ein und ließ ihn auf dem Thron Platz nehmen. Über dem Thron hatte er ein Schwert anbringen lassen, das nur von einem Rosshaar gehalten wurde, um ihm die allgegenwärtige Gefahr in seiner Position zu verdeutlichen. Seit diesen Zeiten ist das über jemandem schwebende Damoklesschwert Inbegriff der Gefahr und der Vergänglichkeit. Es mag sein, dass die Situation während der morgendlichen Chefvisite auf der Intensivstation für manchen Assistenten der oben beschriebenen misslichen Lage des Damokles nahe kommt, aber trifft dies auch auf Indikationen wie die zur Dialyse zu? Wenn er nämlich dem visitierenden Chef erklärt, dass „die Dialyse über dem Patienten schwebt…” (Abb. [1])?

Abb. 1 Visite

Ähnlich verhält es sich mit Maßnahmen, welche gerne in virtuellen Räumen gesichtet werden. So berichten Kollegen oft davon, dass bei einem Patienten die Tracheotomie im Raum steht”…. Die Redewendung „im Raum stehen” zeigt aber, dass dem so Sprechenden nicht klar ist, ob eine Indikation besteht. Um diese Unkenntnis nicht öffentlich zuzugeben, wird im Sinne einer sprachlichen Vermeidungsstrategie eine „neutrale” Formulierung gewählt, die dem Vorgesetzten erlauben soll, zwischen zwei Varianten auszuwählen. Die Frage, ob dies Ausdruck der traditionell steilen Hierarchien in deutschen Chirurgenschulen ist, lassen wir jetzt mal so „im Raum stehen”.

Ein solches Entgegenkommen wird gelegentlich noch durch ein Verhalten übertroffen, bei dem es allen Beteiligten anmutet, man wohne einer Auktion eines der berühmten Häuser wie „Christie’s” oder Sotheby’s” bei. Originalton: „Der Patient bietet Fieber.” Eine gern gewählte Antwort ist hier „Wer bietet mehr?” oder „Und, haben Sie angenommen?”. Immerhin bleibt so mancher dem kaufmännischen Kontext treu, wenn er weiterhin formuliert: „Der Patient bietet Fieber....und steht für morgen an, eine Hemikolektomie zu bekommen.”

Gelegentlich sind auch die Grenzen zu benachbarten Fächern der Medizin, wie z. B. zur Biologie oder auch zur Textilbranche fließend. Illustres Beispiel hierfür: „Der Patient wird mit einer Dreifach-Antibiose abgedeckt.” Definitionsgemäß ist Antibiose (von gr. Anti = gegen und bios = Leben) eine Beziehung zwischen einzelnen Individuen oder Gruppen verschiedener Arten, die für einen der Beteiligten Nachteile mit sich bringt und dessen Wachstum hemmt oder ihn abtötet. Das Antonym zu Antibiose ist die Symbiose, also das Zusammenleben zu beiderseitigem Vorteil. Wer will angesichts dieser Definition dem Patienten noch eine Antibiose geben, ganz zu schweigen davon, dass Antibiose einen Zustand definiert, somit nicht verabreicht werden kann. Auch fehlen bislang Berichte, wonach die sonst in Marketingstrategien nicht unerfahrenen Pharmaunternehmen bereits Decken mit Antibiotika-Wirkung auf den Markt gebracht hätten. Sowohl das „Abdecken” als auch das „Abschirmen” verraten jedoch, wie dünn die argumentative Decke ist, auf der die Entscheidungen zu einer Antibiotika-Therapie getroffen werden. Je breiter die Abschirmung, desto seltener ist eine regelrechte Infektion und ein Erreger nachgewiesen!

Stellte das Abdecken und Abschirmen für den Patienten schon eine reelle Gefahr dar, so wird er im Folgenden regelrecht existentiell bedroht. Eine unsachgemäße und nicht im Interesse des Patienten liegende Maßnahme liegt vor, wenn der Arzt eine Verwandlung des Patienten in einen anderen Stoff plant. Das „Marcumarisieren” des Patienten hat das Ziel, den Patienten in Marcumar® zu verwandeln, ähnliches gilt für das „Heparinisieren” (Heparintherapie).

Damit aber nicht genug. In Zeiten der Globalisierung, zunehmender zwischenmenschlicher Interaktion und Kommunikation über Short-messages-systems (SMS) und E-mails halten Globalsprachen wie Englisch und „Denglisch” Einzug in den Chirurgenalltag. Dann sucht man im OP-Programm nach einem „Slot” für den Patienten, verlegt ihn nach einem „adverse event” auf die „stroke-unit” und freut sich, nachdem der Patient dann doch gut „recoverte”, dass das Gesamt-„Outcome” eigentlich gar nicht so schlecht war. Ach ja, der „adverse event” wurde natürlich noch im „CIRS” (critical-incident-reporting-system) gemeldet, da er auf eine mangelhafte „Marcumarisierung” des Patienten zurückgeführt werden musste. Sinnvolle (neudeutsch: Sinn machende) Eingliederungen von ausländischen Begriffen in die deutsche Chirurgensprache soll es auch geben, häufiger jedoch treffen wir auf überflüssige Anglizismen, die ersatzlos durch deutsche (allerdings uncoole, dafür aber sicher verständliche) Begriffe ersetzt werden können.

Ein Klassiker ist auch der häufig mit einem sorgenvollen Blick kombinierte und damit in seiner Wirkung vermeintlich verstärkte Ausspruch: Der Patient gefällt mir nicht.” Eine schöne Vorlage für den Chef, die er häufig mit der Antwort pariert: Sie sollen ihn ja auch nicht heiraten!” Dieses umgangssprachliche Kabarett wird gerne ergänzt durch: „Der Patient ist gestern eingebrochen”, was im zweiten Akt der Marburger Komödie dann gekontert wird mit: „Und, haben Sie schon die Polizei verständigt?”

Priv.-Doz. Dr. med. Peter Langer

Klinik für Visceral-, Thorax- und Gefäßchirurgie, Universitätsklinikum Gießen und Marburg, Standort Marburg

Baldingerstraße

35033 Marburg

Phone: 06421/2866442

Fax: 06421/2868995

Email: langerp@mailer.uni-marburg.de

    >