Dtsch Med Wochenschr 2007; 132(34/35): 1740
DOI: 10.1055/s-2007-984958
Editorial
Gastroenterologie
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Ökonomische Auswirkungen der „molekularen” Medizin

Economic effects of „molecular” medicineJ. F. Riemann1
  • 1Medizinische Klinik C, Klinikum der Stadt Ludwigshafen gGmbH
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Publication Date:
23 August 2007 (online)

Wir erleben derzeit eine rasante Entwicklung in der medikamentösen Behandlung fortgeschrittener Neoplasien des Menschen. Waren über viele Jahre Chemotherapeutika das wichtigste Konzept, so hat unter anderem die Aufdeckung von Signaltransduktionswegen bei der Entstehung von Tumoren durch die molekulare Medizin zu ganz neuen Erkenntnissen auch in deren Behandlung geführt. Ein klassisches Beispiel sind die Tyrosinkinasehemmer, die im Labor entwickelt wurden, für die chronische myeloische Leukämie Einzug in die Therapie hämatopoetischer Neoplasien gehalten und dann ihren Siegeszug in der Behandlung gastrointestinaler Stromatumoren fortgesetzt haben. Für diese Entwicklung trifft im wahrsten Sinne des Wortes die Kennzeichnung „from bench to bed-side” zu. So macht die enge Verzahnung zwischen Grundlagenwissenschaft und klinisch angewandter Medizin auch letztlich Sinn.

Wir erleben diesen Weg auch in der Therapie des kolorektalen Karzinoms. Die über Jahrzehnte gebräuchliche Therapie mit 5-Fluorouracil (5-FU) ist um Chemotherapeutika erweitert worden, die bei akzeptablen Nebenwirkungen zu einer deutlichen Lebensverlängerung geführt haben. Neueste Entwicklungen hier sind Biologika, die auf der Basis der Hemmung neuer Tumorgefäße oder anderer Wachstumsfaktoren in die Entstehung des Tumors selbst eingreifen und damit zielgerichtet eingesetzt werden können. Auch mit dieser neuen Therapieform ist eine signifikante Lebensverlängerung, jedoch keine Heilung möglich. Durch die Hintereinanderschaltung (Sequenz-Therapie) verschiedener Therapieregime kann dem Patienten mit fortgeschrittenem metastasiertem Kolonkarzinom heute ein um durchschnittlich 2 Jahre verlängertes Leben ermöglicht werden, und das bei akzeptabler Lebensqualität.

Schaut man sich jedoch die Kosten an, die bei Anwendung der entsprechenden Leitlinien entstehen, muss man erschrecken. Grob gesagt haben sich die Therapiekosten heute gegenüber noch vor 10 Jahren nahezu verhundertfacht. Nach einer jüngsten Publikation [1] lagen die 6-Monats-Therapiekosten für 5-FU-Leukovorin bei ca. 96 US-Dollar. Dies hat sich deutlich gesteigert durch Kombinationsprotokolle wie FOLFIRI oder FOLFOX alle 2 Wochen auf ca. 25 000 bis 30 000 Euro und wird sich noch weiter verteuern durch den Einsatz der bereits angesprochenen Biologika auf über 50 000 US-Dollar.

Die Daten, die zum Einsatz dieser Medikamente führen, sind in großen Studien ermittelt worden und erfüllen daher prinzipiell die Evidenzkriterien. Es besteht also kein Zweifel daran, dass diese neuen Entwicklungen auch Eingang in die aktualisierten Leitlinien der DGVS für das kolorektale Karzinom finden werden. Nur: Wer soll das bezahlen? Diese Feststellung trifft nicht nur für die Onkologie zu; sie ist genauso in anderen Disziplinen wie der Kardiologie und der Diabetologie etc. zu beobachten. Die Entwicklung moderner Therapieverfahren verschlingt viel Geld; daher nimmt es nicht Wunder, dass auch der Einsatz im klinischen Alltag teuer sein wird. Wir werden also in den nächsten Jahren auch in der Onkologie eine weiter in Richtung Kosten aufgehende Schere erleben: Auf der einen Seite steigen diese Kosten dramatisch an, auf der anderen Seite ist der Gewinn an Lebenserwartung im Verhältnis dazu statistisch eher bescheiden, von einem echten Kosten-Nutzen-Verhältnis ganz abgesehen, lässt man das individuelle Schicksal des Betroffenen außer Acht.

Was gilt es zu tun? Diese Entwicklung muss zu einem noch viel entschiedeneren Anstoß zu mehr Prävention führen. Allen gesellschaftlichen Schichten - und das Ganze ist ein gesellschaftliches Problem - muss bewusst werden, dass moderne Medizin nur dann bezahlbar bleibt, wenn alle Chancen der Prävention genutzt werden, damit Karzinome, da wo möglich, bereits im Bereich ihrer Vorstufen oder der frühen Stadien entdeckt und geheilt werden können. Prävention ist aber auch genauso erforderlich für den großen Bereich nicht-maligner Erkrankungen, für die sich ökonomische Katastrophen bereits jetzt am Horizont abzeichnen, wenn nicht gehandelt wird.

Prävention ist das Gebot der Stunde; es muss einen runden Tisch geben, der die gesundheitspolitische Entwicklung in den nächsten Jahren begleitet. Dazu reicht nicht nur ökonomischer Sachverstand; es müssen medizinische Weitsicht, erfüllbare Patientenwünsche, das Grundlagen-Knowhow möglicher neuer Entwicklungen sowie realistischer Sachverstand gebündelt werden, um dieses Problem zu meistern. Begleitet werden müssen alle Präventionsmaßnahmen von der Versorgungsforschung; nur dadurch ist sichergestellt, dass auch langfristig eine klare Evidenzbasis geschaffen wird.

Literatur

  • 1 Meropol N J, Schulman K A. Perspectives on the cost of cancer care.  J Clin Oncol. 2007;  25 180-186

Prof. Dr. med. J. F. Riemann

Medizinische Klinik C, Klinikum der Stadt Ludwigshafen gGmbH

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