Hintergrund: Aufgrund veränderter Lebensgewohnheiten von Kindern (weniger Bewegung im Freien und
zunehmender Medien- und Computergebrauch) wird ein Rückgang motorischer und koordinativer
Fähigkeiten bei Schulanfängern befürchtet, der auch von der individuellen Förderung
der Kinder abhängig ist. Daher wurden Daten aus Schuleingangsuntersuchungen zu motorischen
Auffälligkeiten analysiert. Speziell wurde die Entwicklung im Zeitverlauf und der
Zusammenhang mit einigen Umfeldfaktoren untersucht.
Methodik: Mit den Daten von Schuleingangsuntersuchungen beider niedersächsischen Anwendergemeinschaften
(SOPHIA und Weser-Ems) wurden drei Auswertungen durchgeführt. In den ersten zwei Auswertungen
wurden anhand von Weser-Ems-Daten Befunde zur Grob-Motorik (GMWE) und zur Fein-Motorik (FMWE) analysiert. Berücksichtigt wurden Daten aus 6 Landkreisen und kf. Städten
von 33 012 untersuchten Schulanfängern der Untersuchungsjahre 2002–2005 bzw. für die
zeitlichen Trends Daten von 105 953 Schulanfängern der Jahre 1995–2006. Die dritte
Auswertung betrachtete die Motorik-Insgesamt anhand von SOPHIA-Daten (MISO) von 51 686 Schulanfängern des Untersuchungsjahres 2005. In den Auswertungen
wurden die gemeinsamen prozentualen Häufigkeiten der Befundkategorien A und B (Auffällige
Befunde mit Arztüberweisung oder bereits in Behandlung) univariat deskriptiv analysiert.
Ergebnisse: Motorische Auffälligkeiten waren bei Jungen etwa dreimal häufiger als bei Mädchen
(GMWE: 9,8% vs. 3,6%; FMWE: 13,1% vs. 4,0%; MISO: 14,0% vs. 4,6%). Die Häufigkeit
hat im Verlauf von 6 Jahren um ca. 25% zugenommen (2001–2006 vs. 1995–2000): GMWE-Jungen:
9,9% vs. 7,8%; GMWE-Mädchen: 3,5% vs. 2,7%; FMWE-Jungen: 12,8% vs. 10,4%; FMWE-Mädchen:
3,9% vs. 3,2%. Kinder aus Familien türkischer Herkunft waren deutlich seltener auffällig
als Kinder deutscher Herkunft: GMWE-Jungen: 5,1% vs. 10,4%; GMWE-Mädchen: 1,8% vs.
3,6%; FMWE-Jungen: 9,2% vs. 13,7%; FMWE-Mädchen 3,1% vs. 4,2%; MISO-Jungen: 11,9%
vs. 14,6%; MISO-Mädchen: 4,3% vs. 4,8%. Kinder von Müttern mit einfacher Berufsausbildung
waren häufiger auffällig als von Müttern mit akademischer Ausbildung: GMWE-Jungen:
9,8% vs. 6,7% GMWE-Mädchen: 3,3% vs. 2,6%; FMWE-Jungen: 12,9% vs. 9,5%; FMWE-Mädchen:
3,9% vs. 2,4%; MISO-Jungen: 13,7% vs. 9,5%; MISO-Mädchen: 4,8% vs. 2,2%. Bei adipösen
Kindern wurden doppelt so häufig motorische Auffälligkeiten beobachtet und auch bei
übergewichtigen Schulanfängern waren die entsprechenden Häufigkeiten deutlich erhöht
(in der Reihenfolge BMI > P97/P90 < BMI < P97/BMI < P90): GMWE-Jungen: 18,7%/12,1%/9,3%;
GMWE-Mädchen: 10,2%/4,3%/3,1%; FMWE-Jungen: 17,6%/15,7%/12,7%; FMWE-Mädchen: 7,6%/4,7%/3,7%;
MISO-Jungen: 25,1%/16,6%/13,2%; MISO-Mädchen: 11,1%/5,9%/4,1%.
Diskussion: Für die starke Assoziation der motorischen Auffälligkeiten mit dem Geschlecht kommen
u.a. entwicklungsbedingte Unterschiede oder die Art der verwendeten Tests als Ursache
in Betracht. Die zeitliche Entwicklung unterstützt die Hypothese einer zunehmenden
Problematik im Zeitverlauf. Die Assoziation zum Bildungsgrad der Mutter ist ein bekanntes
Muster, das sich für viele schulrelevante Merkmale beobachten lässt.